Archiv


Libyen nach Gaddafis Tod

Libyens Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi ist tot. Nun hat das Volk, das jahrzehntelang unter Terror und Armut litt, die Chance, eine Demokratie aufzubauen. Die EU hat bereits Unterstützung signalisiert, doch der Nationale Übergangsrat in Libyen zögert bislang, diese anzunehmen.

Von Doris Simon |
    Das Ende einer Ära des Despotismus und der Unterdrückung, unter der das libysche Volk viel zu lange gelitten habe: Für die Europäische Union ist der Tod Muammar al-Gaddafis ein Einschnitt, dem jetzt nach dem Ende des Bürgerkriegs demokratischer Aufbruch und nationale Versöhnung folgen müssen. José Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission:

    "Ich hoffe, dass die Menschen in Libyen sich nun einer demokratischen Zukunft zuwenden können. Deshalb rufen wir den Nationalen Übergangsrat zu einem Versöhnungsprozess auf, der alle Libyer einschließt und der einen demokratischen und friedlichen Übergang möglich macht. Das ist jetzt das Allerwichtigste."

    Innere Aussöhnung und der Aufbau eines demokratischen und friedlichen Staates, immer wieder haben Vertreter der Europäischen Union in ihren Gesprächen mit dem Nationalen Übergangsrat in Tripolis darauf gedrängt. In diesen Bereichen verfügt die EU über viele Erfahrungen, zum Beispiel aus dem westlichen Balkan.

    Seit dem arabischen Frühling hat die EU zudem ihre Nachbarschaftspolitik so ausgerichtet, dass Staaten im Umbruch beim Aufbau von Demokratie und Rechtsstaat nicht nur unterstützt, sondern zusätzlich belohnt werden, wenn sie dabei Erfolge verzeichnen: mit Geld und Projekten, aber auch mit mehr Reisefreiheit in Schengen-Europa und weitgehenden Freihandelsabkommen.

    Tunesien befindet sich bereits auf diesem Weg.
    In Libyen hat die Europäische Union bisher vor allem humanitäre Hilfe geleistet - in Höhe von rund 156,5 Millionen Euro, mehr als die Hälfte des Geldes kommt aus dem EU-Haushalt. Doch das soll nicht alles sein. EU-Chefdiplomatin Ashton im August dieses Jahres:

    "Mir ist es wichtig, dass wir bereit sind zur Unterstützung, wenn das libysche Volk das wünscht, dann, wenn der Konflikt zu Ende ist, und es an den Aufbau eines libyschen Staates geht."

    Bei der Libyen-Konferenz am 2. September sagten die Europäer konkrete Unterstützung zu bei der Grenzsicherung, der Stärkung der Zivilgesellschaft, in den Bereichen Frauenrechte, freie Medien und unabhängiger Journalismus. Auch die Entwicklung eines demokratischen Parteiensystems kann auf europäische Hilfe zählen wie auch die Förderung und Unterstützung von Bürgerengagement in Initiativen und Organisationen.

    Doch der nationale Übergangsrat zögert in vielen Bereichen, auf EU-Angebote einzugehen. So waren europäische Experten und Abgeordnete mehrfach vor Ort, aber Gespräche im zuständigen Innen- und Justizministerium etwa gab es nicht: Dafür müsse man erst die Regierungsbildung in acht Monaten abwarten, begründeten die libyschen Gesprächspartner ihre Zurückhaltung.

    Doch am grundsätzlichen Interesse an europäischer Unterstützung zweifelt man in Brüssel nicht. Schließlich gebe es in Libyen keine demokratischen Fundamente, auf denen Gesellschaft und Staat umgebaut werden könnten: Die Voraussetzungen für demokratische Institutionen und eine sich aktiv beteiligende Zivilgesellschaft müssten hier nach über 40 Jahren Gaddafi-Regime von Grund auf neu geschaffen werden.

    Doch vieles hängt nun davon ab, wer künftig in Tripolis das Sagen hat. Die konservativ-fundamentalistische Tripolis-Fraktion im Nationalen Übergangsrat bevorzugt anders als die Fraktion aus Bengasi Hilfe aus der arabischen Welt und ganz besonders aus dem Emirat Katar, das die libysche Revolution von Beginn an massiv unterstützt hat. Das gilt auch für Hilfe bei Polizei und Grenzsicherung, bei der sich eigentlich die Europäische Union berufen fühlt. EU-Chefdiplomatin Ashton:

    "Wie stellt man sicher, dass all diese Waffen unter Kontrolle gebracht werden in einem Land, in dem Zivilisten traditionell keine Waffen haben. wie garantiert man Grenzsicherung und all die Aufgaben, die normalerweise Polizei oder Gendarmerie übernehmen? Es ist sehr wichtig, dass wir die Libyer dabei unterstützen, diese Ziele im Auge zu behalten."

    Doch in diesen Bereichen gibt es bisher keine nennenswerte europäische Unterstützung. Auch aus einem Vorschlag, gemeinsam mit arabischen Staaten wie Jordanien Polizisten auszubilden, ist bisher nichts geworden. Dagegen ist Katar auch in diesem Bereich in Libyen bereits aktiv.

    Linktipps:
    Der arabische Aufstand - Sammelportal