"Eigentlich bin ich Hausfrau. Mehr als 28 Jahre waren Berufstätigkeit oder politisches Engagement für mich kein Thema. Doch seit der Revolution bin ich in der zivilen Gesellschaft aktiv. Ich habe bei internationalen Organisationen mehr als ein Dutzend Fortbildungen gemacht. Mein Spezialgebiet ist die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: Von den internationalen Konventionen gegen Diskriminierung bis zur psychosozialen Unterstützung für vom Krieg traumatisierte Frauen und Mädchen."
Fathia Madani lebt in Bengasi, im Osten Libyens. Seit der Revolution vor gut zwei Jahren hat sich ihr Leben von Grund auf verändert. Anfang der 1980er Jahre hatte sie ihr Studium der Politikwissenschaften aus Furcht vor Repressionen durch das Ghaddafi-Regime abbrechen müssen. Heute leitet die Frauenrechts- und Demokratieaktivistin in Bengasi ein Zentrum, das sich für die Verbesserung der Situation libyscher Frauen einsetzt. Fathia Madani, die kürzlich mit anderen libyschen Frauenrechtlerin auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin zu Gast war, wünscht sich eine demokratische Verfassung, die auf einem modernen Verständnis des Islams basiert.
"Wir wollen, dass die Rechte der Frauen in der Verfassung festgelegt werden - in Übereinstimmung mit den Prinzipien der islamischen Rechtsprechung und mit den internationalen Menschenrechtskonventionen. Es geht um politische, soziale und wirtschaftliche Rechte, um Schutz vor Gewalt gegen Frauen, um das Sorgerecht der Frauen für ihre Kinder, und das Recht auf Partizipation in allen Lebensbereichen. Kurz gesagt, um all die Rechte, die den Frauen der Islam gegeben hat."
Welche Rechte die künftige Verfassung den Frauen in Libyen garantieren wird, welches Gewicht internationale Menschenrechtskonventionen haben werden, ist offen. Diverse Gesetzesänderungen seit der Revolution geben wenig Anlass zu Optimismus. Der Beschluss des Übergangsrates von 2011, dass künftig die wichtigste Quelle der Gesetzgebung in Libyen die Scharia sein soll, wurde vom gewählten Parlament bestätigt. Kein gutes Zeichen, meint die Juristin Naima Jibril:
"Wir könnten in die Verfassung die sogenannten "Grundsätze" der Scharia aufnehmen. Diese Prinzipien sind klar definiert und man kann sie mit Gerechtigkeit und Menschenrechten vereinbaren. Aber wer ganz allgemein von der Scharia redet, der will durch die Hintertür den islamischen Staat einführen. Das ist sehr gefährlich. Unsere Revolution hatte ein klares Ziel: Einen Staat der Bürger. Dieses Ziel wird ins Gegenteil verkehrt."
Naima Jibril ist eine Pionierin auf ihrem Gebiet: In den 1970er Jahren erstritt sie sich als erste Frau in der Geschichte Libyens einen Posten als Richterin. Später floh sie vor der Repression des Ghaddafi-Regimes und blieb viele Jahre im Exil. Heute bekleidet sie wieder einen hohen Posten als Richterin am Berufungsgericht in Bengasi. Im Moment sei in Bezug auf die Verfassung noch alles offen, sagt Naima Jibril. Doch der Trend zu extrem patriarchalen, frauenfeindlichen Einstellungen mache ihr Sorgen:
"Wir beginnen ganz allmählich, unsere Rechte zu verlieren. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Fatwas, die sogenannten Rechtsgutachten islamischer Gelehrter. In den vergangenen zwei Jahren wurden mehr als 20 Fatwas gegen Frauen veröffentlicht. Ein solches Rechtsgutachten ist zwar kein Gesetz und daher nicht allgemein verbindlich. Aber solche Fatwas beeinflussen die öffentliche Meinung und ebnen den Weg für eine frauenfeindliche Verfassung."
Die Justiz ist schwach, rechtsstaatliche Strukturen existieren kaum. Viele Frauen in Libyen machen die Erfahrung, dass sie die Rechte, die sie auf dem Papier haben, in der Praxis nicht durchsetzen können. Das frustriert. Dazu kommt die immer schwierigere Sicherheitslage: Zahllose bewaffnete Milizen machen einen vernünftigen politischen Prozess extrem schwierig. Die libyschen Frauenrechtsaktivistinnen befürchten, dass unter diesem Druck eine Verfassung verabschiedet werden könnte, die im Namen des Islams Menschen- und Bürgerrechte aushebelt.