Die Coronapandemie hat Deutschland fest im Griff und auch wenn Hoffnung da ist, steht noch ein langer, harter Winter mit vielen Toten bevor. Deshalb will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Zeichen setzen und bittet die Menschen gut sichtbar ein Licht ins Fenster zu stellen. Seit halb fünf heute Nachmittag geht er im Schloss Bellevue mit gutem Beispiel voran- es leuchtet im Fenster über dem Portal ein Licht – zum Gedenken an die Corona-Toten in Deutschland.
Zu viele Informationen, zu wenig emotionale Reaktionen
Eine gute und wichtige Idee, sagt Aleida Assmann im Dlf. "Es ist ein Zeichen, wir vergessen euch nicht. Das Zeichen ist eine sehr wichtige Botschaft", sagt Assmann, "weil im Zentrum so ein Missverhältnis entstanden ist. Ein Überangebot von Informationen, ein Ausbleiben von emtionalen Reaktionen. Und so ein Zeichen könnte einen Zusammenhang darstellen zwischen den Trauergesten."
Bislang kenne man Kerzen vor allem aus dem öffentlichen Raum. "Da waren sie immer ein ganz starkes Zeichen überall da, wo Terror und Gewalt eine Stadt gezeichnet haben." Jetzt ist es etwas anderes. "Wir stellen jeder eine Kerze ins Fenster." Nun gehe es darum auch persönlicher Trauer Ausdruck zu verleihen, Trauer um Angehörige, um Nachbarn.
Suche nach einem neuen kulturellen Muster
Die in den Nachrichten bekannt gegebenen Zahlen von manchmal über tausend Toten lassen uns nicht abstumpfen, sagt Assmann, "aber wir können es uns nicht wirklich vorstellen. Eintausend Corona-Tote täglich, das sind vier Flugzeugabstürze." Da stelle sich schon die Frage, wie man dies in ein sinnliches Verständnis umsetzen könne, glaubt die Kulturwissenschaftlerin. "Wir brauchen dafür eine emotionale Antwort."
Das Aufstellen einer Kerze im Fenster sei "ein neues Ritual für eine neue Situation. Alle sind wir unerfahren und haben dafür auch noch kein kulturelles Muster. "Aber Riten sind wichtig, betont Aleida Assman, "und die Erfindung neuer Riten ist hilfreich."
Netzwerke der Solidarität
Diese Art von Ritualen seien auch keine Appelle zum Durchhalten, betont sie, sondern zum Ernst nehmen. "Wenn wir alle es Ernst nehmen, erkennen wir die Gefahr an und erkennen den schweren Verlust an und können dann auch nicht so laut weiter leugnen. Ich denke, das würde die Solidarität stützen." Das Licht im Fenster sei auch nicht nur für sich selbst, "sondern auch für das Nachbarhaus." Daraus entstehen dann auf lange Sicht Netzwerke der Solidarität. Diese Zeichen sind der derzeitigen Situation angemessen und erst wenn die Pandemie vorbei ist, könne man über Denkmäler nachdenken, sagte Aleida Assmann.