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Liebeserklärung an die 80er-Jahre
"Die Kassette ist ein Symbol für unsere Generation"

Schulterpolster, Jane-Fonda-Aerobic, "What a feeling" auf Kassette - das gehörte zur Mainstream-Popkultur der 80er-Jahre. Anne Weiss und Stefan Bonner haben in ihrem Buch "Wir Kassettenkinder" versucht, das Lebensgefühl der Jugendlichen dieses Jahrzehnts einzufangen. "Die 80er-Jahre sind das einzige Jahrzehnt mit einem echten Happy End", sagte Anne Weiss im DLF.

Anne Weiss im Corso-Gespräch mit Thekla Jahn |
    Anne Weiss und Stefan Bonner, die Autoren von "Wir Kassettenkinder"
    "Wir wollen diese Erinnerung an damals konservieren": Anne Weiss und Stefan Bonner, die Autoren von "Wir Kassettenkinder" (Uli Kreifels)
    Thekla Jahn: In Ihrem Buch "Wir Kassettenkinder" lobpreisen Sie regelrecht die Kassette, warum das?
    Anne Weiss: Die Kassette ist natürlich ein Symbol für uns, unsere Generation. Also die Kassettenkinder sind großgeworden, nicht nur mit der Musikkassette und den dazugehörigen Hörspielen oder Mix-Tapes, sondern natürlich auch mit der Videokassette oder der Datasette, das heißt: Die Kassette ist tatsächlich so ein Symbol für die 80er, das uns immer wieder gerne auch zurückerinnert.
    Jahn: Bleiben wir mal bei der Musikkassette, die Musikkassette hat ja deswegen so einen Auftrieb, weil Musik für Jugendliche und junge Erwachsene in den 80er-Jahren ganz stark von Radiosendern geprägt war und man versuchen musste, einen guten Sender zu finden. SWF 3 vielleicht, "Elmi Radio Show" oder "BFBS Top 40", um dann diese Mix-Tapes zusammenzustellen.
    "In den 80ern hatten wir natürlich auch den Ausblick auf die neue Zukunft"
    Weiss: Das hängt natürlich ganz klar davon ab, wo man in den 80ern gewohnt hat, und da haben auch schon der Kollege, mit dem ich das Buch zusammen geschrieben habe, und ich sehr große Unterschiede festgestellt. Ich bin aus dem Raum Bremen und habe dann natürlich Radio Bremen 1 gehört oder ich habe dann "BFBS Top 40" gehört, große Kultsendung. Und hier im Raum natürlich dann "Elmis Radio Show" von SWF 3.
    Ja klar, das prägt natürlich auch das, wie wir mit Kassetten und auch mit Mix-Tapes umgegangen sind. Denn nicht zuletzt waren ja auch die Sprüche, die der Moderator gemacht hat, am nächsten Tag dann immer Gespräch auf dem Schulhof. Auch die verlaberten Songs, also wenn halt der Moderator reingequatscht hat am Anfang des Songs, das gehört einfach zu diesen Musikkassetten.
    Die Staumeldung, die dann zufällig mit aufgezeichnet worden ist oder der Wetterbericht - und selbst heute, wenn wir denselben Song im Radio noch mal hören, erinnern wir uns oft an genau den Wortlaut, der damals gesprochen wurde drum herum. Und das gehört mit dazu.
    Jahn: Heutzutage sind viele Musiksendungen ja von Musikrobotern bestückt. Ist das etwas, was dazu führt, dass sich viele gerne an die Mixkassette erinnern?
    Weiss: Einerseits natürlich klar, wir Kassettenkinder haben dieses analoge Jahrzehnt, in dem wir aufgewachsen sind, sehr liebgewonnen. Das heißt, wir haben natürlich die Mix-Tapes damals noch gesammelt und haben die in Musikkarussells untergebracht und gehegt und gepflegt.
    Andererseits hatten wir in den 80ern natürlich auch den Ausblick auf die neue Zukunft und das was kommen würde durch so Sachen wie "Zurück in die Zukunft". Manchmal ist es so ein bisschen, als wäre man mit einer Art Flux-Kompensator unterwegs, wenn man sich zu seinen eigenen Musikkassetten zurückbegibt, weil man dann einfach diesen Sound der Zeit noch mal genießen kann.
    "Wir wollen diese Erinnerung an damals konservieren"
    Jahn: Ist es so, dass die Kassettenkinder, die jetzt so um die 40 sind, alt werden - dass sie sich deswegen gerne erinnern an die 80er? So ein typisches Zeichen: früher war alles besser?
    Weiss: Ja, also einerseits ist es natürlich tatsächlich so. Wir kommen in ein Alter, in dem die 80er einfach aus der erlebten Zeit in die Zeitgeschichte rutschen. Und dann war es jetzt gerade Anfang des Jahres sehr schmerzlich, dass so viele Helden der 80er-Jahre gestorben sind. Also David Bowie, Götz George, Prince und nicht zuletzt Bud Spencer und Peter Lustig.
    Und das hat natürlich auch noch mal so einen wehmütigen Aspekt, dass wir merken: Okay, das ist die Vergänglichkeit und das wird uns auch früher oder später ereilen und wir wollen diese Erinnerung an damals konservieren. Und dann kommt natürlich auch hinzu, dass die 80er inzwischen so lange her sind, dass die Wunden - die Schulterpolster und Karottenjeans geschlagen haben - so langsam verheilt sind.
    Jahn: "Wir sind die Kassettenkinder, wir heißen Stefanie, Jan, Katja, Michael, Martina oder Daniel, wir gehören zu einem verschworenen Club, der das letzte, unverfälschte Jahrzehnt noch miterleben durfte und das Glück hatte, die Kindheit und Jugend in der besten aller Zeiten erleben zu erleben." Das schreiben Sie. Aber es gab in den 80er-Jahren ja durchaus Aids, es gab auch das Tanker-Unglück Exxon Valdez, es gab die Katastrophe von Bhopal und vieles andere. Also so schön, die gute, beste Welt war es nicht.
    Weiss: Wir haben diese ganzen Katastrophen und Ereignisse in dem Buch auch thematisiert, weil das kann man einfach nicht weglassen, wenn man über die 80er-Jahre schreibt. Nicht zuletzt das Unglück von Tschernobyl ist natürlich etwas, was uns und unseren Umgang mit Atomenergie sehr stark geprägt hat und was natürlich bis heute seine Folgen hat.
    Trotzdem sind die 80er-Jahre eine Zeit, in der wir Kassettenkinder sehr behütet aufgewachsen sind, weil wir natürlich auch noch in einem Alter waren, in dem die Eltern dafür gesorgt haben, dass man so umsorgt war, in dem wir uns eigentlich nicht so wirklich Gedanken um den Kalten Krieg zum Beispiel gemacht haben, weil uns ständig gesagt wurde: Ist ja alles nicht so schlimm.
    Unsere Eltern waren ja auch noch die Kriegsgeneration. Die sind eben einfach in einer Zeit aufgewachsen, die so schlimm war, dass sie versucht haben, uns auch ein bisschen zu behüten ein Stück weit, irgendwie vor dem, was da draußen so vor sich ging.
    "Die 80er-Jahre sind das einzige Jahrzehnt mit einem echten Happy End"
    Jahn: So ein kleiner Kokon.
    Weiss: Genau. Und nicht zuletzt ist es natürlich auch so, dass die 80er-Jahre das einzige Jahrzehnt ist, was mir bekannt ist, mit einem echten Happy End. Also der Mauerfall gehört mit zu meinen schönsten Erinnerungen. Mein Vater saß weinend vor dem Fernseher, weil wir auch Ost-Verwandtschaft hatten, und das ist eines der Ereignisse, die auch immer wieder zeigen, dass fast alles in den 80ern richtig gut ausging - abgesehen von den Chemieunglücken.
    Jahn: In Ihrem Buch schreiben Sie auch davon, das war ein Jahrzehnt, wo es noch Hoffnung gab. Wo man glaubte, man kann noch irgendwas bewirken, zum Beispiel mit dem Jutebeutel. Jute statt Plastik zum Beispiel. Oder dass man versucht zu kämpfen für die Natur und, und, und - Öko-Läden, Reformhäuser, all sowas kam auf. Ist es heute ein - im Vergleich zu den 80ern - trotzloses, perspektivloses hoffnungsloses Zeitalter?
    "Die 80er waren überschaubarer"
    Weiss: Also der Grund, warum wir diesen Eindruck haben, ist glaube ich, dass es damals einfach um eine regionale Entwicklung ging. Also man hat ganz viel regional gehabt, was heute eben global ist und uns deswegen einfach so übermächtig vorkommt. Und deswegen wünschen sich vermutlich auch viele Menschen in die 80er-Jahre zurück. Einfach weil es überschaubar war, nicht zuletzt mit den drei Programmen, aber natürlich auch mit den lokalen Katastrophen wie saurer Regen und sterbender Wald. Da konnte man was gegen tun. Man konnte auf die Straße gehen, das hat man auch gemacht.
    Wenn wir jetzt zurückschauen, dann wissen wir natürlich auch schon, wie es ausgeht, also wir wissen, dass es ein Jahrzehnt ist, in dem sich vieles einfach auch zum Guten gewendet hat, weswegen wir uns dann danach sehnen. Heutzutage haben wir das Gefühl das Beste liegt schon hinter uns, während wir damals noch das Gefühl hatten, das liegt noch vor uns.
    Jahn: Waren wir alle in den 80ern naiv mit solchen Sponti-Sprüchen: "Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin"?
    Weiss: Also das ist ja auch sehr viel verhohnepiepelt worden damals. Man muss einfach an den Humor der 80er-Jahre auch denken. Da war sehr viel Albernheit auch mit dabei, Otto Waalkes hat fast alles durch den Kakao gezogen, und trotzdem ist diese Zeit geprägt von diesem wahnsinnigen Idealismus auf die Straße zu gehen, gegen die Volkszählung zu sein, sich einfach bei Friedensdemos im Bonner Hofgarten zu tummeln. Da ist auch sehr viel guter Wille mit dabei einfach.
    "Witze brauchten noch nicht einmal eine Pointe"
    Jahn: Sie sagten gerade albern. Man lachte zusammen und hat noch nicht alles ironisiert.
    Weiss: Man hat noch nicht alles ironisiert und es war natürlich auch so, dass man sowieso so albern drauf war, dass die Witze noch nicht einmal eine Pointe brauchen. Diese Antiwitze: "Geht eine Oma durch den Tunnel und die andere hat auch fünf Mark." Also über solche Sachen haben wir damals gelacht und...
    Jahn: Aber es hat Eingang gefunden in die Werbung heutzutage.
    Weiss: Ja, auf jeden Fall.
    Jahn: Genannt haben Sie ihr Buch "Wir Kassettenkinder", und das hört sich ein bisschen so an wie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", auch ein Buch aus den 80er-Jahren, wenn ich das richtig sehe. Das ging in dem Buch aber keineswegs um eine heile Welt oder um epochale Zeiten, sondern um das ganze Gegenteil davon. Warum haben Sie genau diesen Titel so ein bisschen in Anlehnung an "Wie Kinder vom Bahnhof Zoo", nur über die heile Welt, geschrieben?
    Weiss: Das ist mir gar nicht so bewusst gewesen, dass diese Verbindung, dass man die so ziehen kann. Natürlich ist es auch ein Gemeinschaftserlebnis, was Christiane F. da schildert oder der "Stern"-Redakteur, der das dann geschrieben hat. Das ist ein Buch, mit dem wir auch aufgewachsen sind, was unsere Eltern uns dann immer über den Tisch geschoben haben: Hier, lies mal! Weil die natürlich wahnsinnige Angst auch hatten vor dieser Drogensucht von diesen Kindern am Bahnhof Zoo.
    Jahn: Aber alles ist gut ausgegangen, auch das.
    "Wir können froh darüber sein, dass die 80er so ausgegangen sind"
    Weiss: Naja, Christiane F., das ist ja auch immer so ein Beispiel dafür, das hat sehr viele Menschen bewegt, glaube ich, und auch vielen Kindern Angst gemacht vor dieser Zeit und es war ja auch ohnehin eine Zeit, in der diese Bewusstmachungsbücher nenne ich sie jetzt mal, große Konjunktur habe.
    Man denke irgendwie nur an "Die Wolke" oder "Wie die letzten Kinder von Schewenborn" hieß das. Das hat mir Albträume verursacht. Das war natürlich zu der Zeit Gudrun Pausewangs Aufweckbuch zur Atomkraft, und das finde ich auch ganz großartig, dass sie das geschrieben hat, aber ich war damals 12 als ich das gelesen habe und das hat mir Albträume verursacht.
    Jahn: Sowas kann einen durchaus auch prägen. Wenn Sie zurückdenken an die 80er und einen Punkt rausgreifen, wo Sie sagen, der müsste eigentlich für immer konserviert werden. Welcher wäre das?
    Weiss: Oh, das ist schwierig. Ich finde tatsächlich, dass die 80er-Jahre sich für mich aus so ganz vielen Einzelteilen zusammensetzten. Natürlich diese super Sorgloszeit mit den Eltern, das gemeinsame Spielen am Wohnzimmertisch, aber sagen wir auch diese Großereignisse sind Momente, an die wir alle zurückdenken sollen. Sei es jetzt Tschernobyl oder sei es jetzt der Fall der Mauer.
    Das waren schon so diese Momente, die man auch gerade in Anbetracht der Tatsache, wie wir heute im Moment auch in Deutschland, in Europa umgehen, eine ganz wichtige Sache, die man sich immer auch vor Augen halten sollte, dass Deutschland mal getrennt war und dass das keine gute Angelegenheit war und dass wir froh darüber sein können, dass die 80er so ausgegangen sind.
    Jahn: Anne Weiss, danke für das Gespräch. Gemeinsam mit Stefan Bonner hat sie eine Liebeserklärung an die 80er-Jahre geschrieben, "Wir Kassettenkinder". Danke Ihnen.
    Weiss: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.