Christoph Heinemann: Verwirrende Meldungen erreichten uns gestern aus Libyen. Erst hieß es, bewaffnete Männer hätten Ministerpräsident Ali Seidan aus einem Hotel in Tripolis entführt. Dann sprach man davon, der Regierungschef sei verhaftet worden. Fest steht: Der Politiker ist inzwischen wieder frei. Die Regierung sagt, er sei nicht frei gelassen, sondern befreit worden. Darüber hat mein Kollege Reinhard Bieck mit Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik gesprochen. Um Libyen war es ja in den vergangenen Wochen und Monaten etwas ruhiger geworden. Eine trügerische Ruhe?
Wolfram Lacher: Ja es war ruhiger, weil man von außen nicht mehr so sehr draufgeschaut hat. In Libyen ist es aber stetig bergab gegangen. Und was wir heute gesehen haben, war nur der Gipfel einer Entwicklung, in der die Hemmschwellen zum Einsatz von Gewalt praktisch von allen Seiten, aller Beteiligten in Libyen stetig gesunken sind.
Reinhard Bieck: Wie ist das Land denn im Moment verfasst?
Lacher: Libyen ist momentan im Prinzip unregierbar. Die Regierung ist völlig handlungsunfähig. Sie ist dem Druck der verschiedensten Interessengruppen völlig ausgeliefert. Es gibt praktisch unzählige Gruppen, die alle in der Lage sind, in der einen oder anderen Art Gewalt anzuwenden. Und ein Beispiel dessen hat man heute gesehen.
Bieck: Was sind denn die unterschiedlichen Hauptströmungen?
Lacher: Wir haben es mit einer extrem zersplitterten politischen Landschaft zu tun. Es gibt eigentlich keine wirklich kohärenten Parteien und Bewegungen. Natürlich gibt es verschiedene islamistische Strömungen, aber ansonsten haben wir es vor allem mit unzähligen lokalen Akteuren zu tun. Wenn es eine prägende Bruchlinie gibt, dann ist es die zwischen den Gewinnern und den Verlierern der Revolution und des Bürgerkrieges.
Bieck: Libyen ist ja potenziell reich wegen seiner Ölreserven. Ist das ein Segen, oder wie in vielen afrikanischen Ländern eher ein Fluch?
Lacher: Ja mittlerweile gibt es tatsächlich sehr heftige Verteilungskämpfe um das Erdöl und die Einnahmen, die sich daraus speisen. Die Produktion ist momentan weniger als ein Drittel des normalen Niveaus, denn ein Großteil der Exporthäfen und auch der Ölfelder ist von verschiedenen bewaffneten Gruppen besetzt, die dadurch die Regierung erpressen wollen.
Bieck: Spielt denn der Clan des gestürzten und getöteten Diktators Muammar al-Gaddafi noch eine Rolle?
Lacher: Der Clan an sich nicht. Der innere Zirkel ist entweder im Ausland oder verhaftet. Aber es gibt natürlich größere Bevölkerungsgruppen, die stark ins ehemalige Regime eingebunden waren und die jetzt vom politischen Prozess ausgeschlossen sind.
Bieck: Also, Wolfram Lacher, wenn ich das, was Sie bisher gesagt haben, mal zusammenfasse, dann läuft das darauf hinaus: Libyen ist im Moment unregierbar?
Lacher: Ja! Das Land befindet sich momentan in völligem Chaos, in einer Situation, wo es eigentlich an die Ausarbeitung einer Verfassung und dem Aufbau eines neuen Staates gehen sollte.
Bieck: Nun haben UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und der britische Regierungschef David Cameron der Regierung ihre Unterstützung zugesagt. Was bräuchte Libyen denn am nötigsten?
Lacher: Der Westen und externe Akteure wie die UN-Mission in Tripolis haben sehr, sehr wenig Einfluss und auch wenig Einflussmöglichkeiten, wenig Möglichkeiten, den Übergangsprozess zu unterstützen und den Aufbau des neuen Staates zu unterstützen. Denn es ist sehr, sehr schwierig, eine Regierung zu unterstützen, die so stark auch intern gespalten ist.
Bieck: Was ist denn aus der deutschen Zusage geworden? Ich erinnere mich noch sehr gut: Nach dem Sturz Gaddafis hieß es in Berlin, man werde den Libyern beim Aufbau des Staates helfen. Waren das nur Lippenbekenntnisse?
Lacher: Nein! Ich glaube, dass man von externer Seite, auch von deutscher Seite händeringend nach Möglichkeiten sucht, den Aufbau des Staates zu unterstützen. Dass man aber sehr schnell an praktische Probleme stößt, wie das aussehen soll. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt von externer Seite, das heißt vonseiten der Briten, der Franzosen, der Amerikaner, eine Zusage, man wolle Tausende von Soldaten und Polizisten ausbilden. Nun gibt es aber momentan keine staatlichen Sicherheitskräfte. Alle Einheiten des Sicherheitssektors sind Milizen, die spezielle politische Interessen verfolgen. Das heißt, da stellt sich die Frage, wen bildet man da aus und unter wessen Kontrolle stehen diese Leute, wenn sie wieder zurückkommen. Das ist nur ein Beispiel für die Schwierigkeiten, vor denen externe Akteure stehen.
Bieck: Sie zeichnen ein ganz schlimmes Bild und sagen, von außen kann keine Hilfe kommen. Ja was könnte denn von innen die Lage verbessern?
Lacher: Von innen wäre zunächst einmal wichtig, dass ein Kompromiss den Fortgang des Verfassungsprozesses ermöglicht, dass man sich auf das Gesetz zur Wahl der verfassungsgebenden Versammlung einigen kann. Damit würde zumindest formal der Übergangsprozess weitergehen. Ansonsten ist das wirklich eine Phase, in der sich Machtkämpfe, interne libysche Machtkämpfe ausspielen müssen und sich klarere Kräfteverhältnisse ergeben müssen. Vorher kann es keine klare Richtung geben.
Heinemann: Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik, die Fragen stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolfram Lacher: Ja es war ruhiger, weil man von außen nicht mehr so sehr draufgeschaut hat. In Libyen ist es aber stetig bergab gegangen. Und was wir heute gesehen haben, war nur der Gipfel einer Entwicklung, in der die Hemmschwellen zum Einsatz von Gewalt praktisch von allen Seiten, aller Beteiligten in Libyen stetig gesunken sind.
Reinhard Bieck: Wie ist das Land denn im Moment verfasst?
Lacher: Libyen ist momentan im Prinzip unregierbar. Die Regierung ist völlig handlungsunfähig. Sie ist dem Druck der verschiedensten Interessengruppen völlig ausgeliefert. Es gibt praktisch unzählige Gruppen, die alle in der Lage sind, in der einen oder anderen Art Gewalt anzuwenden. Und ein Beispiel dessen hat man heute gesehen.
Bieck: Was sind denn die unterschiedlichen Hauptströmungen?
Lacher: Wir haben es mit einer extrem zersplitterten politischen Landschaft zu tun. Es gibt eigentlich keine wirklich kohärenten Parteien und Bewegungen. Natürlich gibt es verschiedene islamistische Strömungen, aber ansonsten haben wir es vor allem mit unzähligen lokalen Akteuren zu tun. Wenn es eine prägende Bruchlinie gibt, dann ist es die zwischen den Gewinnern und den Verlierern der Revolution und des Bürgerkrieges.
Bieck: Libyen ist ja potenziell reich wegen seiner Ölreserven. Ist das ein Segen, oder wie in vielen afrikanischen Ländern eher ein Fluch?
Lacher: Ja mittlerweile gibt es tatsächlich sehr heftige Verteilungskämpfe um das Erdöl und die Einnahmen, die sich daraus speisen. Die Produktion ist momentan weniger als ein Drittel des normalen Niveaus, denn ein Großteil der Exporthäfen und auch der Ölfelder ist von verschiedenen bewaffneten Gruppen besetzt, die dadurch die Regierung erpressen wollen.
Bieck: Spielt denn der Clan des gestürzten und getöteten Diktators Muammar al-Gaddafi noch eine Rolle?
Lacher: Der Clan an sich nicht. Der innere Zirkel ist entweder im Ausland oder verhaftet. Aber es gibt natürlich größere Bevölkerungsgruppen, die stark ins ehemalige Regime eingebunden waren und die jetzt vom politischen Prozess ausgeschlossen sind.
Bieck: Also, Wolfram Lacher, wenn ich das, was Sie bisher gesagt haben, mal zusammenfasse, dann läuft das darauf hinaus: Libyen ist im Moment unregierbar?
Lacher: Ja! Das Land befindet sich momentan in völligem Chaos, in einer Situation, wo es eigentlich an die Ausarbeitung einer Verfassung und dem Aufbau eines neuen Staates gehen sollte.
Bieck: Nun haben UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und der britische Regierungschef David Cameron der Regierung ihre Unterstützung zugesagt. Was bräuchte Libyen denn am nötigsten?
Lacher: Der Westen und externe Akteure wie die UN-Mission in Tripolis haben sehr, sehr wenig Einfluss und auch wenig Einflussmöglichkeiten, wenig Möglichkeiten, den Übergangsprozess zu unterstützen und den Aufbau des neuen Staates zu unterstützen. Denn es ist sehr, sehr schwierig, eine Regierung zu unterstützen, die so stark auch intern gespalten ist.
Bieck: Was ist denn aus der deutschen Zusage geworden? Ich erinnere mich noch sehr gut: Nach dem Sturz Gaddafis hieß es in Berlin, man werde den Libyern beim Aufbau des Staates helfen. Waren das nur Lippenbekenntnisse?
Lacher: Nein! Ich glaube, dass man von externer Seite, auch von deutscher Seite händeringend nach Möglichkeiten sucht, den Aufbau des Staates zu unterstützen. Dass man aber sehr schnell an praktische Probleme stößt, wie das aussehen soll. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt von externer Seite, das heißt vonseiten der Briten, der Franzosen, der Amerikaner, eine Zusage, man wolle Tausende von Soldaten und Polizisten ausbilden. Nun gibt es aber momentan keine staatlichen Sicherheitskräfte. Alle Einheiten des Sicherheitssektors sind Milizen, die spezielle politische Interessen verfolgen. Das heißt, da stellt sich die Frage, wen bildet man da aus und unter wessen Kontrolle stehen diese Leute, wenn sie wieder zurückkommen. Das ist nur ein Beispiel für die Schwierigkeiten, vor denen externe Akteure stehen.
Bieck: Sie zeichnen ein ganz schlimmes Bild und sagen, von außen kann keine Hilfe kommen. Ja was könnte denn von innen die Lage verbessern?
Lacher: Von innen wäre zunächst einmal wichtig, dass ein Kompromiss den Fortgang des Verfassungsprozesses ermöglicht, dass man sich auf das Gesetz zur Wahl der verfassungsgebenden Versammlung einigen kann. Damit würde zumindest formal der Übergangsprozess weitergehen. Ansonsten ist das wirklich eine Phase, in der sich Machtkämpfe, interne libysche Machtkämpfe ausspielen müssen und sich klarere Kräfteverhältnisse ergeben müssen. Vorher kann es keine klare Richtung geben.
Heinemann: Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik, die Fragen stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.