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Liebich (Linke) zur Abschiebung von Sami A.
"Dürfen nicht rechtsstaatliche Grundsätze einem Volksempfinden opfern"

Der Salafist Sami A. sei niemand, für den man sich gerne einsetze, sagte der Linken-Politiker Stefan Liebich im Dlf. Aber Deutschland habe den Grundsatz, Menschen nicht an Staaten auszuliefern, in denen ihnen Folter drohe - was in Tunesien der Fall sein könnte. Recht und Gesetz müssten auch für Sami A. gelten.

Stefan Liebich im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich (Die Linke) spricht am 15. April 2016 während einer Bundestagssitzung im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes in Berlin.
    Die Abschiebung von Sami A. sei nicht mit dem Rechtsstaat vereinbar, so Stefan Liebich im Dlf (picture alliance / dpa Gregor Fischer)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Stefan Liebich, für Die Linke im Bundestag, dort unter anderem Außenpolitiker. Guten Morgen, Herr Liebich!
    Stefan Liebich: Schönen guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Dass man Sami A. nicht im Land haben wolle, sei Konsens, sagt gerade unser Korrespondent. Sind Sie froh, dass Sami A. nicht mehr in Deutschland ist?
    Liebich: Mir geht es vor allem um den Rechtsstaat in unserem Land. Natürlich ist jemand, der Salafist ist, der für so eine Ideologie wirbt, der mutmaßlich auch Straftaten vorbereitet hat, niemand, für den man sich gerne einsetzt. Aber wofür ich mich einsetze ist, dass bei uns Recht und Gesetz gilt. Das unterscheidet uns ja von Willkür-Staaten. Und wenn man heute sagt, man durchbricht eine Spirale, wie es der Innenminister gesagt hat, der für die Verfassung zuständig ist, dann frage ich mich, bei wem gilt das morgen.
    "Das mit dem Gefährder, das ist auch so ein diffuser Begriff"
    Dobovisek: Sie sehen trotzdem, dass Sami A. ein Gefährder ist, eine gefährliche Person? So war er eingestuft worden. Und den wollen Sie trotzdem schützen?
    Liebich: Das mit dem Gefährder, das ist auch so ein diffuser Begriff. Es gibt gar keine bundeseinheitliche Regelung dafür, wann jemand ein Gefährder ist und wann nicht. Das entscheidet Land für Land für sich. Das bedeutet letztlich nur, dass man annimmt, jemand könne eine Straftat begehen.
    Wir leben aber eigentlich in einem Land, wo man sagt, wir müssen eine Straftat ermitteln, nachweisen und dann dafür jemanden verurteilen. Das ist hier offenbar nicht gelungen. Das kann ja an Mängeln in unserem System liegen. Aber zu sagen, wir haben ihm keine Straftat nachgewiesen, aber er ist trotzdem schuldig, das entspricht nicht dem Rechtsstaat.
    Dobovisek: Die tunesischen Sicherheitsbehörden sind auch deutschen Experten zufolge ganz dicht dran an der Dschihadisten-Szene. Warum sollen die Tunesier dann nicht die Ermittlungen gegen Sami A. übernehmen? Schließlich ist er auch tunesischer Staatsbürger.
    Liebich: Ich habe überhaupt gar nichts dagegen, dass Deutschland und Tunesien zusammenarbeiten, und Tunesien ist seit der Revolution von der Diktatur von Herrn Ben Ali auf einem guten Weg. Aber sie sind noch nicht bei einem rechtsstaatlichen Status angekommen.
    Im Land selber wird von Menschenrechtsorganisationen darüber berichtet, dass sich in den Gefängnissen eigentlich nichts geändert hat, dass Gewalt und Folter dort bis heute an der Tagesordnung ist. Und wir haben eigentlich den Grundsatz, dass wir nicht in Länder ausliefern, wo so etwas droht.
    Wenn wir beginnen, das hier aufzuheben – ich wiederhole es noch einmal -, was heißt das dann für andere Länder? Ich halte es da ganz mit Herrn Kubicki: Wir dürfen nicht rechtsstaatliche Grundsätze einem sogenannten gesunden Volksempfinden opfern. Das ist hier vielleicht ein Anfang, wo man sogar Mehrheiten und Beifall bekommt. Aber wo soll das enden?
    "Wir leben in einem Rechtsstaat und das soll bitte so bleiben"
    Dobovisek: Die Linkspartei unterstützt die FDP. Das halten wir an dieser Stelle mal fest – ist selten genug. – Für die schwarz-rote Bundesregierung ist Tunesien ein sicheres Herkunftsland. Abschiebungen sollen deshalb künftig sogar noch einfacher werden. In der Begründung dazu heißt es: "Nach sorgfältiger Prüfung sei die Bundesregierung zum Ergebnis gekommen, dass dort generell, systematisch und durchgängig weder Verfolgung, noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung, noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt zu befürchten sind." – Ein bisschen sperrig. Zu Deutsch: Keine Folter. Das sehen Sie offensichtlich anders. Warum?
    Liebich: Nein, das teile ich nicht. Ich sage es noch mal: Tunesien ist auf einem schwierigen und guten Weg und Deutschland hat allen Grund, Tunesien zu unterstützen. Aber ich war mehrmals in Tunesien. Ich habe dort auch mit Leuten gesprochen. Es ist für die Opposition natürlich leichter als früher zu arbeiten, aber wir sind noch lange nicht an einem Punkt, wo man sagen kann, hier herrscht Rechtsstaatlichkeit.
    Ich glaube, die Formulierungen, die CDU, CSU und SPD dort gewählt haben, die basieren mehr auf der Stimmung hier bei uns im Land und der Hoffnung, von vermeintlichen Problemen hier befreit zu werden. Ich finde ohnehin das Konzept von sicheren Herkunftsstaaten, was leider ja auch von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt wurde im Bundesrat, schwierig, denn es geht doch hier um individuelle Rechte. Jeder muss individuell sein eigenes Recht geprüft bekommen. Das mag nervig klingen, aber ich glaube, das ist doch das Gute. Wir leben in einem Rechtsstaat und das soll doch bitte auch so bleiben.
    Dobovisek: Beteiligt, um jetzt zum Prozedere im Fall Sami A. wieder zurückzukommen, sind das Land NRW mit den Ausländerbehörden und der Bund mit BAMF und Bundespolizei, dem Innenministerium, also Horst Seehofer, dann natürlich noch die Justiz. Wer muss für diesen Vorfall die Verantwortung übernehmen?
    Liebich: Ich habe im Moment tatsächlich viele Fragen an Bundesinnenminister Seehofer. Es hat mich tatsächlich überrascht, dass er sich so konkret und auch mit einer klaren Vorverurteilung in diesen Fall eingemischt hat – im Übrigen auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich habe schon gestaunt, als sie im Deutschen Bundestag saß und sie im Rahmen einer Regierungserklärung auf diesen einen konkreten Fall eingegangen ist und dort auch von der Regierungsbank aus ihr Urteil gefällt hat. So was ist sehr, sehr unüblich. Ich finde es gut, dass wir für so etwas Gerichte haben, und wenn es wahr sein sollte, dass Herr Seehofer im Vorfeld informiert war auch über den Zeitpunkt der Abschiebung, im Wissen darum, dass das Gericht das nicht möchte, ja das wirft schon viele Fragen auf.
    Dobovisek: Wie wollen Sie diese Fragen beantwortet wissen? Wie soll das aufgeklärt werden?
    Liebich: Ich habe gelesen, dass bereits ein Oppositionsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen von der SPD Strafanzeige gestellt hat. Das ist gut. Da muss man mal sehen, was der Rechtsstaat da entscheidet. Wir sind ja leider noch nicht im nordrhein-westfälischen Landtag vertreten, sodass wir die Fragen nur auf Bundesebene stellen können, aber die werden wir auch stellen.
    Dobovisek: Soweit zu diesem Thema. – Sie sind ja auch überzeugter Transatlantiker, Herr Liebich, Außenpolitiker. Heute der große Gipfel zwischen Trump und Putin. Trump nennt die EU im Handel einen Gegner, "Foe" sagt er. Das übersetzen heute viele auch als Feind. Wie sehr sorgt Sie solcher Sprachgebrauch?
    Liebich: Da hat sich schon einiges krass verändert, und wer heute als Transatlantiker bezeichnet wird, der muss erst mal selber zurückzucken, weil man schaut dann auf Donald Trump und fragt sich: Was, mit dem? – Es gibt natürlich enge Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika. Die sind auch gut und wichtig. Das sind wirtschaftliche, politische Beziehungen, auch wertebasierte Beziehungen. Aber Donald Trump stellt das alles auf den Kopf.
    Wenn er sich jetzt mit Wladimir Putin trifft, ist das trotzdem erst einmal gut. Ich halte es für überfällig, dass der US-Präsident und der russische Präsident wieder miteinander reden. Die Sprachlosigkeit zwischen diesen beiden Männern und auch, ehrlich gesagt, dem Vorgänger Obama und Putin hat dazu geführt, dass der Sicherheitsrat, das wichtigste Gremium auf globaler Ebene, blockiert ist und viele Konflikte nicht bearbeitet werden konnten.
    "Donald Trump weiß nicht mal selber, was er will"
    Dobovisek: Was erwarten Sie von dem Treffen heute, Herr Liebich?
    Liebich: Da geht es mir wahrscheinlich wie allen. Wir schauen da in eine Glaskugel und ich fürchte – und das ist das Schlimmste -, Donald Trump weiß nicht mal selber, was er will. Da kann Gutes passieren. Es wäre toll, wenn man über die Frage der Abrüstung spricht. Es gibt ja gegenseitige Vorwürfe, dass der Vertrag zum Verbot von Mittelstreckenwaffen, der INF-Vertrag, gebrochen werden würde. Es wäre toll, wenn man darüber wieder redet, über Abrüstung und Rüstungsbegrenzung. Aber es kann natürlich auch ganz anderes passieren. Wir schauen schon mit Sorge darauf, wohin entwickelt sich das bei der Ukraine. Es wäre eine katastrophale Entscheidung, wenn der US-Präsident eine völkerrechtswidrige Eingliederung fremden Territoriums quasi anerkennen würde. So etwas geht nicht. Ich hoffe auch, dass das nicht passiert. Aber wir wissen es nicht. Das liegt daran, dass Trump so ist, wie er ist, und deswegen schauen wir alle, auch ich mit großer Spannung nach Helsinki.
    Dobovisek: Wie wahrscheinlich ist es, dass Deutschland, dass Europa zwischen die Fronten gerät, oder möglicherweise bei den sich annähernden großen Elefanten – dieses Wort habe ich heute schon mal gebraucht – zerquetscht wird?
    Liebich: Das habe ich in den letzten Tagen öfter gehört. Aber ganz ehrlich: Es ist jetzt auch nichts Neues. Deutschland ist nicht der Mega-Player auf der Weltbühne, und auch schon in der Vergangenheit haben Präsidenten oder Staatsführer der Sowjetunion oder Russlands mit den Amerikanern Entscheidungen getroffen und Deutschland musste damit umgehen. Das ist eben so, das ist unsere Rolle. Darüber kann man jammern und weinen, aber das macht es für uns trotzdem sehr spannend.
    "Es ist auch für uns relevant, was dort passiert"
    Dobovisek: Aber ist Deutschland nicht längst schon einen Schritt weiter und könnte da selbstbewusster sein?
    Liebich: Der Unterschied zu früher ist, wir haben nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag einen wirklich souveränen Status. Aber dass wir auf der Weltbühne ein globaler Player sind, das darf man wirklich nicht annehmen. Dazu bräuchte es tatsächlich eine gemeinsam agierende Europäische Union und davon sind wir im Moment leider weit weg. Trotzdem müssen wir die Konsequenzen solcher Entscheidungen tragen. Ich beschreibe mal einen negativen Fall. Wenn es knallt zwischen diesen beiden Typen – wir wissen ja auch wie die sind – und es kommt beispielsweise in Syrien zu weiteren Eskalationen, dann werden wir ganz unmittelbar mit den Konsequenzen, nämlich Flüchtlingen, umgehen müssen. Das heißt, es ist auch für uns relevant, was dort passiert.
    Dobovisek: Und damit schließt sich der Kreis unseres Gesprächs von den Flüchtlingen zur Außenpolitik und wieder zurück. Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei. Ich danke Ihnen für dieses Interview an diesem Morgen.
    Liebich: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.