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Liebe in Zeiten der Diktatur

Seit dem Sommer leitet Chefdirigent Ulf Schirmer die Leipziger Oper. Zur ersten Premiere der neuen Saison trat er allerdings nicht selbst ans Pult. Dirigent Anthony Bramall und Regisseur Michiel Dijkema interpretierten Puccinis "Tosca".

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Gelb, zitronengelb – das Haus hat sich neu eingekleidet. Alles ist jetzt gelb. Die Plakate, von denen der neue Intendant lächelt, die Schlipse des Personals, das einem den Mantel abnimmt oder Programmhefte verkauft. Die Leipziger Oper, das Arbeiterbarock-Vermächtnis der DDR- und speziell der Ulbricht-Zeit, soll leuchten. Möglichst hell.

    Indes – die erste Premiere unter der neuen Intendanz, wenn auch sicher schon des längeren vorher programmiert, belehrt einen eines anderen. Es mufft gewaltig auf der Bühne. So viel Kitsch, das erinnert eher an frühere Zeiten.

    Der Vorhang öffnet sich. Wir sehen über die ganze Breitwandbühne gespreizt ein Feld von Kerzen, wie man es kleinformatig aus katholischen Kirchen kennt. Davor eine übergroße Marienstatue.

    Puccinis Oper "Tosca", das erste Bild, spielt in einer Kirche. Der Maler Cavaradossi versteckt dort den flüchtigen Kopf der Republikaner vor dem Machtapparat des königlichen Polizeichefs Scarpia. Hier sinnigerweise in einer rattenkäfig-artigen Kiste.

    Man schreibt das Jahr 1800 in Rom. Und das sieht man auch am plüschigen Kleid des jungen Sängerstars, Tosca, der Geliebten des Malers Cavardossi, auf die es aber auch der Polizeichef abgesehen hat.

    Der Regisseur Michiel Dijkema, der auch sein eigener Bühnenbildner ist und es eher verspielt mag, und seine Kostümbildnerin Claudia Damm lassen dann zum Te Deum in diesem krematorienhaften Andachtsraum auch noch aus der Tiefe den gesamten Kirchenstaat schön drapiert auf einer Orgel aufsteigen.

    Vorher haben die Messknaben mit ihren Wärterinnen noch ein flottes Tänzchen hingelegt. Und wenn im dritten Akt der von Scarpia auf Drängen Toscas freigelassene Cavaradossi zum Schein erschossen werden soll, fahren aus der Tiefe Engel mit Flinten statt Kerzen in der Hand.
    Ein graubärtiger Greis, offenbar der liebe böse Gott, steigt aus einer großen Kiste, von der herab die getäuschte Tosca sich denn auch noch in die Tiefe stürzen darf, und sammelt die Toten ein – oder so ähnlich.

    Man wäre geneigt, das als – wenn auch schwache – Parodie zu begreifen, wenn nicht auch die Personenführung so ärmlich und inkonsequent wäre oder wenn zumindest exzellent gesungen würde. Aber gesungen wird vor allem laut.

    Erst gegen Ende des Abends gestattet man sich auch ein paar Zwischentöne. Jedenfalls der Sänger des Cavaradossi, Gaston Rivero. Die Sängerin der Floria Tosca, Viktoria Yastrebova, bewältigt ihre Partie mit starkem Vibrato. Einen profunden wenn auch etwas rauen Bass bietet Sebastian Catana als Scarpia. Ein Genuss lediglich das unter Anthony Bramall wunderbar weich und klangschön aufspielende Gewandhausorchester im Graben.

    Dass man allerdings die bei Barenboim in Berlin und bei Young in Hamburg eingeführte Unsitte, zur Applausordnung das Orchester mit auf die Bühne zu holen, jetzt auch in Leipzig kopiert, dass die Sänger und der nur im ersten Akt beschäftigte Chor mit ausgiebigen Zwischenvorhängen sich präsentieren dürfen, zeigt, dass man sich in Leipzig vom Musiktheater wieder verabschieden und alte Opern-Klischees restaurieren will.

    Im Impressum des Hauses steht aber neben dem Dirigenten-Intendanten Ulf Schirmer auch noch Peter Konwitschny als Chefregisseur. Gewechselt wurde die Dramaturgie. Christian Geltinger zeichnet dort nun verantwortlich, auch mit für diese "Tosca". Immerhin das Programmheft ist solide. Und das Publikum scheint ja das neue Gelb zu goutieren. Es jubelte.