Bayer: "Ich hatte die Musik dieser beiden immer im Kopf, als die Geschichte geschrieben hab. Weil die dieses Zwillingswesen waren. Also ich hab mir immer diese beiden vorgestellt. Als Vorbild für meine beiden, das waren Kolbe/Illenberger!"
Gefeierte Virtuosen waren sie von Mitte der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre: Wenn Martin Kolbe und Ralf Illenberger gemeinsam zu ihren akusti¬schen Gi¬tarren griffen, verschmolz die Musik beider Instrumente zu einem magischen Sphärenklang.
"Die waren sogar ein bisschen weltberühmt! Also die hatten Touren tatsächlich in Äthiopien und waren auch mal in den USA, soviel ich weiß, in Skandinavien, mit dem Goethe-Institut, und sie waren in ganz Deutschland ein sehr geschätzter Act."
Und nun sind sie, die sich als Duo 1987 trennten, literarisch wiederauferstanden – in angemessener Maskierung, versteht sich. Thommie Bayer, der Erzähler mit eigener musikalischer Vergangenheit, nennt sein Gitarrenduo im neuen Roman "Aprilwetter": Tanner & Krantz. Oder intimer: Benno und Daniel.
"Ich hatte das schon lange vor und hab’s diesmal gewagt, über Musik zu schreiben, so dass ich auch was mitteilen kann! Dass ich aus der Tatsache, dass ich mal Musiker war, ein bisschen Fachwissen nach draußen schicken kann! Also über Musik zu schreiben – darüber, was sie für Musiker bedeuten kann – das war mit ein echtes Anliegen diesmal. Und ich hatte immer Angst, es wird vielleicht zu viel Fachchinesisch und hab immer sehr aufgepasst, dass ich’s nicht übertreibe damit. Dass es nicht irgendwie bildungshuberisch wird oder technisch. Aber so viel musste sein, hatte ich das Gefühl."
Benno und Daniel - die bei¬den feiern wie Kolbe/Illenberger musikalische Messen, zelebrieren die Verschmelzung zweier Menschen im musikalischen Rausch. Doch das liegt zu Beginn des Buches 15 Jahre zurück. Denn nun haust Benno in einem her¬untergekommenen Trailer in den amerikanischen Südstaaten und verkauft sich unter Wert als Kneipenmusiker, was er nur durch die kontrollierte tägliche Alkoholzufuhr erträgt.
Daniel, mittlerweile mehr Geschäftsmann denn Musiker, holt den alten Kompagnon nach Deutschland zurück und resozialisiert ihn behutsam, indem er ihm die Geschäftsführung eines Cafés überträgt. Die Vergangenheit lassen sie aus gutem Grunde ruhen, denn einst hat Benno fluchtartig Daniel sitzenlassen und damit das musikalische Traumduo gemordet ... einer Frau wegen.
Als Menage à trois – Benno, Daniel und Christine – ist das zwar ein gängiges Motiv in der Literatur, doch muss man in der zeitgenössischen Belletristik lange suchen, bis man ein ähnliches Buch findet, das so genau und mit so großer Empathie selbst für Nichtmusiker nachvollziehbar beschreibt, was Musik zu machen eigentlich bedeutet. Eingearbeitet wird diese gelebte Erfahrung des Autors Thommie Bayer in ein vielfältiges Liebeskaleidoskop. Da wäre etwa die Liebe zwischen Benno und Daniel, platonisch zwar, doch so symbiotisch, dass keiner der beiden auch nur halb so gut alleine Gitarre spielte wie beide zusammen:
"Es gibt immer so kurzzeitig flammende Künstlerpartnerschaften! Man denke an Len¬non und McCartney zum Beispiel. Das waren insgesamt neun Jahre und haben sich zusammen und gegenseitig zu Höchstleistungen gebracht. Man hat sofort gemerkt, dass die beiden viel mehr waren als die Summe dieser beiden Könner. Denn als die auseinander waren, das was jeder einzeln gemacht hat, war nur noch nett!"
Dann ist da die Liebe von Christine zur Musik – also zu einem in menschlicher Verkörperung nicht existierenden Verschmelzungsprodukt aus Benno und Daniel, was wiederum die Liebe Christines zu einem der beiden Männer deutlich erschwert. Wem sie sich auch näherte, sie zerstörte damit ein Liebesobjekt auf jeden Fall, nämlich die betörenden Gitarrenklänge von Tanner & Krantz. Das ahnt Benno früher als Daniel, weswegen er den radikalen Schlussstrich zieht und die USA flieht.
Zwei Lieben Bennos – die zu Christine und die zu Daniel – sind damit gescheitert. Ihm bleibt nur eine dritte, unerschütterliche: die Liebe des Musikers zu seinem Instrument. Benno entdeckt in den USA die E-Gitarre als neues Objekt der Begierde und bildet sich darin zum Virtuosen aus. Kann man einzelne Instrumente so lieben, dass man glaubt, auf anderen nicht mehr spielen zu können? Thommie Bayer gerät in Fahrt:
"Ja! Jajaja, oh ja! Es gibt Einzelinstrumente, die werden verehrt und gesammelt und die werden immer teurer und immer kostbarer. Teilweise sicherlich auch, weil Leute die kaufen wie Ferraris oder so was. Teilweise aber auch, weil sie nur so klingen, wie sie klingen! Das sind praktisch Einzelstücke, weil das machen ja keine Roboter! Das wird zwar seriell gemacht, aber jede Spule ist von Hand ge¬wic¬kelt, da hat jemand gewickelt, und jeder macht’s ein bisschen anders oder hat ein bisschen anderen Schweiß an den Fingern, dann klingt die anders! Diese Instru¬mente haben tatsächlich Charakter, und Musiker würden sagen: Die haben Seele."
Seele hat auch der Roman "Aprilwetter", der die alte Geschichte von der unerfüllten Liebe mit neuem Leben füllt. Zwar heiratet Christine Daniel nach Bennos Flucht, doch das ist eine Ersatzhandlung. In Wirklichkeit gehört ihr Herz stets Benno, und am Ende des in Rückblenden erzählten Buches kommen beide im leisen Aufeinanderzugehen auch endlich zusammen. Das mündet allerdings nicht in sexuellen Exzessen, sondern führt zu der aus 15 Jahren getrennter Lebenserfahrung gespeisten Einsicht, dass man den Faden dort, wo er einst riss, nicht nahtlos wieder anknüpfen kann. Denn älter geworden sind nicht nur die Protagonisten; reifer, ruhiger und sensibler ist auch ihr Umgang mit der körperlichen Liebe. Nicht zuletzt liegt das an den Schreiberfahrungen des Autors:
"Ich hab das ja alles schon verfrühstückt! Ich muss mir jetzt langsam auch elegantere und kleinere Varianten überlegen, wenn ich überhaupt noch auf dieses Thema zurückkommen will. Das ist ja ohnehin eine Sehnsuchts- und Verzichts- und Selbstfindungsgeschichte! Die Sehnsucht spielt so eine riesengroße Rolle, dass ich die mit einer übertriebenen Erfüllung ... das hätte entweder die Sehnsucht verkleinert am Ende, oder ich wäre ihr nicht gerecht geworden. Das hat sich ir¬gend¬wie von selbst so ergeben, dass das behutsam sein musste und vorsichtig und eher dezent."
Wie seinen beiden musikalischen Taktgebern Kolbe und Illenberger gelingt Thommie Bayer mit "Aprilwetter" ein Verschmelzungskunststück: Unterhaltungsanspruch und erzählerische Qualität gehen virtuos ineinander über. Good vibrations.
Thommie Bayer: "Aprilwetter"
Piper Verlag, 218 Seiten, 16,95 Euro
Gefeierte Virtuosen waren sie von Mitte der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre: Wenn Martin Kolbe und Ralf Illenberger gemeinsam zu ihren akusti¬schen Gi¬tarren griffen, verschmolz die Musik beider Instrumente zu einem magischen Sphärenklang.
"Die waren sogar ein bisschen weltberühmt! Also die hatten Touren tatsächlich in Äthiopien und waren auch mal in den USA, soviel ich weiß, in Skandinavien, mit dem Goethe-Institut, und sie waren in ganz Deutschland ein sehr geschätzter Act."
Und nun sind sie, die sich als Duo 1987 trennten, literarisch wiederauferstanden – in angemessener Maskierung, versteht sich. Thommie Bayer, der Erzähler mit eigener musikalischer Vergangenheit, nennt sein Gitarrenduo im neuen Roman "Aprilwetter": Tanner & Krantz. Oder intimer: Benno und Daniel.
"Ich hatte das schon lange vor und hab’s diesmal gewagt, über Musik zu schreiben, so dass ich auch was mitteilen kann! Dass ich aus der Tatsache, dass ich mal Musiker war, ein bisschen Fachwissen nach draußen schicken kann! Also über Musik zu schreiben – darüber, was sie für Musiker bedeuten kann – das war mit ein echtes Anliegen diesmal. Und ich hatte immer Angst, es wird vielleicht zu viel Fachchinesisch und hab immer sehr aufgepasst, dass ich’s nicht übertreibe damit. Dass es nicht irgendwie bildungshuberisch wird oder technisch. Aber so viel musste sein, hatte ich das Gefühl."
Benno und Daniel - die bei¬den feiern wie Kolbe/Illenberger musikalische Messen, zelebrieren die Verschmelzung zweier Menschen im musikalischen Rausch. Doch das liegt zu Beginn des Buches 15 Jahre zurück. Denn nun haust Benno in einem her¬untergekommenen Trailer in den amerikanischen Südstaaten und verkauft sich unter Wert als Kneipenmusiker, was er nur durch die kontrollierte tägliche Alkoholzufuhr erträgt.
Daniel, mittlerweile mehr Geschäftsmann denn Musiker, holt den alten Kompagnon nach Deutschland zurück und resozialisiert ihn behutsam, indem er ihm die Geschäftsführung eines Cafés überträgt. Die Vergangenheit lassen sie aus gutem Grunde ruhen, denn einst hat Benno fluchtartig Daniel sitzenlassen und damit das musikalische Traumduo gemordet ... einer Frau wegen.
Als Menage à trois – Benno, Daniel und Christine – ist das zwar ein gängiges Motiv in der Literatur, doch muss man in der zeitgenössischen Belletristik lange suchen, bis man ein ähnliches Buch findet, das so genau und mit so großer Empathie selbst für Nichtmusiker nachvollziehbar beschreibt, was Musik zu machen eigentlich bedeutet. Eingearbeitet wird diese gelebte Erfahrung des Autors Thommie Bayer in ein vielfältiges Liebeskaleidoskop. Da wäre etwa die Liebe zwischen Benno und Daniel, platonisch zwar, doch so symbiotisch, dass keiner der beiden auch nur halb so gut alleine Gitarre spielte wie beide zusammen:
"Es gibt immer so kurzzeitig flammende Künstlerpartnerschaften! Man denke an Len¬non und McCartney zum Beispiel. Das waren insgesamt neun Jahre und haben sich zusammen und gegenseitig zu Höchstleistungen gebracht. Man hat sofort gemerkt, dass die beiden viel mehr waren als die Summe dieser beiden Könner. Denn als die auseinander waren, das was jeder einzeln gemacht hat, war nur noch nett!"
Dann ist da die Liebe von Christine zur Musik – also zu einem in menschlicher Verkörperung nicht existierenden Verschmelzungsprodukt aus Benno und Daniel, was wiederum die Liebe Christines zu einem der beiden Männer deutlich erschwert. Wem sie sich auch näherte, sie zerstörte damit ein Liebesobjekt auf jeden Fall, nämlich die betörenden Gitarrenklänge von Tanner & Krantz. Das ahnt Benno früher als Daniel, weswegen er den radikalen Schlussstrich zieht und die USA flieht.
Zwei Lieben Bennos – die zu Christine und die zu Daniel – sind damit gescheitert. Ihm bleibt nur eine dritte, unerschütterliche: die Liebe des Musikers zu seinem Instrument. Benno entdeckt in den USA die E-Gitarre als neues Objekt der Begierde und bildet sich darin zum Virtuosen aus. Kann man einzelne Instrumente so lieben, dass man glaubt, auf anderen nicht mehr spielen zu können? Thommie Bayer gerät in Fahrt:
"Ja! Jajaja, oh ja! Es gibt Einzelinstrumente, die werden verehrt und gesammelt und die werden immer teurer und immer kostbarer. Teilweise sicherlich auch, weil Leute die kaufen wie Ferraris oder so was. Teilweise aber auch, weil sie nur so klingen, wie sie klingen! Das sind praktisch Einzelstücke, weil das machen ja keine Roboter! Das wird zwar seriell gemacht, aber jede Spule ist von Hand ge¬wic¬kelt, da hat jemand gewickelt, und jeder macht’s ein bisschen anders oder hat ein bisschen anderen Schweiß an den Fingern, dann klingt die anders! Diese Instru¬mente haben tatsächlich Charakter, und Musiker würden sagen: Die haben Seele."
Seele hat auch der Roman "Aprilwetter", der die alte Geschichte von der unerfüllten Liebe mit neuem Leben füllt. Zwar heiratet Christine Daniel nach Bennos Flucht, doch das ist eine Ersatzhandlung. In Wirklichkeit gehört ihr Herz stets Benno, und am Ende des in Rückblenden erzählten Buches kommen beide im leisen Aufeinanderzugehen auch endlich zusammen. Das mündet allerdings nicht in sexuellen Exzessen, sondern führt zu der aus 15 Jahren getrennter Lebenserfahrung gespeisten Einsicht, dass man den Faden dort, wo er einst riss, nicht nahtlos wieder anknüpfen kann. Denn älter geworden sind nicht nur die Protagonisten; reifer, ruhiger und sensibler ist auch ihr Umgang mit der körperlichen Liebe. Nicht zuletzt liegt das an den Schreiberfahrungen des Autors:
"Ich hab das ja alles schon verfrühstückt! Ich muss mir jetzt langsam auch elegantere und kleinere Varianten überlegen, wenn ich überhaupt noch auf dieses Thema zurückkommen will. Das ist ja ohnehin eine Sehnsuchts- und Verzichts- und Selbstfindungsgeschichte! Die Sehnsucht spielt so eine riesengroße Rolle, dass ich die mit einer übertriebenen Erfüllung ... das hätte entweder die Sehnsucht verkleinert am Ende, oder ich wäre ihr nicht gerecht geworden. Das hat sich ir¬gend¬wie von selbst so ergeben, dass das behutsam sein musste und vorsichtig und eher dezent."
Wie seinen beiden musikalischen Taktgebern Kolbe und Illenberger gelingt Thommie Bayer mit "Aprilwetter" ein Verschmelzungskunststück: Unterhaltungsanspruch und erzählerische Qualität gehen virtuos ineinander über. Good vibrations.
Thommie Bayer: "Aprilwetter"
Piper Verlag, 218 Seiten, 16,95 Euro