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Licht ins Dunkel

Mikrobiologie. - Die Welt der Bakterien ist uns weitgehend unbekannt, Forscher sprechen daher auch von "mikrobieller dunkler Materie". Einem internationalen Forscherteam ist es jetzt zum ersten Mal gelungen, Genome dieser Organismen im großen Maßstab zu sequenzieren. In "Nature" stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Von Michael Böddeker |
    Mikroorganismen aus dem Bereich der dunklen Materie gibt es praktisch überall auf der Welt. Dass es sie gibt, haben Forscher bereits nachgewiesen. Und wahrscheinlich spielen sie in in der Natur sogar eine wichtige Rolle, sagt die Mikrobiologin Tanja Woyke vom kalifornischen "Joint Genome Institute".

    "Sie sind in den meisten Ökosystemen weit verbreitet. Manche stehen sogar mit dem Menschen in Verbindung. Aber meistens finden wir sie in Proben aus der Umwelt. Viele von ihnen leben in einer sauerstofffreien Umgebung. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum wir sie im Labor so schlecht kultivieren können. Denn es ist schwierig, im Labor die passenden Umweltbedingungen zu schaffen."

    Für ihre Studie sammelte das Team von Tanja Woyke zunächst Bakterienproben von verschiedenen Standorten. Allesamt eher lebensfeindlich - zumindest für die meisten Bakterien, die man schon kennt. Solche aus dem bislang eher unbekannten Teil des Mikroben-Stammbaums fühlen sich dort dagegen wohl.

    "Wir haben Orte gesucht, bei denen die Wahrscheinlichkeit, etwas komplett neues zu finden, möglichst hoch ist","

    sagt der Bioinformatiker Alexander Sczyrba von der Uni Bielefeld. Er war im Forscherteam vor allem für die Auswertung der Daten zuständig.

    ""Da gibt es also neun verschiedene Orte, wo die gesammelt wurden. Das ist so was wie Seewasser aus dem pazifischen Ozean oder aus Seen, Brackwasser zum Beispiel aus einem See in Kanada, oder auch Wasser, was in einer Mine gesammelt wurde. Heiße Quellen zum Beispiel, wo man sich ja auch denkt, da lebt eigentlich gar nichts, also fast kochendes Wasser, das da als Probe benutzt wurde."

    Die gesammelten Proben wurden vor Ort eingefroren – zusammen mit einem Frostschutzmittel, um die Bakterienzellen nicht zu zerstören. Später im Labor suchten sich die Biologen die vielversprechendsten Bakterien heraus, um deren Genome zu sequenzieren – also die Abfolge der genetischen Buchstaben in der DNA herauszufinden. Üblicherweise werden für solche Sequenzierungen Unmengen von Bakterien im Labor gezüchtet, aus denen dann anschließend genug DNA extrahiert werden kann. Weil die hier untersuchten Mikroorganismen aber im Labor nicht wachsen, mussten die Wissenschaftler anders vorgehen. Das Ausgangsmaterial stammte von jeweils einer einzigen Bakterienzelle. Sczyrba:

    "Da muss man also die Zellwand aufbrechen, um an die DNA heranzukommen. Und dann gibt es ein bestimmtes Enzym, was das eine DNA-Molekül, das ich da in der Zelle habe, soweit vervielfältigt, dass ich dann genug Material habe, um das dann zu sequenzieren."

    "Single Cell Sequencing" nennt sich dieses aufwändige und sehr empfindliche Verfahren. Das Ergebnis: gut 200 Genome von Mikroorganismen, die man bisher kaum kannte. Indem die Forscher die Gensequenzen mit denen von anderen Bakterien verglichen, ergab sich ein neuer, detaillierterer Familien-Stammbaum für das Reich der Mikroben. 60 Haupt-Äste hat dieser Baum, und über die meisten davon wusste man bisher nur wenig. Fast alle vor der Studie bekannten Bakterien-Genome fielen Alexander Sczyrba zufolge auf nur vier dieser 60 Äste. Die neuen 201 Genome aus dem Bereich der mikrobiellen dunklen Materie bieten einen Einblick in weitere Äste des Stammbaums. Sczyrba:

    "Die fallen jetzt auf andere Äste, weil wir natürlich in der Studie versucht haben, genau diese dunklen Äste – also diese dunkle Materie – zu beleuchten. Und in unserem Fall sind das jetzt 29 dieser dunklen Äste, von denen man vorher keine komplett sequenzierten Genome hatte."

    Abgesehen von einigen Korrekturen im Stammbaum des mikrobiellen Lebens hat die Untersuchung noch weitere Ergebnisse hervorgebracht – und auch einige Überraschungen. Mikroorganismen werden grob in zwei Kategorien unterteilt: Bakterien und Archaebakterien. Bestimmte Proteine, die sogenannten Sigma-Faktoren, kannte man bisher nur bei den Bakterien. Tanja Woyke:
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    "Bei den Archaebakterien hatte man sie bisher noch nicht nachgewiesen. Aber in unserer Studie haben wir die Sigma-Faktoren auch bei den Archaeen gefunden. Das legt den Schluss nahe, dass es zwischen den großen Reichen des Lebens etwas mehr Durchlässigkeit gibt, als man bisher dachte."