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Libyens Katz-und-Maus-Spiel mit der Schweiz

Zwei Tage im Sommer vergangenen Jahres waren der Auslöser für tief greifende außenpolitische Verstimmungen, eine Geiselnahme und eine innenpolitische Krise. Zwei Tage war der Sohn des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi in der Schweiz in Haft, weil er seine Hausangestellten misshandelt haben soll. Gaddafi reagierte prompt und heftig: Er stoppte die Erdöllieferungen, zog libysches Geld von Schweizer Konten ab und: Er hält seitdem zwei Schweizer gefangen. Dass sich die Schweiz seitdem um eine Normalisierung der Beziehungen bemüht, sich sogar entschuldigt hat, scheint Gaddafi wenig zu beeindrucken. Und so ließ er diese Woche ein Ultimatum verstreichen, was die Schweizer Regierung innenpolitisch zunehmend unter Druck setzt.

Von Pascal Lechler, Genf |
    Die Libyenaffäre ist seit Wochen das Top-Thema in den Schweizer Medien. Ob in St. Gallen oder Lugano, die meisten Schweizer bangen wohl um ihre beiden Landsleute, die Revolutionsführer Gaddafi irgendwo gefangen hält. Seit Wochen führt der libysche Staatschef die Schweizer an der Nase herum, er hält sich an keinerlei Zusagen und lässt eine Frist nach der anderen verstreichen. Die gesamte siebenköpfige Regierung in Bern schweigt zu dieser außenpolitischen Brüskierung. Das sei auch richtig so, meint Geri Müller, der Präsident der Außenpolitischen Kommission des Nationalrates.

    "Es wäre nicht klug, jetzt alle möglichen Karten auf den Tisch zu legen und das in aller Öffentlichkeit zu machen, weil wir ja in einer Verhandlung sind und ich denke, dass es extrem wichtig ist für die Schweiz, dass sie sich zusammenrauft, die guten Vorschläge, die kommen, auch an den Bundesrat zu adressiert und das man das wirklich in einer Vertraulichkeit macht, die es benötigt in einer solch schwierigen Verhandlungssituation."

    Gaddafi beobachtet seit Wochen, was über ihn und seine Familie in der Schweiz gesagt und geschrieben wird. Ein falsches Wort könnte ungeahnte Reaktionen des Revolutionsführers hervorrufen, warnen Experten. Bislang hat Bern auf die bewährte Schweizer Art der sanften Diplomatie gesetzt. Inzwischen gibt es aber auch Stimmen, die eine härtere Gangart gegenüber dem Wüstenstaat fordern. Am weitesten ging Ulrich Schlüer Abgeordneter der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei.

    "Die Schweiz muss jetzt die Beziehungen zu Libyen abbrechen, den libyschen Botschafter nach Hause schicken und sagen, dass er erst wieder kommen kann, wenn die Geiseln hier sind. Die Schweiz sollte überdies die Vereinigten Staaten mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragen."

    Abbruch der Beziehungen und diplomatische Vertretung durch einen Drittstaat möglicherweise die USA? Politiker aus dem linken Lager warnen vor diesem Schritt. Auch Völkerrechtlerin Helen Keller von der Uni Zürich hält nichts von Amerika in der Rolle des Mittlers in Tripolis.

    "Ich weiß nicht, ob das ein diplomatisch geschickter Zug wäre, weil auch die Verhältnisse zwischen den Vereinigten Staaten und Libyen nicht die besten sind. Da halte ich es für außenpolitisch geschickter, wenn die Schweiz das Zepter nicht aus der Hand gibt."

    Auch die Schweizer FDP hat die Regierung inzwischen zu einer schärferen Haltung gegenüber Libyen aufgefordert. Vorschlag der Liberalen: Libysche Staatsangehörige sollen keine Schengenvisa mehr erhalten. Ein Visabann müsste aber von allen Schengenstaaten getragen werden. Das sei nicht umsetzbar, heißt es aber inzwischen aus Brüssel. Es scheint kein Zufall, dass gerade jetzt in der Schweiz wieder eine Diskussion über einen EU-Beitritt der Eidgenossenschaft aufgekommen ist. Denn in der Libyenaffäre zeigt sich, wie allein das neutrale Alpenland inmitten Europas in Konfliktfällen dasteht.
    Der Schweiz bleiben in den Augen von Helen Keller jetzt nur noch die Möglichkeit den UNO-Menschenrechtsausschuss anzurufen. Dieser wacht nämlich über die bürgerlichen und politischen Rechte und verbietet die willkürliche Verhaftung und Verschleppung von Personen. Und dieses Vertragswerk hat auch Libyen unterzeichnet.

    "Aber wir müssen uns bewusst sein, auch dieser Schritt wird die Libyer nicht freuen, und ob das ein diplomatisch geschickter Zug wäre, das bezweifele ich. Ich denke, wenn wir die beiden Schweizer auf dem diplomatischen Weg rausholen wollen, dann müssen wir im Moment alles verhindern, was in irgendeiner Weise .Öl ins Feuer gießen könnte."

    Inzwischen gehen die Blicke auch schon nach Paris. Immerhin hatte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy vor gut zwei Jahren fünf bulgarische Krankenschwestern aus libyscher Haft freibekommen. Das Problem ist nur, dass die französisch-schweizerischen Beziehungen wegen des Streits ums Schweizer Bankgeheimnis und der überraschenden Verhaftung des französischen Regisseurs Roman Polanski in Zürich momentan nicht gerade makellos sind. Warum also sollte Sarkozy den Eidgenossen zur Hilfe eilen? Und so kann Gaddafi erst mal weiter auf dem Rücken der beiden Geiseln mit der kleinen, neutralen Schweiz Katz und Maus spielen.