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Lieblingsort Siefersheimer Weinberge
Auf (Ur)Küstenwanderung in Rheinland-Pfalz

Vor Urzeiten waren die Siefersheimer Weinberge vom Wasser umspült. Wer heute den Küstenpfad entlangwandert, fühlt sich wie am Meeresgrund. Auch lassen sich dort noch Überbleibsel wie Muscheln und alte Schneckenhäuser finden. Oder Felsformationen, an die einst die Wellen klatschten.

Von Anke Petermann |
    Das Brandungskliff in den Siefersheimer Weinbergen
    Das Brandungskliff in den Siefersheimer Weinbergen (Deutschlandradio / Anke Petermann)
    Einen Wanderweg im heißen, trockenen Rheinhessen einschlagen und sich dabei vorstellen, man ginge auf dem Meeresgrund: von kühlem Wasser umspült, von Algen umspielt. Das ist der Reiz des Küstenpfads, der in die Siefersheimer Weinberge führt, eine grüne Hügellandschaft mit blühenden Wegrändern und mit weiten Blicken über die rheinhessischen Dörfer im Tal, Alleen und Windräder am Horizont. Meinen Lieblingsort könnte ich ganz für mich allein haben. Aber an diesem Sommermorgen will ich an einer Führung teilnehmen.
    Wie viele meine Faszination fürs Urzeitmeer teilen, überrumpelt mich dann doch. Rund 100 Interessierte zwischen 7 und 70 haben sich am Dorf-Eingang versammelt. Zum Glück finden sich gleich drei Kultur- und Weinbotschafterinnen ein, um die Gruppe zu teilen. Martina Schmitt ist eine von ihnen. Sie geht voran durchs Siefersheimer Rebenmeer, Richtung Brandungskliff. Einst klatschten Wellen an die bizarre Felsformation, die mehr als mannshoch plötzlich am Rand der Weinberge auftaucht.
    "Und da sieht man ja wunderbar diesen Stein, diesen Rhyholith oder Quarz-Porphyr."
    Sansibar in Siefersheim
    Porphyr kommt von Purpur, der Fels leuchtet rötlich. Eine Foto-Tafel am Wegesrand zeigt eine ostafrikanische Insel-Klippe. Sie sieht ganz ähnlich aus wie das Brandungskliff vor uns: Sansibar in Siefersheim.
    "Man muss sich vorstellen, die Berge, wo wir hier sind, das sind Inseln, Urinseln die aus diesem Meer rausgeguckt haben. Diese ganz weichen Auswaschungen, die man hier sieht, das sind Spuren von diesem Urmeer, das hier Jahrmillionen angebrandet ist. Man sieht Versteinerungen von Röhrenwürmern hier."
    Schmitt streicht über eine Unebenheit im Fels. Und lenkt den Blick über die Weinberge in die Ferne.
    "Man kann von hier aus auch das Niederwald-Denkmal oberhalb von Bingen noch sehen."
    Weiter geht’s an der Küste der vulkanischen Hornberg-Insel lang, der Boden wird sandig.
    "Ab an de Strand!" - "Genau, wo ist das Handtuch?"
    Suche nach alten Muscheln
    "Urzeit-Strand" verkündet ein Wegweiser. Die achtjährige Lara stürmt durchs Gebüsch den Hügel hinauf. Die aufgelassene Sandgrube wirkt wie eine Düne.
    "Hier ist das wunderbar sichtbar: die Sandablagerungen auch, und man kann sich das Meer vorstellen, und ihr könnt euch jetzt umgucken."
    Forschen, was das Tertiär-Meer am Oststrand der Vulkan-Insel hinterlassen hat – das lassen sich Lara und ihre Freunde nicht zweimal sagen. Sie werfen sich auf die Knie und werden sofort fündig: Muscheln und winzige Schneckenhäuser.
    "Oh, guck mal hier: auch noch eine. Und hier. Davon sind hier tausend Millionen!" - "Ich hab' auch welche!" - "Hier ist Seegras - Meerseegras!" - "Das sieht wunderschön aus!"
    Die Fantasie der Kinder steckt an. Statt vertrockneter Flechten im Sand erblicke ich feuchtes, in den Wellen wogendes Seegras. Martina Schmitt hält transparente Stoffsäckchen mit fossilen Fundstücken hoch:
    "Haifischzähne, versteinerte Austern. Seekuh-Skelette hat man gefunden."
    Meeres-Atmosphäre auf dem Festland
    Schön zu hören: Mein Lieblingsort begeistert. Laras Mutter Jasmin Gräser ist mit zwei befreundeten Familien aus Wiesbaden gekommen und staunt, wie küstenähnlich der Festland-Strand wirkt.
    "Das überrascht uns tatsächlich, und da es heute so heiß ist, möchte man am liebsten, dass das Meer richtig da ist und man sich gerade reinstürzt. Also es ist schon spektakulär, was es hier zu sehen gibt, da hätte man gar nicht mit gerechnet, mitten auf dem Land."
    Gräsers Freundin stimmt zu:
    "Auf jeden Fall, das wusste ich gar nicht, kannte ich auch gar nicht, ist völlig neu für mich, aber sehr beeindruckend."
    Zumal da gerade was aus den Flechten alias Seegras hopst. Ein winziger fliegender Fisch mit blau leuchtenden Flossen etwa? Vielleicht doch zu stark fantasiert. Ben beugt sich über den ausgetrockneten Boden und stupst seine Mutter an.
    "Mama, so eine Heuschrecke!"
    Ein Wunder der Natur, wie die seltene blauflügelige Ödlandschrecke in hohem Bogen über den Urzeit-Sand schnellt. Auf den ersten Blick ein unscheinbar graubrauner Heuhüpfer. Aber wenn er die Flügel ausklappt: intensiv meer-blau.