Sonntagnachmittag auf dem Platz vor der Kathedrale der bretonischen Kreisstadt Quimper. Zuviel ist hier nicht los; die Geschäfte sind geschlossen, das Leben ruht, da bleiben die Straßen den Spaziergängern, den Touristen, dem Freizeitunterhalter mit seinem Saxofon - und diesen Leuten an der Staffelei. Gleich mehrere stehen hier. Angestrengt fixieren sie ihr Motiv, rühren Farben, pinseln.
"”I’m from St Paul , Minnesota.”"
Aha, Amerikaner.
"”Ich habe mir immer gewünscht nach Frankreich zu reisen, um hier zu malen. Jetzt gab es diese Gelegenheit. Wir haben die herrliche Architektur studiert und verbringen jetzt eine wundervolle Zeit, in der wir sie selbst malen.""
Mit ihrem Lehrer, er kommt aus Colorado, sind sie herübergeflogen, 60 Begeisterte, um das zu suchen, was vor ihnen schon viele gesucht haben.
"”Wir werden auch Landschaften malen ... ja, wir sind erst gestern hergekommen. Eine Woche bleiben wir, bis dahin werden wir hoffentlich eine Menge Bilder haben.""
Glücklich wendet sich die Hobbymalerin ihrer Leinwand zu. Weiß sie, dass hier in der Bretagne schon vor weit über 100 Jahren amerikanische Künstler in Rudeln auftraten? Sie waren Profis, aber sie kamen aus denselben Gründen. Die Landschaft. Das Licht. Die Farben. Die Dörfer, die Kirchen, die Calvaires, das Meer.
Die Bretagne und die Kunst – das ist die Schule von Pont-Aven, das ist Paul Gauguin. Aber das Licht und die Farben der Bretagne leuchteten Künstlern aus allen Weltgegenden überall in der Bretagne. In Quimperlé, Douarnenez, Trégunc, Bénodet – und in Concarneau.
"Dass die Maler hierherkamen, hatte zu tun mit Eisenbahn. Seit 1863 also. Die amerikanischen Maler kamen schon 1865. Es war vorher schwierig, herzukommen, es war sehr weit weg von Paris, und das Land noch sehr ursprünglich."
Jean Michel Gloux, Galerist. Mit seiner Frau Francoise betreibt er seit den 70er-Jahren die Galerie Gloux. Die liegt in einem markanten Gebäude – mehrere vorspringende Etagen im bretonischen Fachwerkstil, die Fassade kräftig grün – und in markanter Lage, nämlich am alten Hafen von Concarneau, heute nur noch zum Vergnügen da.
Am Ende des riesigen Marktplatzes und gegenüber der spektakulären Ville Close, der ins Meer vorgebauten befestigten alten Stadt. Vor dieser Szene bauten Generationen von Künstlern ihre Staffeleien auf.
Im obersten Stock des Galeriehauses. Ein Wohnzimmer, aber erkennbar war das mal ein Atelier. Die Wände, wie das ganze Haus, dicht bedeckt mit Bildern. Vor dem hohen Atelierfenster der Balkon.
"Du siehst von hier aus die Ville Close, dann den Hafen, wo Sardinen und Thunfisch ausgeladen wurden, Concarneau war ja ein bedeutender Hafen für diesen Fisch. Fromuth kam täglich her, um zu malen, es gibt Fotos, da siehst du vier, fünf Staffeleien, man erkennt die Maler alle."
"Sie haben dieses Haus hier für die Künstler gebaut, als eine Art Familienpension. Es gab ja schon das Hotel de France für die Durchreisenden, aber das war nichts für die, die länger blieben. Auch das Hotel Atlantique gleich hier nebenan hatte Ateliers."
Gebaut wurde das Haus von Francoise Gloux’ Urgroßvater: Alfred Guillou, einer der ganz wenigen waschechten Bretonen unter den Malern. Mit ihm fing alles an – und mit Théophile Deyrolle, den er an der Akademie in Paris kennengelernt und nach Concarneau eingeladen hatte.
"Deyrolle war im Kaukasus gewesen und kam 1871 zurück, also gerade, als die Preußen Paris besetzt hatten. Deshalb wollte er da nicht hin und entschloss sich, Guillou zu besuchen. Man verstand sich gut, und Deyrolles heiratete Guillous Schwester."
"Also das untere Bild da, das ist Théophile Deyrolles ... beim Austernsammeln, er war nämlich auch ins Fischgeschäft eingestiegen und verschiffte bis nach Norwegen ... das Bild wurde gemalt von Emile Hirschfeld, einem russischen Maler, der sich um 1880 hier niedergelassen hatte, mit Emmy, seiner Frau aus Wien, auch Malerin. Hier dieses Bild zeigt Deyrolle Schwiegertochter, und hier, der zwölfjährige Junge in Uniform, das ist Jean Deyrolles. Mein Großvater."
Jean Deyrolle, geboren 1911, ging in den 30er-Jahren nach Paris, ins Zentrum der Avantgarde, und wurde nach dem Krieg einer der wichtigen abstrakten Maler Frankreichs. Er trat also heraus aus dem Kreis der petits maitres, die das Bild der bretonischen Künstlerkolonien bestimmt hatten. Etliche dieser "kleinen Meister" waren etablierte Pariser Maler, die nur sommers in der Bretagne weilten, um für die großen Ausstellungen realistische Genreszenen und Landschaften zu produzieren. Aber die meisten waren gerade aus Paris weggegangen, um diesem Akademismus, auch "l’art pompier" genannt, zu entgehen und dürften sich entsprechend erhaben gefühlt haben gegenüber diesen Vertretern einer obsoleten Kunst. Aber entstand irgendwo in der Bretagne, außer in Pont-Aven, so etwas wie eine Schule, ein Stil?
"Nein, sie waren alle Individualisten, angezogen nur vom selben Milieu, zum Beispiel Hirschfeld, den faszinierte das nächtliche Meer, der Mond, die Landschaft, für andere war es die Luft, die Schiffe."
"Allein die Farben der Umgebung verlockten sie zum Malen, hier fanden sie die Freiheit, Leute zu malen, ihnen beim Leben zuzuschauen, so wie es war. Sie machten das Leben der einfachen Leute zum Thema, Arbeiter, Bettler, Fischer, Kinder."
In den Bildern der Bretagne-Maler, finden sich alle Einflüsse ihrer Zeit. Nicht umsonst waren sie ja, ob Skandinavier, Russen oder Kanadier, ausnahmslos über Paris, die Hauptstadt der Kunst, hergekommen. Aber ob akademischer Realismus, Impressionismus, Pointillismus, ob Ecole de Barbizon und der Nabis: Alle verbindet das Besondere der Atmosphäre und der Landschaft, die sie atmeten, aufnahmen, darstellten. Das gilt auch für die Bilder bekannter Maler, die sich kürzer oder länger hier aufhielten, Signac, Sérusier, Delaunay, Corot.
Im Museum der schönen Künste von Quimper. Hier kümmert man sich auch um das Erbe der Künstlerkolonien, begibt sich auf ihre Spur. Ein Filmdokument wird gezeigt, ein Interview mit einer Zeitzeugin: Der Tochter des amerikanischen Malers Sidney-Lough Thompson.
Auf der Strandpromenade von Concarneau. In der Bucht von Cornouaille, die sich gegenüber bis zum Meereshorizont hinzieht, führt eine große Segelschule ein Ballett auf. Ins felsige Ufer schneiden die kleinen Buchten mit ihren Sandstränden ein. Vor 100 Jahren saßen hier weißbehandschuhte Damen an Klapptischchen unter Sonnensegeln und ließen sich das Picknick von einer Bretonin in Tracht servieren. An der äußersten Spitze der Promenade steht ein weißes Haus.
Die typische Seebad-Architektur: Fenster über den Bruchsteinen, Bordüren, weiße Erker. Ja, das ist das Haus, das auch auf der alten Zeichnung zu sehen ist, auf dem der russische Maler Emile Hirschfeld im Vordergrund posiert. Es stand damals noch fast allein, nur eine weitere Villa stand 50 Meter landeinwärts, gebaut 1905 von eben jenem Emile Hirschfeld und seiner Frau Emmy, meiner Großtante. Auch diese Villa in der Rue Dr Calmette mit ihren zwei Ateliers hinter der hohen Glaswand ist ein Zeitzeuge. Zugunsten eines Kataloghauses abgerissen wurde hingegen in derselben Straße das wilde Schloss mit Türmen und Erkern des französischen Künstlers Le Gout Gérard, lange eine Art Anführer der Künstlermeute. In dieses großbürgerliche Haus war Emmy Hirschfeld, die 90 Jahre alt wurde und in ihrem Leben nie gekocht hat, einmal in der Woche zum Diner gekommen – als Freundin, aber auch als zahlender Gast. Speisen auf Abonnement - solche versunkenen Sitten gab es noch in den 60ern, so wie in manchen Restaurants das Essen gegen Bilder verrechnet wurde oder die Kunden in die Creperie ihre eigenen Eier mitbrachten.
Abgerissen wurde auch das alte Waschhaus auf der Promenade, warum bloß? Damit keine Erinnerung an die Mühsal vor der Erfindung der Waschmaschine bleibt? Eine Mühsal, die auch den zugereisten Künstlern bald aufging; sie suchten ja hier das Authentische, das Anti-Paris, aber das wahre Leben der bretonischen Fischer bestand keineswegs nur aus gut gelaunter Netzflickerei und heiteren Feierabendtänzen. In vielen Bildern finden sich Hinweise darauf, aber zerlumpte Kinderkleidung geht immer noch als Genre durch. Wenige, wie Achille Granchi-Taylor zeigten wirkliches Elend: Eine Familie steht hoffnungslos vor dem mageren Fang des Vaters. So wie es in den Jahren um 1905 gewesen sein muss.
Die Fete des Filets bleus, das Fest der blauen Netze: Jedes Jahr krönt es den August als die sommerliche Attraktion in Concarneu, Manifestation bretonischer Identität und natürlich längst ein touristisches Event. Diese scheinbar uralte Tradition ist eine moderne Erfindung: Es waren die Künstler von Concarneau, die der einheimischen Bevölkerung helfen wollten, als nach 1900 ein längeres Ausbleiben der Sardinen ernste Not verursacht hatte: ein Vorschein des Strukturwandels sozusagen, ausgedacht von Bohemiens und Städtern für Fischer und Arbeiter.
So wurde eine Verbundenheit betont zwischen zwei Welten, die eigentlich herzlich wenig miteinander zu tun hatten.
"Ich sag euch, diese Maler, über die wisst ihr gar nichts, weil sie nämlich anders sind als unsereiner!"
So spricht Guenn, die Hauptperson im gleichnamigen Roman der Amerikanerin Blanche Howard-Willis. Guenn, man glaubt, sie auf einem Bild heimkehrender Sardinenarbeiterinnen von Alfred Guillou zu erkennen, Guenn also lebt das harte Leben eines Fischermädels; als ein junger, unbekümmerter amerikanischer Maler sie als Modell engagiert, verliert sie sich zwischen den Welten. Sie verliebt sich, er merkt es nicht einmal, am Ende steuert sie verzweifelt ihr Boot in die Wellen, die sie verschlingen.
"Guenn" wurde in den USA viel gelesen und sorgte für Nachschub in den amerikanischen Künstlerkolonien der Bretagne, besonders in Concarneau, wo der Roman spielt. Auch wenn es sich da "Plouvenac" nennt.
"Hier lebten die Künstler, die das Leben der einfachen Leute beobachteten und malten, Arbeiter, Bettler, Fischer, Kinder..hier im Haus wohnte mehrere Jahre lang Thompson mit seiner Familie."
Der Amerikaner Sidney Lough Thompson war der erste, der das Haus der heutigen Galerie Gloux bewohnte. Überhaupt war es, wie in jedem Ort mit Fremdenverkehr, das Mietwesen, das alle zusammenbrachte. Da kann man annehmen, dass es in Concarneau und den anderen Künstler-Nestern der Bretagne auch heute noch mehr Atelierräume gibt als üblich.
"Ich habe Ateliers gesehen, gebaut von Bürgersleuten in ihren Häusern, die wurden vorbeireisenden Künstlern angeboten. In vielen Häusern, die seit 1880 gebaut wurden, lagen über den Ladenräumen Ateliers. Das waren aber schon etwas wohlhabendere Leute, die das bauten. Dann die Restaurants, die lebten auch gut von den Künstlern. In der Markthalle lag über dem Erdgeschoss eine Ausstellungshalle, da fanden die Ausstellungen statt im Sommer, da musste im Sommer 1931 die Liste geschlossen werden, weil es zu viele Anmeldungen gab."
Nach dem Einkaufen geht man in Concarneau ins Café l’Amiral, am Quai Péneroff, wo Gauguin sich einmal mit einem Pulk betrunkener Fischer prügelte; und wo George Simenon seinen missvergnügten Kommissar Maigret auf die Spur der Demoiselles de Concarneau schickte. Das Amiral ist auch sonst ein Stück Stadtgeschichte.
"In den 30er-Jahren, das war schon die dritte Generation der Maler, die hatten die Idee, eine freie Republik zu gründen. Mit allem Drum und Dran, mit Pässen, einem Präsidenten, sogar ein Konsulat gab es, mit Sitz im l’Amiral."
"Die Maler mussten Beiträge zahlen, aber die Frauen gingen frei. – Auch Emmy? – Klar!"
"”The architecture has so many influences, I see German, English, Celtic inspiration …”"
Im Melderegister von Concarneau hat Jean-Michel Gloux einmal gezählt, aus wie vielen Nationen zwischen 1880 und den 30er-Jahren die Maler nach Concarneau kamen. Es waren rund 50. Das ist vorbei, aber Licht, das Meer und der Himmel der Bretagne ziehen immer noch Menschen mit Leinwänden im Gepäck an, Galerien pflegen das Zeitgenössische und das Erbe der Bretagne-Entdecker, und in vielen Häusern zeugen ihre Bilder von einer anhaltenden Liebe zu den petits peintres, die diese Landschaft und ihre Menschen selbst mit Liebe verewigt haben.
Und noch was: Pont-Aven wird immer vom Ruhm zehren, die Stadt Gauguins zu sein. Aber das Baseball-Match, das haben damals die Künstler aus Concarneau gewonnen.
"”I’m from St Paul , Minnesota.”"
Aha, Amerikaner.
"”Ich habe mir immer gewünscht nach Frankreich zu reisen, um hier zu malen. Jetzt gab es diese Gelegenheit. Wir haben die herrliche Architektur studiert und verbringen jetzt eine wundervolle Zeit, in der wir sie selbst malen.""
Mit ihrem Lehrer, er kommt aus Colorado, sind sie herübergeflogen, 60 Begeisterte, um das zu suchen, was vor ihnen schon viele gesucht haben.
"”Wir werden auch Landschaften malen ... ja, wir sind erst gestern hergekommen. Eine Woche bleiben wir, bis dahin werden wir hoffentlich eine Menge Bilder haben.""
Glücklich wendet sich die Hobbymalerin ihrer Leinwand zu. Weiß sie, dass hier in der Bretagne schon vor weit über 100 Jahren amerikanische Künstler in Rudeln auftraten? Sie waren Profis, aber sie kamen aus denselben Gründen. Die Landschaft. Das Licht. Die Farben. Die Dörfer, die Kirchen, die Calvaires, das Meer.
Die Bretagne und die Kunst – das ist die Schule von Pont-Aven, das ist Paul Gauguin. Aber das Licht und die Farben der Bretagne leuchteten Künstlern aus allen Weltgegenden überall in der Bretagne. In Quimperlé, Douarnenez, Trégunc, Bénodet – und in Concarneau.
"Dass die Maler hierherkamen, hatte zu tun mit Eisenbahn. Seit 1863 also. Die amerikanischen Maler kamen schon 1865. Es war vorher schwierig, herzukommen, es war sehr weit weg von Paris, und das Land noch sehr ursprünglich."
Jean Michel Gloux, Galerist. Mit seiner Frau Francoise betreibt er seit den 70er-Jahren die Galerie Gloux. Die liegt in einem markanten Gebäude – mehrere vorspringende Etagen im bretonischen Fachwerkstil, die Fassade kräftig grün – und in markanter Lage, nämlich am alten Hafen von Concarneau, heute nur noch zum Vergnügen da.
Am Ende des riesigen Marktplatzes und gegenüber der spektakulären Ville Close, der ins Meer vorgebauten befestigten alten Stadt. Vor dieser Szene bauten Generationen von Künstlern ihre Staffeleien auf.
Im obersten Stock des Galeriehauses. Ein Wohnzimmer, aber erkennbar war das mal ein Atelier. Die Wände, wie das ganze Haus, dicht bedeckt mit Bildern. Vor dem hohen Atelierfenster der Balkon.
"Du siehst von hier aus die Ville Close, dann den Hafen, wo Sardinen und Thunfisch ausgeladen wurden, Concarneau war ja ein bedeutender Hafen für diesen Fisch. Fromuth kam täglich her, um zu malen, es gibt Fotos, da siehst du vier, fünf Staffeleien, man erkennt die Maler alle."
"Sie haben dieses Haus hier für die Künstler gebaut, als eine Art Familienpension. Es gab ja schon das Hotel de France für die Durchreisenden, aber das war nichts für die, die länger blieben. Auch das Hotel Atlantique gleich hier nebenan hatte Ateliers."
Gebaut wurde das Haus von Francoise Gloux’ Urgroßvater: Alfred Guillou, einer der ganz wenigen waschechten Bretonen unter den Malern. Mit ihm fing alles an – und mit Théophile Deyrolle, den er an der Akademie in Paris kennengelernt und nach Concarneau eingeladen hatte.
"Deyrolle war im Kaukasus gewesen und kam 1871 zurück, also gerade, als die Preußen Paris besetzt hatten. Deshalb wollte er da nicht hin und entschloss sich, Guillou zu besuchen. Man verstand sich gut, und Deyrolles heiratete Guillous Schwester."
"Also das untere Bild da, das ist Théophile Deyrolles ... beim Austernsammeln, er war nämlich auch ins Fischgeschäft eingestiegen und verschiffte bis nach Norwegen ... das Bild wurde gemalt von Emile Hirschfeld, einem russischen Maler, der sich um 1880 hier niedergelassen hatte, mit Emmy, seiner Frau aus Wien, auch Malerin. Hier dieses Bild zeigt Deyrolle Schwiegertochter, und hier, der zwölfjährige Junge in Uniform, das ist Jean Deyrolles. Mein Großvater."
Jean Deyrolle, geboren 1911, ging in den 30er-Jahren nach Paris, ins Zentrum der Avantgarde, und wurde nach dem Krieg einer der wichtigen abstrakten Maler Frankreichs. Er trat also heraus aus dem Kreis der petits maitres, die das Bild der bretonischen Künstlerkolonien bestimmt hatten. Etliche dieser "kleinen Meister" waren etablierte Pariser Maler, die nur sommers in der Bretagne weilten, um für die großen Ausstellungen realistische Genreszenen und Landschaften zu produzieren. Aber die meisten waren gerade aus Paris weggegangen, um diesem Akademismus, auch "l’art pompier" genannt, zu entgehen und dürften sich entsprechend erhaben gefühlt haben gegenüber diesen Vertretern einer obsoleten Kunst. Aber entstand irgendwo in der Bretagne, außer in Pont-Aven, so etwas wie eine Schule, ein Stil?
"Nein, sie waren alle Individualisten, angezogen nur vom selben Milieu, zum Beispiel Hirschfeld, den faszinierte das nächtliche Meer, der Mond, die Landschaft, für andere war es die Luft, die Schiffe."
"Allein die Farben der Umgebung verlockten sie zum Malen, hier fanden sie die Freiheit, Leute zu malen, ihnen beim Leben zuzuschauen, so wie es war. Sie machten das Leben der einfachen Leute zum Thema, Arbeiter, Bettler, Fischer, Kinder."
In den Bildern der Bretagne-Maler, finden sich alle Einflüsse ihrer Zeit. Nicht umsonst waren sie ja, ob Skandinavier, Russen oder Kanadier, ausnahmslos über Paris, die Hauptstadt der Kunst, hergekommen. Aber ob akademischer Realismus, Impressionismus, Pointillismus, ob Ecole de Barbizon und der Nabis: Alle verbindet das Besondere der Atmosphäre und der Landschaft, die sie atmeten, aufnahmen, darstellten. Das gilt auch für die Bilder bekannter Maler, die sich kürzer oder länger hier aufhielten, Signac, Sérusier, Delaunay, Corot.
Im Museum der schönen Künste von Quimper. Hier kümmert man sich auch um das Erbe der Künstlerkolonien, begibt sich auf ihre Spur. Ein Filmdokument wird gezeigt, ein Interview mit einer Zeitzeugin: Der Tochter des amerikanischen Malers Sidney-Lough Thompson.
Auf der Strandpromenade von Concarneau. In der Bucht von Cornouaille, die sich gegenüber bis zum Meereshorizont hinzieht, führt eine große Segelschule ein Ballett auf. Ins felsige Ufer schneiden die kleinen Buchten mit ihren Sandstränden ein. Vor 100 Jahren saßen hier weißbehandschuhte Damen an Klapptischchen unter Sonnensegeln und ließen sich das Picknick von einer Bretonin in Tracht servieren. An der äußersten Spitze der Promenade steht ein weißes Haus.
Die typische Seebad-Architektur: Fenster über den Bruchsteinen, Bordüren, weiße Erker. Ja, das ist das Haus, das auch auf der alten Zeichnung zu sehen ist, auf dem der russische Maler Emile Hirschfeld im Vordergrund posiert. Es stand damals noch fast allein, nur eine weitere Villa stand 50 Meter landeinwärts, gebaut 1905 von eben jenem Emile Hirschfeld und seiner Frau Emmy, meiner Großtante. Auch diese Villa in der Rue Dr Calmette mit ihren zwei Ateliers hinter der hohen Glaswand ist ein Zeitzeuge. Zugunsten eines Kataloghauses abgerissen wurde hingegen in derselben Straße das wilde Schloss mit Türmen und Erkern des französischen Künstlers Le Gout Gérard, lange eine Art Anführer der Künstlermeute. In dieses großbürgerliche Haus war Emmy Hirschfeld, die 90 Jahre alt wurde und in ihrem Leben nie gekocht hat, einmal in der Woche zum Diner gekommen – als Freundin, aber auch als zahlender Gast. Speisen auf Abonnement - solche versunkenen Sitten gab es noch in den 60ern, so wie in manchen Restaurants das Essen gegen Bilder verrechnet wurde oder die Kunden in die Creperie ihre eigenen Eier mitbrachten.
Abgerissen wurde auch das alte Waschhaus auf der Promenade, warum bloß? Damit keine Erinnerung an die Mühsal vor der Erfindung der Waschmaschine bleibt? Eine Mühsal, die auch den zugereisten Künstlern bald aufging; sie suchten ja hier das Authentische, das Anti-Paris, aber das wahre Leben der bretonischen Fischer bestand keineswegs nur aus gut gelaunter Netzflickerei und heiteren Feierabendtänzen. In vielen Bildern finden sich Hinweise darauf, aber zerlumpte Kinderkleidung geht immer noch als Genre durch. Wenige, wie Achille Granchi-Taylor zeigten wirkliches Elend: Eine Familie steht hoffnungslos vor dem mageren Fang des Vaters. So wie es in den Jahren um 1905 gewesen sein muss.
Die Fete des Filets bleus, das Fest der blauen Netze: Jedes Jahr krönt es den August als die sommerliche Attraktion in Concarneu, Manifestation bretonischer Identität und natürlich längst ein touristisches Event. Diese scheinbar uralte Tradition ist eine moderne Erfindung: Es waren die Künstler von Concarneau, die der einheimischen Bevölkerung helfen wollten, als nach 1900 ein längeres Ausbleiben der Sardinen ernste Not verursacht hatte: ein Vorschein des Strukturwandels sozusagen, ausgedacht von Bohemiens und Städtern für Fischer und Arbeiter.
So wurde eine Verbundenheit betont zwischen zwei Welten, die eigentlich herzlich wenig miteinander zu tun hatten.
"Ich sag euch, diese Maler, über die wisst ihr gar nichts, weil sie nämlich anders sind als unsereiner!"
So spricht Guenn, die Hauptperson im gleichnamigen Roman der Amerikanerin Blanche Howard-Willis. Guenn, man glaubt, sie auf einem Bild heimkehrender Sardinenarbeiterinnen von Alfred Guillou zu erkennen, Guenn also lebt das harte Leben eines Fischermädels; als ein junger, unbekümmerter amerikanischer Maler sie als Modell engagiert, verliert sie sich zwischen den Welten. Sie verliebt sich, er merkt es nicht einmal, am Ende steuert sie verzweifelt ihr Boot in die Wellen, die sie verschlingen.
"Guenn" wurde in den USA viel gelesen und sorgte für Nachschub in den amerikanischen Künstlerkolonien der Bretagne, besonders in Concarneau, wo der Roman spielt. Auch wenn es sich da "Plouvenac" nennt.
"Hier lebten die Künstler, die das Leben der einfachen Leute beobachteten und malten, Arbeiter, Bettler, Fischer, Kinder..hier im Haus wohnte mehrere Jahre lang Thompson mit seiner Familie."
Der Amerikaner Sidney Lough Thompson war der erste, der das Haus der heutigen Galerie Gloux bewohnte. Überhaupt war es, wie in jedem Ort mit Fremdenverkehr, das Mietwesen, das alle zusammenbrachte. Da kann man annehmen, dass es in Concarneau und den anderen Künstler-Nestern der Bretagne auch heute noch mehr Atelierräume gibt als üblich.
"Ich habe Ateliers gesehen, gebaut von Bürgersleuten in ihren Häusern, die wurden vorbeireisenden Künstlern angeboten. In vielen Häusern, die seit 1880 gebaut wurden, lagen über den Ladenräumen Ateliers. Das waren aber schon etwas wohlhabendere Leute, die das bauten. Dann die Restaurants, die lebten auch gut von den Künstlern. In der Markthalle lag über dem Erdgeschoss eine Ausstellungshalle, da fanden die Ausstellungen statt im Sommer, da musste im Sommer 1931 die Liste geschlossen werden, weil es zu viele Anmeldungen gab."
Nach dem Einkaufen geht man in Concarneau ins Café l’Amiral, am Quai Péneroff, wo Gauguin sich einmal mit einem Pulk betrunkener Fischer prügelte; und wo George Simenon seinen missvergnügten Kommissar Maigret auf die Spur der Demoiselles de Concarneau schickte. Das Amiral ist auch sonst ein Stück Stadtgeschichte.
"In den 30er-Jahren, das war schon die dritte Generation der Maler, die hatten die Idee, eine freie Republik zu gründen. Mit allem Drum und Dran, mit Pässen, einem Präsidenten, sogar ein Konsulat gab es, mit Sitz im l’Amiral."
"Die Maler mussten Beiträge zahlen, aber die Frauen gingen frei. – Auch Emmy? – Klar!"
"”The architecture has so many influences, I see German, English, Celtic inspiration …”"
Im Melderegister von Concarneau hat Jean-Michel Gloux einmal gezählt, aus wie vielen Nationen zwischen 1880 und den 30er-Jahren die Maler nach Concarneau kamen. Es waren rund 50. Das ist vorbei, aber Licht, das Meer und der Himmel der Bretagne ziehen immer noch Menschen mit Leinwänden im Gepäck an, Galerien pflegen das Zeitgenössische und das Erbe der Bretagne-Entdecker, und in vielen Häusern zeugen ihre Bilder von einer anhaltenden Liebe zu den petits peintres, die diese Landschaft und ihre Menschen selbst mit Liebe verewigt haben.
Und noch was: Pont-Aven wird immer vom Ruhm zehren, die Stadt Gauguins zu sein. Aber das Baseball-Match, das haben damals die Künstler aus Concarneau gewonnen.