Präsidentschaftswahl in Libyen
Kann die Wahl in Libyen die Gewalt beenden?

Libyen soll Ende Januar einen Präsidenten wählen. Zunächst sollte die Wahl Ende Dezember stattfinden, wurde aber abgesagt. Doch was bedeuet der Urnengang für das Bürgerkriegsland? Ein Überblick über Kandidaten und Aussichten.

Von Felix Wellisch |
    Metal badge with the flag of Libya on a suit lapel
    Die Flagge Libyens - wohin steuert das Bürgerkriegsland? (picture alliance / Zoonar)
    Zwei Tage vor den für 24.12.2021 geplanten Präsidentschaftswahlen im Bürgerkriegsland Libyen wurde der Termin abgesagt. Ein Parlamentsausschuss erklärte, dass sich der Wahltermin "unmöglich" halten lasse. Später schlug die Wahlkommission eine Verschiebung der ersten Runde der Präsidentschaftswahl auf den 24. Januar vor.
    Dabei ruhen große Hoffnungen auf der Wahl: Sie soll die tiefe Spaltung des Landes seit dem Sturz Muammar al-Gaddafis vor rund einem Jahrzehnt beenden und die immer wieder aufflammende Gewalt beenden.

    Beobachter fürchten, dass einige der aussichtsreichsten Kandidaten nicht auf Versöhnung aus sind und dass auf die Wahlen neue Gewalt folgen könnte. Wie ist die Erdölnation in diese Situation geraten, und wer sind die Protagonisten, von denen die Zukunft des Landes abhängt?

    Wie ist die Lage in Libyen derzeit?

    Das Ende der 42-jährigen Herrschaft von Muammar al-Gaddafi hat in dem nordafrikanischen Land ein Machtvakuum hinterlassen. 2014 schlugen die Spannungen in einen Bürgerkrieg um, in dem sich zwei Regierungen sowie zahlreiche lokale Milizen gegenüberstanden. Erst seit Oktober 2020 gilt eine brüchige Waffenruhe zwischen der international anerkannten “Einheitsregierung” im Westen des Landes und den Truppen von General Chalifa Haftar im Osten und Süden. Eine Übergangsregierung ist aktuell mit der Aufgabe betraut, das Land zu demokratischen Wahlen zu führen.

    Mehr zum Thema


    Eine neue Regierung in Libyen stünde vor großen Aufgaben: Die staatlichen Institutionen wie Parlament, Gerichte und Zentralbank müssen vereint und die zahlreichen sich gegenseitig bekämpfenden Milizen durch gemeinsame Sicherheitskräfte ersetzt werden. Das Land hat zudem seit Gaddafis Herrschaft keine gültige Verfassung mehr.
    Und schließlich stünde auch die Aufarbeitung des jahrelangen Bürgerkriegs bevor: Die UNO hat während des Konflikts zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit festgestellt. Vor allem aber muss die Regierung die bisher stark von Erdölexporten abhängige Wirtschaft wiederbeleben und diversifizieren, um die Lage der Bevölkerung zu verbessern, deren Alltag von Stromausfällen, Inflation und Perspektivlosigkeit geprägt ist.
    Kurz vor den Wahlen: UN-Sondergesandter für Libyen zieht sich zurück (27.11.2021)
    Die Sicherheitslage im Land ist aktuell instabil und die Wahl-Vorbereitungen waren offenbar nicht abgeschlossen. Viele Kandidaten hatten zuletzt nicht einmal ihren Wahlkampf beginnen können, weil die Wahlkommission auch eine Woche vor dem ursprünglich angesetzten Termin keine abschließende Kandidatenliste veröffentlicht hatte.

    Wer sind die wichtigsten Akteure?

    Eine der Schlüsselfiguren im Bürgerkrieg und aktuell Präsidentschaftskandidat ist General Chalifa Haftar. Der 78-Jährige gehörte bereits unter Gaddafi dem libyschen Militär an, überwarf sich jedoch Anfang der 90er-Jahre mit dem Machthaber und lebte 20 Jahre lang in den USA. Seitdem werden ihm Kontakte zum US-Geheimdienst CIA nachgesagt.
    Zu Beginn des Aufstandes gegen Gaddafi im Jahr 2011 kehrte Haftar in sein Heimatland zurück und kämpfte an der Seite der Aufständischen. 2014 trat er nach Jahren des politischen Chaos nach Gaddafis Sturz als Kommandeur der sogenannten Libyschen Nationalarmee (LNA) wieder in Erscheinung. Die Gruppe besteht aus Teilen der ehemaligen libyschen Armee und zahlreichen Milizen. Seitdem baute er seine Macht im Osten Libyens immer weiter aus.

    Wer ist die alte sogenannte Einheitsregierung?

    Haftar wurde, ausgehend von seiner Hochburg Bengasi, so zum wichtigsten Gegenspieler der international anerkannten “Einheitsregierung” unter Fayez as-Sarradsch im Westen. As-Sarradsch hatte 2015 sein Amt als Chef einer von der UNO vermittelten Übergangsregierung angetreten. Diese sollte Libyen stabilisieren und das Chaos nach Gaddafis Sturz beenden. Diesem Ziel kam sie in fünf Jahren aber kaum einen Schritt näher. Das liegt nicht zuletzt an den zahlreichen widerstreitenden Interessen ausländischer Regierungen, die in Libyen mitmischen.
    So wurde Haftar maßgeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten sowie russischen Söldnern der “Gruppe Wagner” unterstützt. Auch aus Frankreich und von der Trump-Regierung erhielt er zumindest zeitweise politische Rückendeckung. Im April 2019 versuchte er mit Hilfe seiner Verbündeten, die politische Blockade militärisch zu durchbrechen und startete eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis. Die militärisch schwache Einheitsregierung konnte sich nur durch die Unterstützung der Türkei sowie lokaler und teils islamistischer Milizen behaupten.

    Die Kämpfe verwandelten die Außenbezirke der Stadt in ein Trümmerfeld. Türkische Drohnen sollen bis November 2019 mindestens 200 Angriffe geflogen haben. Zudem entsandte die Türkei tausende Söldner aus Syrien. Seit Anfang Januar 2020 sind auch türkische Soldaten in Libyen stationiert.
    Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik bezeichnete das Engagement ausländischer Kräfte in Libyen einmal als Ringen um Einfluss: “Einfluss in Libyen konkret, Einfluss im östlichen Mittelmeerraum, Einfluss im Mächtespiel zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten auf der einen Seite und zwischen der Türkei und Katar auf der anderen Seite. Einfluss aber auch im Spiel zwischen Russland und der Türkei in dem Raum, das die Vorgänger-Imperien, also das Osmanische Reich und das Russische Reich, irgendwann mal kontrolliert haben", sagte er am 28.12.2019 im Dlf.

    Wer stellt die neue Übergangsregierung?

    Nachdem keine Seite militärisch den Sieg davontragen konnte, kam es im Oktober 2020 zu einer Waffenruhe. Anfang Februar wurde Abdulhamid Dbeibah in der Schweiz zum Interims-Regierungschef einer Übergangsregierung berufen. Diese soll nun den brüchigen Waffenstillstand nutzen, um demokratische Wahlen zu organisieren.

    Dbeibah ist ebenfalls kein Unbekannter. Der ehemalige Geschäftsmann war mit Gaddafi eng verbunden. Ihm werden Verwicklungen in Geldwäsche sowie Betrug und Korruption nachgesagt. Der Milliardär stammt aus der Hafenstadt Misrata im Westen Libyens.

    Wer sind die Kandidaten?

    Fast 100 Kandidaten hatten bis November ihre Bewerbung für die Präsidentschaftswahl eingereicht. Im September verkündete der LNA-Anführer Chalifa Haftar offiziell, seine militärische Führungsfunktion ruhen zu lassen und ernannte einen Interims-Befehlshaber bis zum Tag der Wahl am 24. Dezember. Dieser Schritt war die Voraussetzung, um selbst als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Es ist aber unwahrscheinlich, anzunehmen, dass der General, der selbst lange eine treibende Kraft im libyschen Bürgerkrieg war, als Präsident die Spaltung des Landes überbrücken kann.
    Gaddafis Sohn will Präsident werden (18.12.2021)
    Ebenfalls heftig umstritten ist die Kandidatur von Saif al-Islam, dem zweitältesten Sohn des früheren Machthabers Gaddafi. Vor der Revolution galt er als Reformer. Er hatte an der London School of Economics studiert und ließ manche auf einen friedlichen demokratischen Wandel hoffen. Nach dem Beginn des Aufstandes 2011 stellte er sich jedoch an die Seite seines Vaters und begrüßte das harte Vorgehen gegen die Aufständischen. Seit 2011 fahndet der Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nach ihm. Dort soll er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden. 2015 verurteilte ihn ein libysches Gericht zur Todesstrafe, später wurde er im Rahmen einer Generalamnestie begnadigt.
    Trotzdem räumt der Politikwissenschaftler und Journalist Mustafa Fetouri ihm gute Chancen bei der Wahl ein: “In Libyen wird er inzwischen anders wahrgenommen. Er wird jetzt als eine Art Retter gesehen, wegen all dem, was seit der Revolution in Libyen passiert ist”, sagte Fetouri dem in Doha ansässigen Sender Al Jazeera. Im Juli hatte al-Islam in einem Interview mit der “New York Times” angekündigt, “die verloren gegangene Einheit Libyens” wiederherstellen zu wollen. Er war zunächst von der Wahlkommission ausgeschlossen worden, ein Berufungsgericht revidierte die Entscheidung im Dezember jedoch und ließ die Kandidatur zu.
    Kurz vor dem Ablauf der Bewerbungsfrist verkündete auch Interims-Regierungschef Abdulhamid Dbeibah seine Kandidatur - ein Schritt, den er lange ausgeschlossen hatte und der rechtliche Fragen aufwirft. Laut dem im September verabschiedeten Wahlgesetz müssen Kandidaten drei Monate vor der Wahl ihre Mandate niederlegen. Einsprüche gegen Dbeibahs Kandidatur wies ein Berufungsgericht jedoch ab.
    Internationale Libyen-Konferenz ohne Ergebnis (13.11.2021)

    DIe Wahl und ihre Bedeutung

    Klar ist bereits, dass die Parlamentswahlen frühestens im Januar 2022 stattfinden werden. Im Blick auf die Präsidentschaftswahlen gab es wochenlang Streit über das Wahlgesetz. Ende November erklärte Interims-Regierungschef Dbeibah, der Wahlprozess stehe vor großen Problemen. Innenminister Chaled Masen warnte kurz darauf vor anhaltenden Sicherheitsproblemen.
    Mitte Dezember hatten Berichten zufolge bewaffnete Kräfte mehrere Regierungsgebäude in Tripolis umstellt. In der südlichen Stadt Sabha gab es laut der Nachrichtenagentur dpa Gefechte zwischen Kräften der LNA und Anhängern der Übergangsregierung in Tripolis.
    Unabhängig vom Wahltermin sieht der Politikwissenschaftler Youcef Bouandel von der Universität in Katar wenig Hoffnung auf Veränderung: “Selbst wenn einer der Kandidaten 90 Prozent oder 80 Prozent oder 45 Prozent der Stimmen bekommen würde, könnte keiner von ihnen die Gräben innerhalb der Gesellschaft überbrücken. Jedes der Lager fühlt sich durch die anderen existentiell bedroht. Überwinden ließe sich das nur durch einen Versöhnungsprozess. Und ich glaube nicht, dass irgendein Kandidat heute den Mut hätte, diese Dinge anzustoßen.“
    Das Misstrauen in der Bevölkerung ist Bouandel zufolge so hoch, dass viele dem Ergebnis ohnehin nicht vertrauen werden: “Die Leute gehen davon aus, dass die Wahlen nicht frei und fair verlaufen werden. Das Ergebnis wird nicht glaubwürdig sein.”
    Weitere Quellen: apd