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Liedermacher Heinz Ratz
"Ablehnen macht mir Spaß – auch der Bundesregierung"

An Unmenschlichkeit aber darf man sich niemals gewöhnen, finden die Liedermacher Konstantin Wecker und Heinz Ratz. Sie haben ein bundesweites Netzwerk aus Musikern, Künstlern und Veranstaltern gegründet. Es soll überall in Deutschland auf rechte Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Umweltdelikte reagieren. "Künstler sollen für die mitsprechen, die in der Gesellschaft keine Stimme haben", sagte Heinz Ratz im DLF.

Heinz Ratz im Corso-Gespräch mit Ulrich Biermann |
    Heinz Ratz, Liedermacher, aufgenommen am 01.02.2008 während der Aufzeichnung des ZDF-Wissenschaftstalk "Nachtstudio" zum Thema: "Ihr da oben - wir da unten, der Verlust der Mitte?" in den Berliner Unionfilmstudios.
    Liedermacher Heinz Ratz ist besorgt: "Man gewöhnt sich fast schon an Gewalt und AfD-Parolen": Liedermacher Heinz Ratz ist besorgt (dpa / Karlheinz Schindler)
    Ulrich Biermann: "Strom & Wasser": Die feinen Blumen, aus der neuen CD: Herzwäsche. Ja Heinz Ratz, Was hilft die Kunst? War ja gerade zu hören. Kurz mal in Ästhetik schwelgen und dann?
    Heinz Ratz: Ja, ich habe diesen Text geschrieben, als mir klar wurde, dass in den 20er, Anfang der 30er Jahre eigentlich ja die Kunst eine wirkliche Hochblüte hatte, vor allem die Literatur in Deutschland Geister gehabt hat wie Kästner, wie Rilke. Und dass das alles leider nicht wirklich geholfen hat, um die Barbarei aufzuhalten und insofern ist dann dieser, zugegeben, etwas pessimistische Text entstanden.
    Biermann: Aber, Sie machen viel. Hilft doch auch viel, oder nicht?
    Ratz: Ja, ich mache halt, was ich kann, sagen wir mal so. Ob es am Ende dann hilft, das ist natürlich eine historische Frage. Aber das Lied, die Musik, die Literatur, das sind sozusagen meine weltanschaulichen Verführungsmethoden oder Waffen, wenn man so möchte. Und es ist eigentlich wunderbar, die Menschen erreichen zu können und ihr Bewusstsein und Dinge in Diskussion zu bringen mit Musik, mit der Kunst, das ist eigentlich die eleganteste und schönste Art. Und die will ich auch nicht aufgeben.
    "Die Medaille öffnete mir den Weg in die bürgerliche Mitte"
    Biermann: Apropos, Sie erreichen was. Auch die Politik reagiert. Sie haben die Integrationsmedaille der Bundesregierung vor vier Jahren bekommen. Gibt es da auch nicht einen Punkt, wo Sie sagen, naja, will ich die annehmen?
    Ratz: Na, ich wollte sie auf jeden Fall ablehnen. Einmal, weil mir ablehnen sowieso Spaß macht. Und zum anderen auch noch der Bundesregierung, da hat man ja nicht jeden Tag die Gelegenheit zu. Und weil mir auch klar war, dass das ein merkwürdiger Schulterschluss war, weil ich ja natürlich damals mit großer medialer Aufmerksamkeit auch die Flüchtlingspolitik sehr stark angegriffen habe. Aber es war eine strategische Geschichte eigentlich, weil mir war klar, dass ich, wenn ich die Medaille annehme, dass das ein direkter Schutz für die geflüchteten Musiker ist, die mit mir auftreten und kurz vor der Abschiebung stehen. Dass man die eben wirklich sehr viel schwerer eigentlich loswerden kann, wenn sie Teil dieses Projektes sind. Und zum anderen hatte ich die Idee - was dann auch geklappt hat - dass eine solche Medaille mir den Weg in die bürgerliche Mitte des Landes öffnet, weil dann auch Bürger kommen, die eigentlich skeptisch gegenüber einem solchen anarchistischen Charakter sind wie mir, aber dann eben durch die Auszeichnung ihrer Regierung dann vielleicht sagen, okay, dann gucken wir es uns dann doch eben noch mal an.
    Biermann: Aber das ist ja genau die Frage. Welches Forum benutzt man?
    Ratz: Das ist die Frage. Und man muss auch immer sehr, sehr genau abwägen. Zu der politischen Abwägung kommt auch noch immer dazu, dass man ja auch innerliche Abwägungen haben kann: Eitelkeiten zum Beispiel oder Bequemlichkeiten, innere Resignationen, die da sind oder eben auch eine Definition nur aus Trotz heraus, das ist ja auch oft der Fall. Also man muss eigentlich die ganze Zeit abwägen und nach innen und nach außen ein sehr wachsames Auge haben.
    Kleines Festival mit wichtiger Botschaft
    Biermann: Resignation wundert mich bei Ihnen, wenn ich bedenke, Sie haben vor zehn Jahren mit Konstantin Wecker eine Antifa-Tour gemacht und jetzt haben Sie auf diese Kooperation zurückgegriffen, gemeinsam haben Sie auf dem Reeperbahn-Festival im September das BOK gegründet, das Büro für Offensivkultur. Was soll das sein?
    Ratz: Also wir haben beide, wie wir in einem Gespräch festgestellt haben, viele Anfragen gehabt, immer wieder von Gruppen, von Einzelpersonen, die in ihrer Gegend irgendetwas schlimmes beobachtet haben, das mussten auch nicht immer brennende Flüchtlingsheime sein, es konnten auch irgendwelche Umweltsachen sein. Und die haben dann eben versucht, was auf die Beine zu stellen. In der Regel das, was eigentlich am wirkungsvollsten ist, auch meines Erachtens, nämlich ein kleines Festival, um eben auf diese politische Situation aufmerksam zu machen. Und dann fehlte es dort an allem, es fehlte an Tontechnik, es fehlte an einem entsprechenden Netzwerk, es fehlte an Bühnen, es fehlte an Security, es fehlte an Geld vor allem, an Kontakt zu Künstlern und so weiter.
    Und weil ich das immer sehr bedauert hab, dass diese Dinge nicht zustande kamen und eigentlich auch die Wichtigkeit gesehen habe, dann hab ich nun überlegt, was man da eigentlich am sinnvollsten machen könnte. Und da dachte ich, wenn man eine überregionale Instanz schafft, die von sich aus in der Lage ist über Netzwerke, über einen gewissen finanziellen Fundus, den sie hat, überall in 24 bis 48 Stunden reagieren zu können - und das ist heutzutage leider sehr wichtig, weil alles immer gleich vergessen wird - dann wär das doch eine feine Sache. Und so habe ich mit dem Konstantin zusammengesessen und dann haben wir uns überlegt, dass wir das ja versuchen können, so was zu schaffen.
    "Wir sind erst im Aufbau"
    Biermann: Sie haben es gegründet, knapp zwei Monate alt ist es jetzt, haben Sie schon reagieren müssen? Haben Sie schon eingreifen können?
    Ratz: Also ich wollte, als diese Geschichte war mit dem Bürgermeister, der niedergeknüppelt wurde bei uns oben in Schleswig-Holstein, weil er drei Flüchtlinge in sein Dorf bringen wollte. Es ist nur so, dass wir eigentlich noch gar nicht so weit sind, denn wir sind ja jetzt im Aufbau. Mit der Gründung ist ja nicht so etwas voll funktionsfähig, das heißt, wir werden jetzt im nächsten halben, dreiviertel Jahr, werden wir unsere gesamten Konzerte und Tourneen benutzen, um eben diese bundesweiten Netzwerke zu schaffen. Und da muss ich sagen, stößt uns jetzt schon, obwohl wir noch gar keine große Presseerklärung, keine große Arbeit gemacht haben, ein ziemliches Interesse und eine große Kooperationsbereitschaft entgegen.
    Bewusstsein für die Realität notwendig
    Biermann: Macht aber auch deutlich, wie notwendig das ist. Macht aber auch deutlich, es braucht private Initiative. Öffentlich, politisch scheint da einiges im Argen zu liegen, was dieses Eingreifen angeht.
    Ratz: Ja, ich glaube, dass das der Fall ist. Da ist so eine merkwürdige Ermüdungserscheinung manchmal da, was so Katastrophen angeht. Man gewöhnt sich fast schon an Gewalt, man gewöhnt sich fast schon an AfD-Parolen, man gewöhnt sich an so vieles. Und in die Wohnzimmer hinein wird das eben sehr unglücklich ausgestrahlt, weil man mittlerweile in einer Gesellschaft lebt, die mehr Emotionen in irgendwelchen Spielfilmen empfindet als mit der tatsächlich abgebildeten Realität, die über das Fernsehen reinkommt. Und ich glaube, dass da auch ein Bewusstsein für genau diese Situation da ist und dass dieses Bewusstsein uns jetzt hilft, diese Organisation dann irgendwie auf die Beine zu stellen.
    Biermann: Aber haben Sie sich da nicht verdammt viel vorgenommen? 2015 registrierte das BKA 1.005 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und in diesem Jahr rechnet man mit einer wahrscheinlich höheren Zahl. Das wären 1.005 Einsätze für das BOK, das Büro für Offensivkultur.
    Ratz: Genau. Also das ist natürlich jetzt nicht so, dass wir praktisch das ganze Land retten wollen und die einzigen sein wollen, die da aktiv sind. Wir wollen nur eben unseren eigenen Beitrag, den wir leisten können, damit das einfach gut organisiert ist und es auch eben die ganzen Künstlerkollegen, die sich engagieren wollen, dass die auch eine Sicherheit haben, okay, wenn hier Ratz und Wecker anrufen, dann ist das alles auch irgendwie, hat das Hand und Fuß und dann können wir uns darauf verlassen, und dann können wir dahingehen.
    "Man hat als Künstler eine Verantwortung"
    Biermann: Das ist natürlich auch schön, es gibt auch ein Gemeinsamkeitsgefühl. Aber ist das nicht auch predigen für die Gläubigen sowieso wieder, wenn Pro Asyl anruft oder ein Flüchtlingsrat oder eben linke oder grüne Gruppierungen? Dann spielen Sie im Endeffekt vor 20 Leuten, wie in Bautzen geschehen.
    Ratz: Ja, das ist natürlich eine, das ist so die Frage. Man kann ja in der Kunst oder überhaupt eigentlich in der Demokratie, immer nur Angebote machen. Und wer diese Angebote annimmt, das ist natürlich, das kann man nicht erzwingen. Und wenn in Bautzen 20 kommen und dafür, was weiß ich, in Zittau dann 200, dann spricht das eben für die politische Situation vor Ort. Aber man kann immer das Angebot machen.
    Biermann: Wo nehmen Sie die Hoffnung her?
    Ratz: Die Hoffnung. Ich erwarte von mir, das ist eine Frage der Selbstachtung heutzutage, irgendetwas zu tun. Ich habe Kinder und ich möchte mich bemühen, den Kindern eine Welt zu hinterlassen, die zumindest nicht schlechter ist, als die jetzige. Ich denke, das ist eine Verantwortung, die man hat, gerade auch als Künstler. Und gerade auch, immer für die mitzusprechen, die in der Gesellschaft keine Stimme haben und also natürlich hoffe ich, dass das alles klappt, aber ich bin auch skeptisch auf der gleichen Seite, aber ich muss das einfach tun. Und ich fordere das von mir.
    Biermann: Danke dafür. Und ich wünsche Ihnen viel Kraft dafür.
    Ratz: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.