Menschen kennen es, Tiere kennen es: In der Haut regt sich ein unangenehmes Gefühl, das unwillkürlich zum Kratzen auffordert. Juckreiz kann harmlos sein - aber auch Symptom einer Hauterkrankung. In jedem Fall stört es das Wohlbefinden. In der Fachzeitschrift Nature Biomedical Engineering stellt ein Forschungsteam jetzt einen neuen Therapieansatz gegen Juckreiz vor – mit Hilfe von Infrarot-Licht. Was dahinter steckt - darüber habe ich vor der Sendung mit Dr. Paul Heppenstall gesprochen. Er ist ein Autor der Studie und Wissenschaftler am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie, kurz EMBL, in Rom. Meine erste Frage an ihn war, wie und wo in der Haut eigentlich ein Juckreiz entsteht?
Paul Heppenstall: Ein Juckreiz entsteht durch leichte mechanische Reize auf der Haut. Das kann ein Insekt sein, das über die Haut krabbelt - oder von Tier, Pflanze oder Mensch produzierte Chemikalien. Dadurch werden Zellen in der Haut aktiviert, letztendlich Nervenzellen. Die senden das Signal weiter über das Rückenmark ans Gehirn. So entsteht der Drang zu kratzen. Eigentlich schützen Juckreize uns also vor Chemikalien und Parasiten, indem sie uns dazu bringen, sie wegzukratzen.
Photosensibilisatoren aus der Krebstherapie
Lennart Pyritz: Sie haben diese speziellen Zellen in der Mäusehaut jetzt mit Hilfe von Infrarot-Licht quasi "ausgeschaltet". Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Heppenstall: Im Grunde machen wir hochpräzise Mikro-Chirurgie, durch die wir die Enden der Juckreiz-wahrnehmenden Nervenzellen in der Haut abschneiden. Dafür nutzen wir sogenannte Photosensibilisatoren. Diese Moleküle wurden ursprünglich für die Krebstherapie entwickelt. Wenn man sie mit Licht bestrahlt, entlassen sie freie Radikale. Die beschädigen alles in ihrer nächsten Umgebung, in etwa zehn Nanometer Umkreis. Die Idee war, solche Photosensibilisatoren an die juckempfindlichen Neuronen zu heften. Dafür haben wir die lichtempfindlichen Moleküle wie eine Nutzlast an einem modifizierten Eiweiß namens Interleukin 31 befestigt. Das bindet natürlicherweise an die Nervenzellen der Haut. Dann haben wir daraus eine Creme gemacht, sie auf die Haut von Mäusen geschmiert und mit Infrarotlicht bestrahlt. Wenn dann die Enden der Nervenzellen abgetrennt werden, kann man mit diesen Zellen auch keinen Juckreiz mehr wahrnehmen.
Pyritz: Was waren die Ergebnisse dieser Experimente mit den Mäusen?
Heppenstall: Es hat gut gewirkt bei bestimmten entzündlichen Hauterkrankungen. Im Grunde haben die Mäuse nach der Behandlung über längere Zeit keine Kratz-Reaktionen mehr gezeigt. Es wirkte auch gegen eine seltene genetische Erkrankung, die oft mit extremem Kratzen einhergeht. Und wenn die Mäuse nicht mehr kratzten, erholte sich ihre Haut.
Pyritz: Welche Risiken hat denn dieser neue Therapieansatz? Könnten dabei nicht auch Zellen, die nichts mit dem Juckreiz zu tun haben, unbeabsichtigt geschädigt werden?
Heppenstall: Das ist eine gute Frage. Die freien Radikale machen alles im Umkreis von zehn Nanometern kaputt. Das Ganze muss also extrem nah am Ziel geschehen. Wir haben das getestet: Selbst wenn wir hohe Dosen einsetzen, binden die Eiweiße mit ihrem lichtempfindlichen Gepäck nur an die Juckreiz-empfindlichen Nervenzellen. Daher denken wir, dass es selbst in so einem Fall keinen Effekt auf andere Zellen gibt. Natürlich gibt es noch andere Risiken. Wir wissen zum Beispiel nicht, was bei einer längeren Anwendung passiert. Diese Sicherheitsaspekte müssen wir jetzt überprüfen.
Den Kratz-Kreislauf durchbrechen
Pyritz: Könnte die Methode in Zukunft auch Menschen mit Ekzemen und juckender Haut helfen?
Heppenstall: Das ist das Ziel, mit dem wir die Forschung begonnen haben. Wenn man ein atopisches Exzem hat - eine chronische, nicht-ansteckende Krankheit - ist die Haut entzündet, und das führt zum Kratzen. Durch das Kratzen beschädigt man wiederum die Haut, und das führt zu weiterer Entzündung. Ein Kreislauf, den wir durchbrechen wollen. Wenn der Drang zu kratzen versiegt, kann die Haut heilen. Das funktioniert bei Mäusen schon gut. Um das Verfahren bei Menschen anzuwenden, müssen wir natürlich erst viele Sicherheitstests machen - zeigen, dass dabei keine unbeabsichtigten Schäden auftreten. Der Ansatz könnte auch interessant sein für die Veterinärmedizin - auch Hunde können extrem auf Juckreiz reagieren und Ekzeme entwickeln.
Pyritz: Sie haben Licht auch bereits gegen chronischen Schmerz eingesetzt. Ist das ein grundlegender Mechanismus, den Sie da untersuchen, um Reize in der Haut oder über die Haut zu kontrollieren?
Heppenstall: Ja, genau das denken wir. Das war genau dasselbe Prinzip, nur auf schmerzempfindende Neuronen ausgerichtet. Wir zerschneiden im Grunde ganz selektiv die Verbindungen, die die Informationen ans Rückenmark leiten. Indem wir so die Weitergabe unliebsamer Informationen unterbinden, unterbinden wir auch Jucken oder chronischen Schmerz. Derzeit arbeiten wir zu entzündlichen Schmerzen wie in Knie oder Rücken, und auch da scheint die Methode zu wirken. Wir hoffen, dass wir dieses Prinzip auf alle Empfindungen anwenden können, die wir über die Haut machen.
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