Wie geht es weiter in Libyen – und wie kann die Stadt Sirte von der Terrormiliz IS befreit werden? Über diese Fragen berät die Arabische Liga heute in Kairo in einer außerordentlichen Sitzung, an der alle ständigen Delegierten der Organisation teilnehmen. Konkret geht es vor allem darum, ob es Luftangriffe geben soll, um den Vormarsch der Dschihadisten rund um die Stadt Sirte zu stoppen. Darum hatte die international anerkannte Regierung des nordafrikanischen Landes am Wochenende gebeten. In einem offiziellen Ersuchen vom Samstag hieß es zunächst, die Mitglieder der Arabischen Liga müssten "Maßnahmen" ergreifen, um das Vorrücken des IS in Libyen aufzuhalten. Später war dann von "gezielten Luftangriffen gegen IS-Stellungen in Sirte" die Rede. Die Regierung in Tobruk begründet ihre Bitte mit dem Waffenembargo der Vereinten Nationen gegen Libyen, das seit 2011 gilt. Deshalb sei die Armee unfähig, dem IS selbst entgegenzutreten.
Gräueltaten in Sirte
Die Terrormiliz hatte Sirte im Juni erobert. Die Hafenstadt liegt am Mittelmeer östlich von Tripolis. In den vergangenen Tagen lieferten sich IS-Kämpfer Gefechte mit verschiedenen ortsansässigen Milizen. Dabei wurden wohl dutzende Menschen getötet und verletzt. Es gibt auch Berichte über Gräueltaten: So sollen IS-Mitglieder gegnerische Kämpfer enthauptet und ihre Körper an Brücken und Kreuzen aufgehängt haben.
Die Bundesregierung verurteilte das "barbarische Vorgehen" der Islamisten in einer gemeinsamen Erklärung mit den USA, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien. Man sei tief beunruhigt über Berichte, wonach die Kämpfer dicht besiedelte Viertel der Stadt beschossen und willkürliche Gewalttaten begangen hätten, um die libysche Bevölkerung zu terrorisieren. Die westlichen Länder forderten die Konfliktparteien auch auf, gemeinsam gegen den IS zu kämpfen. Was derzeit in Sirte passiere, unterstreiche die "dringende Notwendigkeit", eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Diese könne dann gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft Schutz bieten gegen Extremistengruppen, die versuchten, das Land zu destabilisieren.
Zwei Regierungen, viele Milizen
In Libyen nimmt die Gewalt seit dem Sturz des langjährigen Diktators Muammar al-Gaddafi immer weiter zu. Die großen Städte werden von Milizen kontrolliert; außerdem beanspruchen zwei Regierungen und zwei Parlamente die Macht im Land für sich. International anerkannt ist nur die Führung in Tobruk im Osten des Landes. Das Gegenparlament in Tripolis ist islamistisch dominiert und wird von der Staatengemeinschaft nicht akzeptiert.
"Neues Somalia" vor Europas Küste?
Die fehlende Führung ist auch ein Problem in der aktuellen Flüchtlingskrise, weil den europäischen Regierungen ein Ansprechpartner fehlt. Viele der Flüchtlinge, die per Boot versuchen, über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen, starten von der libyschen Küste aus. Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni forderte einen raschen Abschluss der Friedensgespräche, die beide Seiten seit Wochen unter Vermittlung der Vereinten Nationen führen. Falls die Verhandlungen nicht rasch abgeschlossen würden, drohe Libyen zu einem vollends gescheiterten Staat zu werden. Anderenfalls drohe ein "neues Somalia" direkt vor der Küste Europas. (jasi/jcs)