Die Mitarbeiter des Lieferdienstes Gorillas kämpfen um ihre Jobs. Sie stehen vor einem Lebensmittelauslieferungslager in Berlin Mitte, halten Plakate hoch und filmen den Protest mit ihren Handys. Über 80 der sogenannten Riders, die innerhalb kürzester Zeit Lebensmittelbestellungen per Fahrrad ausliefern, soll gekündigt werden.
"Die Moral bei uns ist auf dem Nullpunkt, alle sind geschockt, die Firmenleitung hat uns monatelang unter Druck gesetzt, hart zu arbeiten, viele haben Aufgaben über den Vertrag hinaus übernommen und nicht einen Cent extra bekommen, und nun werden wir dafür gefeuert."
Schlechte Ausrüstung, keine Telefone, kaputte Räder
Weil der Standort wegen Denkmalschutzauflagen nicht weiter betrieben werden dürfe, so begründet es die Unternehmensleitung. Weil die Unternehmensleitung mit schmutzigen Tricks dafür gesorgt habe, dass jeder Standort als Einzelunternehmen gilt und die Riders deshalb nicht einfach an einem anderen Gorillas Standort weiterbeschäftigt werden müssen, halten die Fahrer dagegen.
Giulio Naldi ist seit einem Jahr als Rider für Gorillas unterwegs. 25 Stunden im Monat arbeitet er und bekommt zwölf Euro pro Stunde. So verdient er sich sein Studium:
"Da gibt es viele Sachen, die besser werden sollen, zuerst das Equipment. Wir haben noch so Jacken, die nicht wirklich wasserfest sind, wir haben keine Schuhe, wir haben keine Telefone, manchmal sind die Fahrräder nicht wirklich so kontrolliert, sie gehen auch oft kaputt, das kann auch gefährlich sein für die Riders.“
Für den Arbeitsrechtler Martin Bechert sind das gewohnte Klagen. Er vertritt zahlreiche ehemalige Mitarbeiter von digitalen Vermittlungsplattformen und Unternehmen, die sich gegen Betriebsräte stemmen. Auf der Kundgebung gibt er sich deshalb kämpferisch.
"Wir müssen uns hier Deutschland langsam fragen, wie das eigentlich weitergehen soll mit der Betriebsverfassung. Denn wir haben tatsächlich Firmen wie Amazon, wie Gorillas, wie Tesla, die die Mitbestimmung mit Füßen treten. Wir brauchen eine wehrhafte Betriebsverfassung, anders kommen die Betriebsräte in Deutschland unter die Räder. Und wir müssen dringend dafür sorgen, dass Gorillas und ähnliche Firmen tatsächlich Druck bekommen."
Digital gesteuerte Geschäfte und Mitarbeiterüberwachung
Mit ähnlichen Firmen sind hauptsächlich Unternehmen der sogenannten Plattformökonomie gemeint. Unternehmen also, die ihre Geschäfte digital bzw. durch Apps gesteuert abwickeln - und so ihre Mitarbeiter häufig auch überwachen. Die Plattformbetreiber reichen von großen internationalen Unternehmen bis zu kleinen nationalen oder lokalen Start-Ups.
Die Arbeit wird dabei häufig als "crowd work, click work oder gig work" organisiert. Das heißt: Wer einen Job per Click im Web ergattert, wird häufig nur für diesen einen Auftrag bezahlt - oft sind diese Menschen dabei selbstständig bzw. scheinselbstständig, manchmal aber auch geringfügig Beschäftigte oder schlecht bezahlte Angestellte.
Sogenannte Juicer laden nachts Elektroscooter wieder auf, Crowd Worker beschriften Produktfotos im Netz, Amazon Fahrer erledigen als Selbständige Aufträge mit dem eigenen Auto und Putzkräfte werden über die Plattform Helpling gebucht.
Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die sogenannte Plattformökonomie in den vergangenen fünf Jahren um 500 Prozent gewachsen ist - 28 Millionen Menschen seien derzeit in der EU über Plattformen tätig. Da müsse genauer hingeschaut werden, so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil:
"Eins ist ganz klar, man darf Digitalisierung und Plattformökonomie nicht mit Ausbeutung verwechseln. Und wer versucht, Recht und Gesetz zu umgehen oder Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnerechte in dieser digitalen Entwicklung zu unterdrücken, der hat mich dann auch zum politischen Gegner."
Viel sei allerdings bisher nicht passiert, kritisiert Arbeitsrechtler Martin Bechert. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD von 2018 sah beispielsweise vor, die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen so gut wie abzuschaffen.
Gerade in der Plattformökonomie sei aber ein befristeter Arbeitsvertrag immer noch eher die Regel als die Ausnahme, kritisiert Bechert. Explizit bei Start-Pps sei für vier Jahre eine sachgrundlose Befristung immer noch legal - und sorge so dafür, dass Arbeitnehmer ihre Rechte nicht durchsetzen:
"Denn das ist ja das Einfallstor, mit dem ich diese ständige existenzielle Unsicherheit über die Leute ziehen kann und dann jeden einzelnen so richtig in die Mangel nehmen kann und abschrecken kann, sich zu organisieren und Widerstand zu leisten."
Betriebsräte bei Start-Ups noch eine Seltenheit
Im neuen Koalitionsvertrag ist von einer Befristungsbegrenzung nun überhaupt nicht mehr die Rede. Und selbst wenn es den Fahrern gelingt, einen Betriebsrat zu gründen, schützt sie das nicht vor außerordentlichen Kündigungen. Noch immer sei es nicht gelungen, einen entsprechenden Kündigungsschutz in einem Gesetz zu verankern, kritisiert Bechert.
Betriebsräte, die für die Rechte von Arbeitnehmern eintreten, sind deshalb bei Start-Ups immer noch eine Seltenheit. Das liegt auch daran, dass viele Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen und von deutschem Arbeitsrecht und dem im Betriebsverfassungsgesetz festgeschriebenen Recht auf einen Betriebsrat noch nie etwas gehört haben - was vielen Unternehmen durchaus in die Karten spielt.
Bei Gorillas konnte eine Betriebsratswahl erst nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts stattfinden. Die Unternehmensleitung sagt, dass sie die Arbeit des Betriebsrats unterstütze. Nach Giulio Naldis Meinung, der sich dort für den Erhalt von Arbeitsplätzen, mehr Geld und bessere Ausrüstung engagiert, läuft es aber nicht so richtig rund:
"Sie haben nicht so richtig Lust, sich mit uns auseinanderzusetzen und meiner Meinung nach haben sie nicht so viel Respekt auch vor Arbeitsrechten. Und die verstoßen eigentlich auch gegen das Betriebsordnungsgesetz, dass wir etwas dazu zu sagen haben über die Entscheidungen, die alle Mitarbeiter betreffen."
Veraltete und unflexible Mitbestimmungsstrukturen
Die Unternehmensleitung sieht das anders, erklärt Alexander Brunst von Gorillas.
"Also grundsätzlich ist es so, dass wir von vornherein gesagt haben, dass wir Mitbestimmung durchaus wollen. Wir sehen uns als Ride-zentriertes Unternehmen. Und dementsprechend ist die Betriebsratswahl etwas, was wir unterstützen. Und bei uns konkret ist es so, wir haben ja jetzt seit einigen Monaten einen Betriebsrat, da sind wir im Austausch und wir merken aber auch bei unseren Kolleginnen und Kollegen, die jetzt im Betriebsrat Mitglieder sind, dass die bürokratischen Hürden, erstmal zu verstehen, wie der deutsche Betriebsrat funktioniert extrem hoch sind."
"Also grundsätzlich ist es so, dass wir von vornherein gesagt haben, dass wir Mitbestimmung durchaus wollen. Wir sehen uns als Ride-zentriertes Unternehmen. Und dementsprechend ist die Betriebsratswahl etwas, was wir unterstützen. Und bei uns konkret ist es so, wir haben ja jetzt seit einigen Monaten einen Betriebsrat, da sind wir im Austausch und wir merken aber auch bei unseren Kolleginnen und Kollegen, die jetzt im Betriebsrat Mitglieder sind, dass die bürokratischen Hürden, erstmal zu verstehen, wie der deutsche Betriebsrat funktioniert extrem hoch sind."
Fakt ist: Laut Statistischem Bundesamt haben 90 Prozent aller Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern einen Betriebsrat. Bei den Start-Ups, also jungen Unternehmen, die oft sehr schnell wachsen und dann auch sehr schnell sehr viele neue Mitarbeiter brauchen, seien es aber nicht mal fünf Prozent, schätzt der Deutsche Gewerkschaftsbund.
Beim einstigen Vorzeige Start-Up Zalando gab es erst zwölf Jahre nach Gründung des Unternehmens einen Betriebsrat, bei der Smartphonebank N26 erst nach mehrmonatigem Streit.
Das liege auch daran, dass die Mitbestimmungsstrukturen unflexibel und veraltet seien und in der realen Start-Up-Welt von heute an Grenzen stießen, sagt Alexander Brunst von der Gorillas Unternehmensleitung. Man könne sich quasi kaum noch korrekt verhalten:
"Ganz konkretes Beispiel ist das Thema Sprache, es spricht nicht jeder aus dem Betriebsrat jetzt deutsch, de facto sagt das deutsche Recht aber, es muss alles auf Deutsch passieren und da sind wir an Grenzen gestoßen, was überhaupt machbar ist."
Verhinderung eines Betriebsrats soll verfolgt werden können
Also lässt man es lieber gleich, kritisiert Anwalt Martin Bechert. Einen Reformbedarf erkennt aber auch er. Abläufe müssten vereinfacht werden und Rechtsprechung und Politik müssten überlegen, wie heutzutage eigentlich ein Betrieb zu definieren sei. Denn durch Neuzuschnitte der Firmen könnte man wirkungsvoll Betriebsratsarbeit verhindern.
Außerdem gebe es bei der Bildung von Betriebsräten immer wieder Probleme, weil in vielen Unternehmen Chef und Kollegen nicht mehr unter einem Dach arbeiten:
"Wir haben Matrixorganisationen, wo die Vorgesetzen vielleicht gar nicht mehr in Deutschland sind, wo Gruppen zusammenarbeiten, die tatsächlich weltweit verstreut sind, wo es auch eine gewisse Zufälligkeit hat, wer eigentlich an welchen Standort sitzt. Und jetzt, wie bestimmen sie da eigentlich den Betrieb?"
Immerhin sieht der neue Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen, FDP nun vor, das
Mitte 2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz zu evaluieren. Es regelt formelle Vereinfachungen des Wahlverfahrens und kürzere Fristen bei der Wahl eines Betriebsrats.
Mitte 2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz zu evaluieren. Es regelt formelle Vereinfachungen des Wahlverfahrens und kürzere Fristen bei der Wahl eines Betriebsrats.
Positiv findet der Arbeitsrechtler Martin Bechert außerdem, dass die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung im Betrieb laut Koalitionsvertrag künftig wie ein Verbrechen auch ohne Strafantrag verfolgt werden soll:
"Richtig ist, dass bereits jetzt die Behinderung der Betriebsratsarbeit strafbar ist. Hier halte ich es auch für gut, dass das tatsächlich ein Offizialdelikt wird und nicht mehr ein Antragsdelikt dann sein soll, dass also die Staatsanwaltschaft tatsächlich direkt ermitteln muss. Ich finde es auch richtig, dass da Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen werden sollen, damit dann das tatsächlich auch ermittelt wird."
Der "click und gig worker" ist im Nachteil
Damit Arbeitnehmer ihre Rechte durchsetzen und beispielsweise einen Betriebsrat gründen können, müssen sie sich zunächst aber vernetzen. Dabei spielen die Gewerkschaften eine große Rolle, sagt Johanna Wenckebach vom Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeitsrecht in einem Podcast der Hans Böckler-Stiftung.
Für sogenannte "click und gig worker", die über digitale Plattformen vermittelt werden, sei es aber schwierig, sich über Arbeitsbedingungen überhaupt auszutauschen:
"Die gehen in diese ganzen Haushalte und können sich nicht erkennen, auch wenn sie sich in der Stadt bewegen, weil es eben keinen gemeinsamen Betrieb mehr gibt, wo eine Gewerkschaft irgendwie Flyer verteilen könnte oder Menschen ansprechen."
Insofern sind die Riders von Lieferdiensten wie Gorillas oder Lieferando in gewisser Weise sogar Vorreiter, sagt Christoph Schink von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, kurz NGG:
"Die haben ja diese quietschbunte Kleidung an und sind dann einfach ins Gespräch gekommen und haben auch die Vorteile der Digitalisierung und die Mittel der Digitalisierung, die ihr Auftraggeber zur Auftragsvergabe nutzt, ein bisschen für sich selber genutzt, haben angefangen sich in Whatsapp-Gruppen zu organisieren und sich da zu vernetzen."
Fristlose Entlassungen bei Gorilla
Zunächst entstanden auf diese Weise Interessensgruppen, wie Rider Support oder Workers collective – informelle Zusammenschlüsse, die sich - anders als ein Betriebsrat - auf keine Gesetze berufen können, für die Betroffenen aber oft vorteilhafter seien, meint Rechtsanwalt Martin Bechert:
"Das ist halt was Fluideres und Offeneres als wenn Sie einen Betriebsrat haben. Ein Betriebsrat heißt, Sie wählen etwas, was im Fall des Falles dann vier Jahre fix ist. Wer auf der Liste nicht drauf ist, nicht Kandidat war, vielleicht gar nicht Arbeitnehmer war zu dem Zeitpunkt kann sich ansonsten nicht eigentlich wirklich beteiligen. Und deshalb sucht man manchmal Betriebsgruppen oder ähnliche Zusammenschlüsse wie gorillas workers collective, dass man sagt ok, da haben wir einen größeren Austausch mit der Belegschaft, da können wir auch einen größeren Austausch mit der Belegschaft haben."
Wenn sich diese Zusammenschlüsse aber nun gemeinsam entschließen, für bestimmte Forderungen mit einem Streik zu kämpfen, wird es schwierig. 350 Riders von Gorillas sind nach einem sogenannten wilden Streik für bessere Arbeitsbedingungen im vergangenen Jahr fristlos entlassen worden.
Denn ohne Gewerkschaft im Rücken ist so ein Streik illegal, erklärt Lena Rutkowski, Professorin für Arbeitsrecht an der Uni Gießen:
"Da muss also eine Gewerkschaft den Streik entweder initiieren oder später die Verantwortung für ihn übernehmen, ihn quasi übernehmen, denn das deutsche Recht, das möchte keine wilden Streiks. Wenn sich Arbeitnehmer also spontan zusammenschließen und spontan protestieren, das wäre kein gewerkschaftlich getragener Streik."
Sorge um Arbeitsplatz und Aufenthaltsstatus
Rider Giulio Naldi ist deshalb inzwischen Mitglied der Gewerkschaft NGG. Dass in Deutschland eine Gewerkschaft fast unabdingbar ist, um Arbeitnehmerrechte durchzusetzen war ihm lange nicht klar - und vielen seiner Kollegen auch nicht:
"Wir haben uns bemüht, die anderen Mitarbeiter zu überzeugen, sich an eine Gewerkschaft anzuschließen wäre besser. Aber manche sind ein bisschen skeptisch. Viele von den Mitarbeitern kommen aus dem Ausland und sie kennen sich nicht so aus mit Arbeitsgesetzen und solchen Regelungen, manche wollen einfach nicht 14 Euro im Monat geben für die Gewerkschaft."
Und viele fürchten um ihren Arbeitsplatz oder ihren Aufenthaltsstatus, wenn der Arbeitgeber von einer Mitgliedschaft erfährt. Aber auch umgekehrt tun sich die Gewerkschaften im Bereich Plattformökonomie schwer, sagt Andreas Splanemann von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi:
"Es gibt Unternehmen wie z.B. Tesla, die sind für eine Gewerkschaft extrem attraktiv. Da gibt es gut bezahlte Jobs und wenn man dort Mitglieder macht als Gewerkschaft dann sind das gute Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Das sind qualifizierte Beschäftigte. Das möchte jede Gewerkschaft gerne haben. Anders sieht das bei diesen Lieferdiensten aus. Das sind Leute, die, würde ich mal sagen, prekär beschäftigt sind, die im Niedriglohnbereich tätig sind, das ist für eine Gewerkschaft schwierig zu organisieren, das muss man eben halt Kärrnerarbeit leisten."
Die Gewerkschaften verlieren massiv Mitglieder
Deshalb seien die meisten Gewerkschaften hier noch im Beobachterstatus, so Splanemann. Die entstandene Lücke nutzt zum Beispiel die FAU - die Freie Arbeiter*innen Union, die sich selbst als "anarcho-syndikalistische Gewerkschaftsföderation" bezeichnet und unter den Ridern viel Zuspruch findet.
Die FAU meint, dass medienwirksame Demos und Blockaden gerade bei Startups oft mehr bringen würden als langwierige Verhandlungen hinter geschlossenen Türen, so ein Sprecher der FAU in der Schweizer Wochenzeitung WOZ. Die etablierten Gewerkschaften sehen die FAU äußerst kritisch. Denn politisch motivierte Streiks sind in Deutschland verboten. Gestreikt werden darf nur für Ziele, die sich tariflich regeln lassen.
Dennoch fühlen sich Arbeitnehmer in der Plattformökonomie bei den etablierten Gewerkschaften offenbar nicht gut genug aufgehoben. Das entspricht einem seit vielen Jahren zu beobachtenden Trend: Zwischen 1991 und 2020 hat sich die Mitgliederzahl der acht DGB-Gewerkschaften halbiert, von knapp zwölf auf knapp sechs Millionen Menschen.
Dennoch will zum Beispiel die NGG den mühevollen Weg fortsetzen, bei den Essenslieferdiensten Mitglieder gewinnen und einen Tarifvertrag erkämpfen, sagt Christoph Schink von der NGG.
"Wir haben in den Unternehmen eine fantastisch kurze Betriebszugehörigkeit im Durchschnitt. Das ist schon eine gewerkschaftliche Herausforderung. Und annährungsweise die Hälfte ist geringfügig beschäftigt, da ist es nicht ganz leicht, da stark zu werden. Unser Ziel ist, dass wir diese ja doch Wild-West-Mentalität in diesen Unternehmen ins deutsche Normalarbeitsverhältnis überführen."
Weil aber immer weniger Beschäftigte bei Start-Ups mit dem starren Konzept einer Gewerkschaft klarkommen, müsse dieser klassische Weg eben überdacht werden, so Arbeitsrechtler Martin Bechert. Dass in Deutschland Streiks nur möglich sind, wenn eine Gewerkschaft dazu aufruft, sei reformbedürftig, weil die Gewerkschaften einen Streik eben auch ablehnen könnten.
Deutsche skeptisch gegenüber Lieferdiensten
Die Europäische Kommission will sich des Themas annehmen
Dem widerspricht Andreas Splanemann von Verdi: "Wir wissen ja nicht wie sich die gesamte Lieferbranche, um jetzt bei diesem Beispiel zu bleiben, wie die sich entwickelt. Die schreiben ja überhaupt keine Gewinne, da geht es ja um Unternehmen, von denen man gar nicht weiß, ob es sie im nächsten Jahr noch gibt. Wegen solchen Unternehmen ans Mitbestimmungsrecht heranzugehen und da Änderungen vorzunehmen das halte ich für völlig übertrieben und auch gar nicht notwendig."
Immerhin hat die Europäische Kommission sich jetzt mit dem Thema beschäftigt und Ende vergangenen Jahres Regulierungsvorschläge für die Plattformökonomie vorlegt, um die Arbeitsbedingungen dort zu verbessern. Die Steuerung und Überwachung durch Algorithmen soll stärker überwacht und die Datentransparenz verbessert werden. Die Arbeitgeber sollen dazu verpflichtet werden, Kommunikation der Beschäftigten untereinander, aber auch mit ihren Interessenvertretungen zu ermöglichen.
Arbeitnehmer sollen den Status eines Angestellten erhalten, wenn zum Beispiel die Höhe des Verdienstes festgelegt ist, wenn Kleidervorschriften eingehalten werden müssen, die Arbeitsleistungen elektronisch überwacht werden oder die Arbeitszeit nicht mehr frei gewählt werden darf.
Traurig, dass Deutschland so etwas nicht längst eingeführt hat, findet Arbeitsrechtler Martin Bechert: "Da sind super Ansätze drin. Da würde ich immer denken, eine Bundesregierung, ein deutscher Gesetzgeber muss nicht warten bis Europa gute Sachen macht, sondern darf auch vorpreschen, das heißt da bestimmte Regelungen jetzt schon implementieren in das deutsche Arbeitsrecht noch bevor überhaupt die Richtlinie in Kraft getreten ist."
Der Vorschlag der Kommission für die Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit wird nun vom Europäischen Parlament und vom Rat erörtert. Nach der Annahme des Vorschlags haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.