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Libyen
Zwischen Chaos und Neuanfang in Tripolis

Parteien kämpfen in Libyen kompromisslos um die Macht. Stämme, Milizen und die islamische Regierung in Tripolis setzen eine Gewaltspirale in Gang, die gegenwärtig nicht einzudämmen ist. Das Land droht im Chaos zu versinken, sollte es nicht gelingen, den kürzlich unterschriebenen Friedensvertrag umzusetzen.

Von Jürgen Stryjak, Kairo |
    Mehr als 70 Leute sind nach einem Bombenanschlag auf eine Polizeistation in Zliten im Nordwesten Libyens getötet worden.
    Mehr als 70 Leute sind nach einem Bombenanschlag auf eine Polizeistation in Zliten im Nordwesten Libyens getötet worden. (picture-alliance / dpa/epa/stringerepa)
    In dem Friedensvertrag, den die Konfliktparteien Mitte Dezember in Marokko unterzeichneten, sehen viele die vorläufig letzte Chance, die Libyen hat, so auch Ibrahim Dabbashi, der UN-Botschafter des Landes.
    "Wir hoffen, dass wir mit diesem Vertrag Libyen als einheitlichen Staat doch noch retten können. Nach Jahren der Angst müssen wir Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit durchsetzen."
    Libyen ist nicht nur gespalten, es ist zersplittert, in unzählige Fraktionen, Stämme und Milizen. Im Osten des Landes residiert die international anerkannte Regierung, die 2014 dorthin flüchten musste. Sie konkurriert mit einer islamistischen Regierung in der Hauptstadt Tripolis.
    Vor rund zwei Jahren habe sich die Lage gefährlich zugespitzt, erklärt der libysche Politologe Salah Al-Schallwy gegenüber dem Fernsehsender Aljazeera:
    "Plötzlich herrschten immer mehr Gewalt und Gegengewalt, verübt von Konfliktparteien, die alle kompromisslos handelten und die dachten, sie könnten den Gegner militärisch besiegen."
    Einen Ausweg aus der Gewaltspirale gibt es wohl nur mit dem Friedensvertrag. Er sieht die Bildung einer Einheitsregierung vor, doch die Zeit wird knapp. In dem Chaos, das im Land herrscht, gedeihen Extremistenbanden, wie etwa jene, die sich "Islamischer Staat" nennt. Rund um die Hafenstadt Sirt soll der IS bereits einen Küstenstreifen kontrollieren, der 150 Kilometer lang ist.
    Bündnis von Dschihadisten in Nordafrika?
    Mohamed Eljarh
    "Es erreichen uns Berichte, nach denen in den vergangenen Monaten dort viele ausländische Kämpfer eingetroffen sind. Es kamen Konvois aus Nigeria und Mali und sogar aus Tunesien."
    Erklärt Mohamed Eljarh vom Hariri-Zentrum für Nahoststudien im Programm von CNN.
    Der UN-Beauftragte für Libyen, der deutsche Diplomat Martin Kobler, befürchtet, dass Dschihadisten aus ganz Nordafrika ein Bündnis bilden wollen. Libyen könnte sich zum idealen Rückzugsraum für dieses Bündnis entwickeln.
    Aufbau einer libyischen Armee hat Priorität
    Um das zu verhindern, denken manche Politiker im Ausland bereits über ein militärisches Eingreifen nach. Doch das könnte nach Ansicht von Kobler bestenfalls am Ende eines innerlibyschen Prozesses stehen, nicht an seinem Anfang:
    "Es ist zuerst mal ganz wichtig, dass die Libyer sich selber zusammentun, bevor man an eine Intervention von außen denkt. Es ist später nicht ausgeschlossen, dass die Libyer, wenn sie eine Regierung haben, eine legitime Regierung, die anerkannt ist von der internationalen Staatengemeinschaft, dass sie sich natürlich dann auch nach außen wenden. Aber zunächst einmal geht es darum, eine libysche embryonale Armee zu schaffen."
    Den Aufbau dieser Armee können nur die Libyer selber beschließen und durchführen – bestenfalls mit Unterstützung aus dem Ausland. Sollten ausländische Mächte vorher militärisch eingreifen, dann würde der Friedensprozess vermutlich wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.