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Liederabend von Herbert Fritsch in Zürich
"Wer hat Angst vor Hugo Wolf?"

Von Michael Laages |
    Nicht alles oder nichts ist die Devise; alles und nichts. Denn zwar gerät natürlich Edward Albees klassisch-moderne Wohnzimmerschlacht "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ins Visier, aber eben auch "Who's afraid of the big bad wolf", der Song aus Walt Disneys Version vom Märchen um den Wolf und sieben Geißlein. Und es kommt noch bunter: "Who's afraid of red, yellow and blue?" ist ein recht berühmtes Bild von Barnett Newman überschrieben; aus drei knalligen Farbflächen besteht es, das 1968 entstandene Bild hängt in Berlin und hat Fritsch zum Bühnenbild inspiriert.
    Drei große Rechtecke, zwei fast quadratisch in Rot und Blau, sowie ein Trapez, das auf dem Kopf steht, in Quietschgelb bieten auf der stetig kreisenden Drehbühne immerzu wechselnde Perspektiven sowie verdeckte Auftrittsmöglichkeiten für ein Septett singender Damen. Vor allem also ist dieser Liederabend eine Orgie in Farben sowie extrem beweglich, er pendelt, kreiselt und karriolt zunehmend haltlos hin und her zwischen Fantasie- und Gedankensplittern aus Theater-, Kunst- und Musikgeschichte.
    Aber wovon er eigentlich handelt, ob er eventuell sogar eine Art Kern hat - das ist im Grunde nicht zu sagen. Alles ist zu sehen und hören – und zugleich eben nichts.
    Zu Beginn posieren die sieben schmucken Ladys um die musikalische Leiterin Ruth Rosenfeld als chice Jungs: androgyn wie in den 20er-Jahren, Gigolos im Frack der "Roaring Twenties". Aber auch dieser tendenziell interessante Gedanke - Frauen als Männer, mit Liedern, die in genau dieser Undurchsichtigkeit der Geschlechter angesiedelt sind - verweht gleich wieder, wenn sich zunächst vier der Damen sehr geishamäßig verwandeln und in japanischem Kostüm-Zauber trippeln sowie perkussiv klingeln und klöppeln und rasseln, dass es das Zwerchfell schüttelt. Kurz darauf aber tragen die Damen zu Perücken der 50er-Jahre pastellfarben-bunte Nullachtfuffzehn-Fummel. Mit wirklich gar nichts will sich dieser Abend festlegen, nie und nirgends will er sich einordnen lassen,
    Obendrein versammeln Rosenfeld und Fritsch zwar ziemlich viel Hugo-Wolf-Musik, zu Gedichten von Eduard Mörike und Nikolaus Lenau, auch mit Goethe sowie anderen Groß- und Kleinmeistern tendenziell romantischer Schwärmereien als Autoren. Aber wenn es gerade passt, klettert Carsten Meyer, unter dem Künstlernamen "Aerobique" eine kuriose Größe der Hamburger Alternativszene, quasi ins Klavier hinein und produziert Klanggezwitscher aus gezupften und geschlagenen Saiten. Von Schönklang kann ja auch in Wolfs Liedgut nicht immer die Rede sein; da kracht schon mal der der Klavierdeckel ins liebliche Liedlein.
    Und so wächst beim Zuschauen und Hinhören zwar durchaus blankes Vergnügen – aber eben auch beharrlich die Leerstelle, an der sich bei aller Sympathie unabweisbar die Frage erhebt nach irgendeiner Art von Sinn und Ziel und Zweck.
    Vor allem – und das bleibt unbedingt eine der Stärken des universell-komödiantischen Erneuerers Herbert Fritsch - setzt er ganz fundamental auf das Theater selbst. In extrem konzentrierter Choreografie bringt er das ruckelnde, rappelnde, lärmend rotierende Maschinchen selber auf Touren, bis es zuweilen so aussieht, als würde es gleich aus den Gleisen springen und das ganze Haus in Schutt und Asche legen. Aber da sind ja Goethe und Mörike, Hugo Wolf und Barnett Newman, sowie sieben grandios singende Aktricen, die das verhindern. Und ein Clown, der auch ein Zauberer ist, hält erstaunlicherweise ja doch die Fäden in der Hand.