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Liebesbriefe im Baumstamm

Die 500 Jahre alte, riesige Bräutigamseiche steht im Naturpark „Holsteinische Schweiz“ nahe der Stadt Eutin. Seit 1927 ist sie der einzige Baum der Welt mit einer eigenen Postadresse. Wer ihrem ausgehöhlten Baumstamm ein Botschaft anvertraut, könnte bald Antwort erhalten. Schon viele Paare haben so zueinander gefunden: eine Kontaktbörse aus Holz und Blättern.

Von Martin Koch |
    Majestätisch steht sie da, 25 Meter hoch, ihre weit ausladenden Zweige mit den noch jungen Blättern bilden ein sanftgrünes Dach über der Lichtung im Dodauer Forst, fünf Kilometer vor Eutin: die Bräutigamseiche.

    „Die ist ungefähr um die 500 Jahre alt, das Loch, liegt circa drei Meter über dem Erdboden, das ist ein abgefaulter Ast. Und da hatte sich dann eine Wölbung ergeben, wo dann die Post reingelegt wurde. Wie die das geschafft haben, ist mir ein Rätsel. Damals war ja noch keine Leiter hier, aber die haben es trotzdem irgendwie geschafft.“

    Karl-Heinz Martens ist zwanzig Jahre lang als Briefträger hierhergekommen, mitten in den Wald, um Briefe und Karten in dieses Astloch in luftiger Höhe zu legen. Im Schnitt waren es mindestens drei am Tag, mehr als tausend pro Jahr.

    „Ja wirklich aus der ganzen Welt: ob nun Südamerika, Amerika, aus China, aus den nordischen Staaten, selbstverständlich auch aus der Bundesrepublik.“

    Bräutigamseiche – Dodauer Forst – 23701 Eutin, so lautet seit mehr als 80 Jahren die Adresse für Herzenswünsche. Auch heute ist der Naturbriefkasten gefüllt: Die 15-jährige Bianca aus Hessen sucht eine Brieffreundin, Olga aus Weißrussland schreibt in Sonntagnachmittagsausgehschrift, dass sie sich einen liebevollen Partner wünscht und Klaus aus Hannover möchte einfach nur eine Begleitung für gemeinsame Ausflüge finden. Auch handgeschriebene Zettel ohne Umschlag liegen im Baum – hier hat die Post schon lange kein Monopol mehr: Jeder darf was hineinlegen. Und noch wichtiger: Jeder darf die Briefe lesen!

    „Das ist die einzige Stelle, so weit ich weiß, wo das Briefgeheimnis total aufgehoben worden ist.“

    Ihren Namen verdankt die Bräutigamseiche dem Happy End einer Liebesgeschichte, die eigentlich zum Scheitern verurteilt war. Ende des 19. Jahrhunderts verliebte sich die Tochter aus dem hundert Meter entfernten Forsthaus in einen Leipziger Schokoladenfabrikanten. Weil ihr Vater Treffen nicht erlaubte, konnten sich die Liebenden nur heimlich Briefe schreiben – und die legten sie in eben dieses Astloch in der Eiche. Irgendwann hatte der Förster doch ein Einsehen und im Jahr 1891 feierten seine Tochter und ihr Geliebter unter dem Baum Hochzeit – seitdem ist es die Bräutigamseiche.

    Claudia und Friedrich Christiansen aus dem nahegelegenen Malente sitzen auf einer der Bänke am Rande der Lichtung und genießen die Ruhe, das Vogelgezwitscher und das sanfte Licht der Sonnenstrahlen, die durch das Eichenlaub dringen. Die beiden kommen immer wieder her und denken daran zurück, wie der Baum vor zwanzig Jahren die Wege der jungen Frau aus dem Erzgebirge und des Landmaschinenmechanikers aus Schleswig-Holstein zusammengeführt hat:

    „Das war damals noch tiefste DDR-Zeit, 1988, da wurde die Eiche im Bayrischen Rundfunk vorgestellt, beziehungsweise Herr Martens, und da wurde die Adresse der Bräutigamseiche eingeblendet, und wie das damals so war, da hat man da hingeschrieben in der Hoffnung auf Brieffreundschaften oder so was. Und dann hab ich da hingeschrieben und hab Antwort gekriegt.“

    Sie sieht ihren Mann liebevoll an. Der 56-Jährige erinnert sich noch genau an den Tag, als er in der Bräutigamseiche den Brief fand, der sein Leben verändern sollte.

    „Ja, es war im Februar, es war ein kalter Tag, ich kam hier sowieso vorbei und hab reingeguckt. Und da war auch nur der eine einzige Brief drin zu der Zeit. Die Briefmarke war schon ab, weil Sammler auf DDR Marken aus waren, und dann gefiel mir die Handschrift so schön auf dem Brief und da dachte ich, da schreibst du mal hin, und aus dem einen Brief wurden 30, 40 Briefe, die wir hin und her geschrieben haben.“

    Sie fanden sich immer sympathischer und mit einigen Tricks schafften sie es, dass er sie trotz der strengen DDR-Einreisebedingungen ein paar Mal besuchen konnte.

    Nach der Öffnung der Grenzen wurde vieles einfacher – und im Mai 1990 feierten sie ihre Hochzeit. Wie viele andere Ehen und Brieffreundschaften die Eiche gestiftet hat, weiß niemand so genau. Auf jeden Fall ist sie eine der Hauptsehenswürdigkeiten im Nationalpark „Holsteinische Schweiz“ mit seinen ausgedehnten Wäldern und zahlreichen Seen. Einheimische bringen ihre Besucher deshalb gern zu diesem kuriosen Ort. Gerade zeigt Dörthe Langer aus dem wenige Kilometer entfernten Ahrensbök ihren Gästen den legendären Baum.

    „Es ist so, dass unsere Freunde aus Hamburg gesagt haben, Mensch, wir würden uns gern mal Eutin anschauen. Und dann hab ich mir überlegt, das Wetter ist heute toll, dann fangen wir mal mit der Bräutigamseiche an und dann kümmern wir uns um den Rest der Umgebung.“

    In dem 17.000-Einwohner-Städtchen Eutin locken das malerische Schloss, die Altstadt mit ihren historischen Fachwerkhäusern, Jugendstilfassaden und Renaissancegiebeln sowie die 750 Jahre alte Michaeliskirche Touristen und Tagesausflügler. Für Karl-Heinz Martens aber ist größte Attraktion die Bräutigamseiche – denn auch für ihn hatte sie eine im besten Sinne schicksalhafte Bedeutung:

    „Ja, ich hab das große Glück, dass meine Frau mich über den Baum kennengelernt hat. Sie hat das im Fernsehen gesehen, und da hatte ich leider gesagt, dass ich ungebunden bin. Und dann hat sie zu ihrem Sohn gesagt : ‚Das muss sich ändern!‘ Und ja, ich bin nach wie vor mit ihr verheiratet.“