"So, wir begrüßen sie herzlich mit dem Lied 'Es tönen die Lieder'. Drei, Vier."
Etwa 25 Sanges- und Wanderlustige sind heute mit der Bahn von Berlin Lichtenberg nach Rehfelde gereist. Die Fahrt dauert knapp 30 Minuten. Bei ihrer Ankunft werden sie von zwei Gitarristinnen empfangen.
"Herzlich Willkommen auf dem Liederweg."
Bevor die Wanderung beginnt, ergreift Wanderführer Peter Jung das Wort.
"Sie sind ja mit der NEB gekommen und damit ist eine Tradition fortgeführt worden, die bereits 1870 begonnen hat. Denn ohne diese Bahn gäbe es den Ort Rehfelde gar nicht. ... An dieser Bahnstation hatte sich die Siedlung entwickelt."
Schriftlich erwähnt wurde Rehfelde erstmals 1247. Heute leben hier rund 5000 Menschen. Die Nähe zu Berlin hat die Einwohnerzahl schnell wachsen lassen. Und die Schönheit der Natur zieht viele Großstädter in ihrer Freizeit an.
"Wir wandern sehr oft, fahren viel ins Brandenburger Land und haben ja nun dieses Ticket, das Mumienticket 65 plus. Und dann machen wir viele schöne Wanderungen. Und es wird ja viel zu wenig heute gesungen und Volkslieder sind doch immer schön."
Den Liederweg gibt es seit 2012. Brigitte Hoffmann vom Sängerkreis Rehfelde ist auf diese Idee gekommen. Dazu angeregt wurde sie in ihrer alten Heimat.
"Es war vor drei Jahren, da waren wir auf einer Wanderung in Sachsen. Und da ich aus dieser Gegend stamme, haben wir gedacht, wir haben gehört, da ist ein Liederweg, da gehen wir mal lang. Und an jedem Stein haben wir gesungen und wir waren so begeistert. Da haben wir gesagt, eigentlich ist bei uns nicht so viel los, da könnten wir doch so einen Liederweg installieren."
Der Weg beginnt mit dem Volkslied "Märkische Heide, Märkischer Sand" am eigens für den Liederweg aus 60 Buchsbäumchen gepflanzten fünf Meter langen Violinschlüssel am Bahnhof Rehfelde. Die meisten Wanderer halten ein von der Gemeinde herausgegebenes Liederbuch in der Hand. Darin stehen neben den Texten auch Informationen über die Entstehung und Geschichte der Lieder. So auch über Gustav Büchsenschütz, der "Märkische Heide, Märkischer Sand" verfasst hat.
"Gustav Büchsenschütz ... war Sohn eines Gendarmen und durchlief die gehobene Beamtenlaufbahn, die er nach 50 Jahren als Sport- und Bäderamtsleiter des Berliner Bezirks Steglitz beendete. 1923 schrieb er in der Jugendherberge Wolfslake bei Neu-Vehlefanz Text und Melodie des Liedes, das bald sehr populär wurde."
So populär, dass die Nationalsozialisten es im Zweiten Weltkrieg als Marschlied vereinnahmten. Zu DDR-Zeiten war das Lied deshalb tabu. Erst mit der Neubildung des Landes Brandenburg in den 90er-Jahren, wurde die "Märkische Heide" neu entdeckt und avanciert seit dem zur inoffiziellen Hymne des Landes Brandenburg.
Von hier aus laufen die Wanderfreunde dann knapp 13 Kilometer durch die Märkische Schweiz - immer ein fröhliches Lied auf den Lippen, versteht sich.
Jetzt, mit Musik und bei dem schönen Sonnenschein, müsste dass ein schöner Tag werden. Bereits nach 100 Metern der erste Halt. Das Liederbuch gibt Auskunft über Reinhold Schaad, der 1913 das Lied "Heute wollen wir das Ränzlein schnüren" verfasste.
"Reinhold Schaad war Kind eines Posthalters und einer Bäuerin. Im Alter von sechs Jahren erblindete Schaad infolge eines Unfalls. Trotz oder wegen seiner Blindheit entwickelte er sich zu einem begabten Cellisten. 1911 musste Schaad das Cellospiel aufgeben, da er durch eine Erkrankung des Fingers nicht mehr richtig spielen konnte. Er begann daraufhin, zu komponieren."
Die Liedtexte sind auch auf Tafeln an behauenen Granitblöcken oder Feldsteinen angebracht, den sogenannten Liedsteinen, die entlang der Strecke stehen. Davon gibt es 33 Stück - 25 mit deutschen und acht mit polnischen Volksliedtexten. Sie wurden von den Bewohnern der Region gestiftet und finanziert. Brigitte und Hans-Günter Hoffmann erinnern sich.
"Wir haben uns überlegt, welche Lieder, wie machen wir das? Haben wir aufgeschrieben die Lieder, haben gesagt, wer einen Liedstein sponsert, kann sich ein Lied aussuchen. Der Liedstein kostet 200 Euro und das war ruckzuck vergeben."
"Dann waren wir in Polen und haben die Auswahl abgestimmt. Hatten Liedtexte mit, waren bei einem Volksfest, haben mit den Polen die Lieder gesungen und die, die am lautesten gesungen wurden, haben drei Kreuze gekriegt und die haben wir hier installiert."
Die Grenze zu Polen ist nicht weit und polnische Wanderer sind willkommen - dann würde es bestimmt auch mit den polnischen Texten besser klappen.
"Jetzt lass ich's. Sie haben einen Eindruck gewonnen, stimmt's?! Wir haben eine kleine Gruppe gebildet, die erst anfängt, die polnischen Lieder zu lernen. Wir sind noch nicht so weit. Wenn die polnischen Freunde hier wandern, dann ist eine absolute Bombenstimmung. Die singen das aus vollem Herzen."
Im Rahmen einer Gemeindepartnerschaft zwischen Rehfelde und dem polnischen Zwierzyn sollen deutsch-polnische Treffen mit gemeinsamem Gesang zur grenzüberschreitenden Verständigung beitragen, wie Peter und Inge-Lore Jung vom Sängerkreis Rehfelde erzählen.
"Wir haben uns als Sängerkreis auch auf die Fahnen geschrieben, den Weg auch über die Grenze zu suchen. Wir sind ja im Oderbereich relativ nah dran. Es gab Förderprogramme der EU und das haben wir auch genutzt. Wir haben in Seelow erstmalig so ein Konzert gemacht mit polnischen Chören."
"Und dann haben wir schon im Vorfeld vier Lieder auf Polnisch gelernt und die haben deutsche Lieder gelernt. Wir mussten unsere Zungen schon ganz schön verbiegen. Es ist wirklich nicht so einfach polnisch zu singen mit diesen Zischlauten."
Gut zwei Kilometer und fünf Liedersteine weiter befindet sich die Dorfkirche von Werder. Im Schatten der alten Bäume machen die Liederwanderer ihre erste Rast. Die Kirche wurde im 13. Jahrhundert von Zisterziensermönchen aus Feld- und Sandsteinen erbaut. An den Orden soll auch das Gebäck erinnern, das den Wanderern angeboten wird. Es zeigt die Zisterzienser-Lilie aus dem Wappen des Ordens.
"Ich begrüße sie, weil sie an einem Punkt sind, der den Lilienweg, den Jakobsweg und den Liederweg trifft."
Für die Wanderer hat Victor Porodjuk vom Arbeitskreis Rehfelder Tourismus eine Ordenstracht der Mönche angelegt. Der kleine etwas rundliche Mann mit dem freundlichen Lächeln sieht in dem schwarzen Gewand einem Zisterziensermönch erstaunlich ähnlich. Er erzählt den Wanderern, Studenten der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder hätten herausgefunden, dass Pilger aus Osteuropa die brandenburgischen Handels- und Heerstraßen nutzten, um ins Spanische Santiago de Compostella zu gelangen. Darum führe der Jakobsweg hier entlang. Zur Feldsteinkirche weiß Porodjuk ebenfalls, Interessantes zu berichten.
"Die Kirche ist vermutlich Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet worden. Vermutlich deshalb, weil die erste urkundliche Erwähnung von Werder im Jahre 1309 im Landbuch Karls des fünften erfolgte. Und nun geht ein Streit, na wann ist denn die Kirche eigentlich erbaut worden. Wir nehmen schon an, wenn das Dorf im Landbuch erwähnt wird, ist die Kirche sicherlich schon einige Tage vorher erbaut worden. Aus einem dendrologischen Gutachten aus den ehemaligen Fensterhölzern wurde ermittelt, dass etwa um 1247 das Datum war zur Errichtung der Kirche. Die Kirchen in unserer Gemeinde, in allen Ortsteilen, wurden im Auftrag und unter Mitwirkung der Zisterzienser errichtet. Wir wollen dieses Wissen und Andenken an die Zisterzienser wieder an die Öffentlichkeit holen und in die Erinnerung unserer Bürger bringen."
Und weiter geht's zum nächsten Liederstein.
"Mein Lieblingslied. Drei Mädchen bewerben sich um einen Liebsten und er nimmt keine."
"Es ist einfach schön. Ich finde die Idee so toll, wandern, ein schönes Lied, das fast jeder kennt, toll!"
"Da ich so gerne singe und fast alle Lieder kann, bin ich so gerne hierher gekommen. Der liebe Gott macht mit, Petrus macht mit. Es ist einfach nur wunderschön."
Seit Kurzem haben sogar zeitgemäße Kommunikationsformen auf dem Liederweg Einzug gehalten. Wer mit Smartphone unterwegs ist, kann sich an jedem der 33 Liedsteine die Melodie des dort angezeigten Liedes anhören. Hans-Günter Hoffmann hatte die Idee, die dafür nötigen QR-Codes aufzubringen, die die Handykamera einliest, und mit YouTube verlinkt.
"Dann kann man, wenn man den Text hier liest, die Melodie hören und mitsingen. Und wir wollen auch, da das ja ein bisschen jugendlich ist, dadurch auch Interesse wecken. Wer mit Smartphone oder Tablet hier durch die Gegend wandert und sagt, hallo, was ist denn das und schwupp, da kommt das Lied."
Und im Liederbuch findet man außerdem auch wieder Informationen zum Komponisten:
"Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio war ein deutscher Heimatschriftsteller und Volksliedforscher, ein Dichtermusiker und Komponist. Er nannte sich selbst Wilhelm von Waldbrühl. Er hatte schon in jungen Jahren mit der Sammlung von Volksliedern begonnen, die er in seiner Heimat, dem Bergischen Land, gehört hatte."
Weiter geht's. Die nächste Rast wird auf dem mit alten Eichen bewachsenen Dorfanger in Zinndorf eingelegt.
"Das Angerdorf war so angelegt, dass außenrum die Höfe waren, in der Mitte die Kirche und eine Angerwiese. Abends wurde das Vieh hier reingetrieben, die Tore zugemacht. Sie konnten hier selbst fressen, trinken und am nächsten Tag wurden sie wieder rausgeführt."
Hier in Zinndorf befindet sich ein weiteres Highlight der Liederwanderung: die St-Annen-Kirche. Sie wurde Mitte des 13. Jahrhunderts im Auftrag von Zisterziensermönchen erbaut. Die Kirche ist heute noch weitestgehend in ihrem Urzustand. Sowohl den Dreißigjährigen Krieg als auch die beiden Weltkriege hat sie unbeschadet überstanden. Eine kostbare Annenfigur und ein ebenso wertvoller Holzschnitzaltar stammen aus der Reformationszeit. Den Wanderern gefallen die kultur-historischen Abstecher.
"Bisher ist es ein Erlebnis, sie ist 700 Jahre alt, haben wir gerade gehört. Von daher finde ich das schön. Es könnten von mir aus noch mehr solche Kirchen, Kulturdenkmäler dabei sein."
Doch dann kämen womöglich das Wandern und das Singen zu kurz. Und darum geht es hier ja in erster Linie.
Das letzte Drittel des ersten Brandenburger Liederwegs führt die Wanderer durch die blühende Zinndorfer Feldflur und durch den Märkischen Sand zurück nach Rehfelde.