Ich warte keine zehn Minuten, bis die erste knallpinke Box auf den Rudolfplatz in Köln einbiegt. Der Besitzer ist Andy, und er liefert auf dem Fahrrad Essen aus: für Foodora. Andy hat nicht viel Zeit, weil sein Handy vibriert: der nächste Auftrag.
"Ich muss jetzt abholen… bei Brownies, Hohenzollernring 29, also das ist um die Ecke."
"Ach, wenn’s um die Ecke ist, kann ich doch mit oder?"
"Ja, da kannste mitkommen, klar, natürlich. Wenn’s um die Ecke ist, kann ich langsam fahren."
Sonst fährt Andy nämlich schneller. Das geht mit seinem weißen Rennrad auch deutlich besser als mit meinem klapprigen Damenrad.
"Wenn du deine viereinhalb Stunden fährst, kannst du auch mal deine 50 Kilometer fahren."
"Ich bleibe in Bewegung"
"50?!?"
"Joa."
"Aber findest du OK?"
"Ich find das super! Bleibe in Bewegung, nehme ab…"
Andy ist 32, und eigentlich heißt er auch nicht wirklich Andy. Seinen echten Namen will er aber lieber nicht im Radio hören. Seit einem Monat ist er einer von rund 220 Foodora-Fahrern in Köln, bundesweit sind es 2.500 - alle sind fest angestellt. Jetzt verstaut Andy Brownies in seinem pinken Rucksack.
"Hi! Ich hol für Gottschalk ab … ok, perfekt, danke! Tschau!"
Öfter gibt es Trinkgeld wenn es viele Treppen sind
Die Abholung geht schnell. Was Andy als nächstes zu tun hat, erfährt er komplett über eine App auf seinem Smartphone. Nach 550 Metern sind wir am Ziel.
(Gegensprechanlage) "Hallo?"
"Hi, Foodora." "Ah, Aufzug, perfekt!
"So Altbau, 6. Stock, ist dann wahrscheinlich anstrengend, oder?"
"Ja, ist ein bisschen nervig, aber gehört dazu. Und die wissen das auch und geben dann Trinkgeld."
Auch das Essen ausliefern geht schnell, denn das Essen ist schon bezahlt - online.
"Gab's Trinkgeld?"
"Ja, zwei Euro."
"Das ist ok."
"Ja, natürlich! Ich bin über jeden Cent froh, also…"
Fest angestellt oder auf Provisionsbasis
Bis zu 300 Euro Trinkgeld pro Monat sind da durchaus mal drin, erzählt mir Andy, bei neun Euro Stundenlohn. Dafür muss er sich aber auch beeilen, damit er viele Lieferungen ausführen kann. Und der nächste Auftrag kommt sofort.
"So, abgeliefert, bestätigen. Und diesmal geht's zu Bonjour Saigon in die Richard-Wagner-Straße."
Gerade mal eine Viertelstunde habe ich Andy begleitet – und schon ist er wieder weg. Ich möchte mit weiteren Fahrern sprechen, diesmal: Deliveroo, der große Konkurrent von Foodora. Das Konzept ist das gleiche, nur in Türkis. Rund 1.000 Fahrer arbeiten deutschlandweit für Deliveroo.
Rund zwei Drittel sind fest angestellt und verdient zwischen neun und zehn Euro die Stunde, der Rest arbeitet freiberuflich auf Provisionsbasis. Fünf Euro pro Lieferung. An einer Ampel kann ich Aaron abfangen.
"My name is Aaron. I'm 23 years old. I study International Business, Bachelors.”
Aaron, der sich auch einen anderen Namen gegeben hat, ist 23 Jahre alt und kommt aus Sri Lanka. Seit knapp zwei Jahren studiert er in Köln und fährt seit einigen Monaten für Deliveroo. Aber bevor ich ihm weitere Fragen stellen kann, saust er mit seinem Fahrrad davon – er muss sich beeilen. Ich komme nicht hinterher. Von Weitem gibt Aaron mir Handzeichen, damit wir uns nicht verlieren. Als ich ankomme, ist er schon drin. Danach will ich von Aaron wissen: Wie gefällt ihm denn sein Job?
"Ich mag die Flexibilität, und es ist Sport für mich. Es ist bezahltes Training. Ich fahre jeden Tag so drei Stunden.”
"Aber gibt's nicht irgendwas, was dir nicht so gut gefällt?”
"Der Job ist ok. Nur wenn's regnet, mag ich's nicht, Fahrrad zu fahren.”
Gewerkschaften haben kaum Einblick
Keine Verbesserungsvorschläge? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Ich frage bei ver.di nach. Die überraschende Antwort: Sie wissen es nicht. Es gebe zu wenig Fahrer, die sich von ver.di vertreten lassen, für eine branchenübergreifende Einschätzung der Arbeitsbedingungen reiche dies nicht aus. Der ver.di-Landesbezirk NRW meint sagt sogar: Es sei an den Fahrern selbst gelegen, sich um eine gewerkschaftliche Vertretung zu kümmern.
In Köln passiert das immerhin: Dort bilden Fahrer gerade einen Betriebsrat, unterstützt von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten. Aber auch die NGG traut sich keine generelle Einschätzung der Arbeitsbedingungen zu, denn eigentlich seien sie auch nicht zuständig für die Branche – sondern ver.di. Der Schwarze Peter wandert hin und her.
In einem Park in Düsseldorf treffe ich Marcel. Er ist knapp zwei Jahre in Vollzeit für Foodora gefahren – bis er einen Unfall hatte.
"Ich bin mit dem Fahrrad in die Straßenbahnschienen reingerutscht. War schon draußen, dann wieder mit dem Hinterrad reingerutscht, weil’s auch ein bisschen glatt war. Und dann halt aufs Knie gefallen und mir einen Innenbandriss zugezogen."
Mehr Restaurants, längere Strecken
Seit zwei Monaten ist er krankgeschrieben, Mitte des Monats hört er aber ganz auf. Der Unfall war schon der vierte in seinen zwei Jahren bei Foodora. Aber nur ein Grund, warum Marcel sich entschieden hat, nicht weiterzumachen, denn der Job hat sich verändert, sagt er. Immer mehr Restaurants seien hinzugekommen, die Strecken länger geworden.
"Wie viele Kilometer das sind, das ist denen egal. Man muss es fahren. Man kann nicht sagen, ich will die Order nicht."
"Das heißt, du bist vorher wie viele Kilometer am Tag gefahren?"
"So 20 bis 30? Und am Schluss hin waren's wirklich so 50 bis 60 Kilometer am Tag."
Trotzdem findet Marcel nach wie vor nicht alles schlecht an dem Job – nur eben unter einer Bedingung:
"Vollzeit würde ich sagen: bei Foodora nein. Die sollen lieber dann im normalen Job Vollzeit arbeiten, aber nicht als Fahrradfahrer durch die Stadt."