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Libyen
Italien bemüht sich um Diplomatie

Die italienische Kolonialgeschichte in Libyen ist geprägt von Kriegsverbrechen und Demütigungen. Die Invasoren aus Italien ermordeten Hunderttausende Libyer, viele mussten ihre Heimat verlassen. Heute bemüht sich Italien um Diplomatie und unterstützt die Einheitsregierung - auch, um sich besser vor Bedrohungen durch den IS zu schützen.

Von Markus Epping |
    Sie sehen ein gepanzertes Fahrzeug in der Wüste. Vorne im Bild liegen viele Granaten.
    Regierungstreue Truppen kurz vor Sirte in Libyen. Die libysche Einheitsregierung wird im Kampf gegen den IS von den Vereinten Nationen unterstützt. (AFP / Mahmud Turkia)
    Für Italien ist Libyen wie ein Nachbarland. 500 Kilometer liegen zwischen Sizilien und Tripolis, mehr nicht, dazwischen das Meer. Als Italiens Regierungschef Renzi jüngst vor der UNO ein Bekenntnis zu Libyen abgibt, spürt man, dass ihm das Land näher ist als seinen Kollegen in Nordeuropa.
    "Italien ist bereit, mit einer Einheitsregierung in Libyen zusammenzuarbeiten, damit Libyen wieder eine Zukunft hat."
    Die Zukunft Libyens, sie hing in der Geschichte oft ab von den Einmischungen Italiens. Anfang des 20. Jahrhunderts, in Italien ist die Bevölkerung mehrheitlich bitterarm, gleichzeitig ist sie so hoch wie nirgendwo sonst in Europa. Platz muss her, die Idee einer Kolonie in Nordafrika kommt auf. Im Oktober 1911 überfällt Italien Libyen, 35.000 italienische Soldaten landen in Tripolis.
    Kriegsverbrechen in Libyen
    Es ist der Italienisch-Türkische Krieg. Große Teile Libyens gehören damals zum Osmanischen Reich. Der Widerstand in Libyen gegen die Invasoren aus Italien ist groß. Es kommt zu Kriegsverbrechen, italienische Soldaten erschießen tausende arabische Zivilisten, dazu kommen Massenhinrichtungen aus Rache. Am Ende hat Italien die Herrschaft über drei Regionen in Libyen. Aber nur für kurze Zeit, denn die Libyer leisten auch nach Kriegsende 1912 Widerstand.
    Dann kommt der Faschist Benito Mussolini an die Macht in Italien.
    Mussolini wiederbelebt die Idee einer italienischen Kolonie in Libyen. Er nennt es ein natürliches Recht des überbervölkerten Italiens, sich in Übersee Platz zu verschaffen. 1923 überfällt Italien Libyen erneut, der zweite Italienisch-Libysche Krieg dauert fast zehn Jahre. Hunderttausende Libyer verlieren ihr Leben, etwa ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Weitere 100 Tausend Libyer werden zwangsumgesiedelt, um Platz zu schaffen für italienische Siedler.
    Mussolini stilisiert sich später hoch zum Herrscher und auch Beschützer des Islam. 1937 landet der Duce selbst an der Küste Afrikas, in Italienisch-Libyen.
    Die libysche Bevölkerung, erzählt Mussolinis Propagandasender Luce, jubelt dem Führer zu, der Duce-Kult ist exportiert.
    Italienische Herrschaft endet mit dem Zweiten Weltkrieg
    Die italienische Herrschaft Italiens in Libyen endet in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs. Es folgt die Unabhängigkeit Libyens und später der Aufstieg des Revolutionsführers Muammar al Ghaddafi, der sich spätestens seit den 80er-Jahren zum Alleinherrscher entwickelt. Er vertreibt die letzten verbliebenen Italiener aus Libyen. Das Land bleibt trotzdem interessant für Italien, vor allem wegen seiner riesigen Gas- und Erdölvorkommen.
    Kaum jemand wusste das so gut wie Silvio Berlusconi. Als Ministerpräsident hofiert er Gaddafi, er küsst dem Machthaber vor der Weltpresse die Hand. Berlusconi etabliert eine Männerfreundschaft und betreibt die Aussöhnung Italiens mit Libyen. Als Staatsgast in Tripolis bittet er das libysche Volk um Vergebung für die Übergriffe der Vergangenheit.
    Die neue italienisch-libysche Freundschaft kommt den Geschäfte zu Gute: Italien zahlt Libyen fünf Milliarden Dollar, unter anderem für den Straßenbau. Italiens Ölkonzern Eni steigt im Gegenzug wieder groß ein in Libyen.
    Mit dem Sturz von Gaddafi bricht das Chaos aus
    Und noch etwas erreicht Berlusconi durch seine Freundschaft: Gaddafi hält die Flüchtlinge von Italien fern, an Libyens Küste entstehen Auffanglager, Gaddafi lässt die Menschen einfach wieder zurückschicken, Richtung Zentralafrika, in ihre Heimatländer.
    Als Gaddafi stürzt, breitet sich in Libyen Chaos aus. Es fehlt eine zentrale Macht, die Extremisten vom selbsternannten Islamischen Staat nutzen das und sichern sich die Macht in einigen Regionen. Italien sieht sich plötzlich direkten Drohungen ausgesetzt. In einem IS-Video vom vergangenen Jahr aus Libyen, in dem am Strand Christen geköpft werden, spricht einer der IS-Leute aus: Gestern noch habt ihr uns in Syrien gesehen, heute stehen wir schon in Libyen, im Süden von Rom.
    Dass der IS so nah gekommen sein will, ist für Italien natürlich beunruhigend. Das Land hat unter diesen Vorzeichen aber einige klare Linien in seiner Libyen-Politik entwickelt. Militärisch aktiv einzugreifen, um den IS zu vertreiben, lehnt man ab. Vielleicht auch deshalb, um nicht die Gefahr von IS Racheattentaten in Italien zu erhöhen. Den gewaltsamen Sturz Gaddafis hält man fast durch die Bank für einen Fehler. Um Libyen heute voranzubringen, setzt Regierungschef Renzi auf Diplomatie, um die libysche Einheitsregierung zu stärken.
    "Wir sind bereit, im sozialen Bereich zu helfen und Libyen dabei zu unterstützen, eine Polizei und internationale Beziehungen aufzubauen. Aber wir werden nicht eines Morgens einfach aufstehen und bombardieren, so wie sich einige das wünschen."
    Ganz ohne militärische Hilfe geht es dann aber wohl doch nicht, zumindest nicht unter Alliierten. Vergangene Woche hat Italien angekündigt, die USA bei ihren Angriffen auf IS-Stellungen in Libyen zu unterstützen, die US-Kampfjets sollen Militärbasen auf Sizilien nutzen dürfen. Von dort sind es nur etwa 500 Kilometer bis Libyen, dem Land, mit dem Italien eine so besondere Beziehung hat.