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Liebe in Zeiten des Umbruchs

Es war das Entsetzen über den deutschen Überfall auf die Sowjetunion, das den russischen Komponisten Sergei Prokofjew dazu brachte, Tolstois "Krieg und Frieden" in eine Oper zu transformieren. Regisseur Nicolas Brieger hat sich des Stücks angenommen und ist an der Kölner Oper vielversprechend in die Saison gestartet.

Von Christoph Schmitz |
    In Köln ist etwas gelungen. Aus verschiedenen Gründen. Bei der Politik muss man beginnen. Stalins Handschrift ist in Sergej Prokofjews Oper "Krieg und Frieden" ja nicht zu überhören. Im vaterländischen Krieg gegen Hitlers Invasoren sollte patriotisch Stimmung gemacht werden, um die Massen für die Sache des Diktators zu gewinnen. Bei der Kunst muss man weitermachen. Denn Prokofjew hatte im Kompositionsprozess nicht nur mit den politischen Erwartungen zu ringen. Tolstois Monumentalepos über die gesellschaftlichen Verhältnisse Russlands während der Napoleonischen Kriege in einen Opernabend zu überführen, war schon für sich genommen ein Unterfangen, das die Möglichkeiten des Musiktheaters zu sprengen drohte. Siebzig Stunden gelesenen "Krieg und Frieden" hatte der Komponist am Ende auf viereinhalb Stunden Musik eingedampft. Dabei zerfällt das Werk, anders als der Roman, in zwei Teile. Die ersten sieben Bilder erzählen die unglückliche Liebesgeschichte von Fürst Andrej und Natascha, die folgenden sechs Bilder vom Krieg, wo politisch korrekt jene sowjetische Pathospauke geschlagen wird. Jetzt zum Gelingen: Der Regisseur der Kölner Inszenierung, Nicolas Brieger, hat mit seinem Zugriff beide Schwächen der Oper, das Vaterlandsgedröhne und den ästhetischen Bruch, geschickt in den Hintergrund gedrängt und damit die Komposition näher an Tolstois Epos herangeführt.

    Brieger hat zum einen beherzt gekürzt, die Partie des siegreichen russischen Feldmarschalls Kutusow samt Jubelfeier sogar komplett gestrichen. Still und nachdenklich endet in Köln die Oper und dauert nur noch gute drei Stunden. Zum anderen hat Brieger von vornherein das Private und Politische miteinander szenisch verquickt. Andrejs und Nataschas Liebesgeschichte spielt im Ambiente einer dekadenten, selbstsüchtigen Machtelite, deren Untergang längst besiegelt ist. Die private Erschütterung tragen und treiben die Protagonisten hinein in die eskalierende Gewalt, ins reinigende Stahlgewitter. Auch Bühnenbildner Raimund Bauer verbindet die Sphären. Die autistische Aristokratie dreht ihre Walzerschritte auf roher Erde zwischen den schimmelnden Kulissen der Paläste. Wobei die gammeligen Wände selbst in permanenter Bewegung sind und den Blick freigeben auf die Fotografie eines fluchtartig verlassenen Herrschersaales unserer Tage irgendwo zwischen Bagdad und Tripolis. Dennoch: Bühne und Szene aktualisieren nicht und historisieren nicht. Sie zeigen vielmehr ein zeitloses Drama über Menschen und Gesellschaften in Zeiten des Umbruchs. Die ein oder andere etwas überspitzte Bildidee schmälert den Erfolg kaum.

    Das Sängerensemble mit seinen fast 30 solistischen Rollen ist in Köln glänzend besetzt. Stellvertretend seien nur drei genannt: Johannes Martin Kränzle als Andrej mit einem schön konturierten und farbreichen Bariton, Olesya Golovneva als Natascha mit einem lyrischen, Gold schimmernden Sopran und Matthias Klein als Pierre Besuchow mit glänzendem Tenor. Das Gürzenich-Orchester unter Michael Sanderling, dem Sohn des gestern verstorbenen legendären Dirigenten Kurt Sanderling, arbeitet präzise und lebendig die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Klangschichten der Partitur heraus. Viel Tschaikowski ist dabei zu hören und auch Puccini. Das Kanonengedröhn wirkt dabei wie ein Spaß. Die Kölner Oper ist mit dieser Spielzeiteröffnung vielversprechend in die Saison gestartet.