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Lieferkettengesetz
Sorgfaltspflicht statt Freiwilligkeit

Unter welchen Bedingungen arbeiten Menschen, die irgendwo auf der Welt Jeans zusammennähen, Weihnachtskugeln färben oder Fernseher herstellen? Ein Lieferkettengesetz soll deutschen Unternehmen bald menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegen. Das geht manchen zu weit, anderen nicht weit genug.

Von Caspar Dohmen |
Arbeiter in einer Textilfabrik in der südpakistanischen Hafenstadt Karachi. Die Branche war 2019 für fast 60 Prozent der Exporte des Landes verantwortlich.
Das Lieferkettengesetz soll für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen sorgen (picture alliance / Photoshot)
"Ich habe die Schule in der dritten Klasse verlassen." Und ab dann schuftete Muhammad Hanif in der pakistanischen Industriemetropole Karatschi als Näher. Sechstagewoche, Überstunden, Schlafen in der Fabrik – das war sein Alltag. Kamen Kontrolleure, habe er sich wie die anderen Kinder versteckt. 2012, er war gerade 22 Jahre alt und nähte in der Fabrik "Ali Enterprises" Jeans für europäische Konsumenten, da brach ein Feuer aus.
"Ich hörte eine Explosion, dann eine zweite. Das Gebäude bebte, überall war Rauch."
Lieferkettengesetz: Regelungen und Reaktionen
Im langen Ringen um ein Lieferkettengesetz haben die drei zuständigen Ministerien einen Durchbruch erzielt. Welche Folgen hat das Gesetz und für wen gilt es?
Hanif konnte sich retten, anders als 258 seiner Kolleginnen und Kollegen, die auch wegen mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen und fehlender Notausgänge bei dem Feuer ums Leben kamen. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat ausgerechnet, dass jeden Tag rund 6.000 Menschen bei oder infolge ihrer Arbeit sterben. Viele erkranken oder verletzen sich, weil sie zum Beispiel auf Feldern mit giftigen Pestiziden hantieren, beim Gerben in aggressiven Chemikalien stehen oder bei gefährlichen Tätigkeiten ohne Schutzhelm arbeiten müssen. Vor allem aber schuften viele Menschen tagein tagaus unter schwierigsten Bedingungen - und bleiben trotzdem bitterarm.

"Verbot von Kinderarbeit umsetzen"

"Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, ob wir vom freien zum fairen Handel in globalen Lieferketten kommen." Bundesentwicklungsminister Gerd Müller von der CSU Anfang April im Bundestag, bei der ersten Lesung eines Lieferkettengesetzes. "Mein Blick auf Profitmaximierung in der Globalisierung des Handels, in internationalen Lieferketten hat sich geändert. 80 Millionen Kinder arbeiten als Arbeitssklaven für uns, die Reichen auf der Sonnenseite des Planeten, für unsere Produkte. Wichtig ist, ein Verbot von Kinderarbeit umzusetzen, die Stärkung der Menschenrechte und dies ohne die Wirtschaft zu überfordern."
Die Bundesregierung will großen Unternehmen ab 2023 menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegen. Unternehmen müssten dann bestimmte Risiken in den Lieferketten erfassen und dokumentieren. In der kommenden Woche soll der Bundestag über das Lieferkettengesetz abstimmen. Manchen Abgeordneten geht es zu weit, anderen nicht weit genug. Carl-Julius Cronenberg, FDP: "Ich stelle mit Bedauern fest, das Gesetz atmet den Geist des Misstrauens." Markus Frohnmaier, AfD: "Sie plündern und zersetzen die deutsche Wirtschaft mit diesem Gesetz." Linken-Politikerin Eva-Maria Schreiber: "Ohne die Haftung fehlt dem Gesetz sein schärfstes Schwert." Grünen-Politiker Uwe Kekeritz: "Die von ihnen gewählte Unternehmensgröße sorgt letztlich dafür, dass die meisten Unternehmen nicht für etwaige Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden können."
Müller (CSU): "Qualitätssprung zur Durchsetzung von Menschenrechten"
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat das Lieferkettengesetz im Dlf gegen Kritik verteidigt. Kein Unternehmen könne es sich mehr leisten, bei Menschenrechtsverletzungen nicht einzuschreiten.
Früher produzierten viele Industrieunternehmen ihre Waren fast komplett selbst. Heute lagern sie die Fertigung teilweise oder sogar ganz an Zulieferer aus. Die Zulieferer selbst beziehen wiederum Waren von anderen Zulieferern. So ergeben sich lange Lieferketten, die teilweise in sehr armen Ländern beginnen, dort, wo die Produktion besonders preiswert ist. In der Textilindustrie etwa reichen die Lieferketten vom Anbau der Baumwolle über das Spinnen, Färben und Weben bis zur Konfektionierung. Die 50 weltgrößten Unternehmen lassen 94 Prozent der Tätigkeiten in solchen Lieferketten erledigen. Sie achten dabei auf die Qualität ihrer Produkte, denn sonst würde das ihren Marken schaden und möglicherweise müssten sie für Produktmängel haften.

Strengere regeln schon in anderen Ländern

Doch was ist mit den Bedingungen der Arbeit, den Menschenrechten der Arbeiterinnen und Arbeiter, die an irgendeinem Punkt in der Lieferkette involviert sind? Das muss deutsche Firmen daheim bislang nicht interessieren. In einigen Ländern gelten dafür bereits Regeln, in England und Australien etwa müssen Unternehmen über ihre Lieferketten berichten – so wollen die Staaten moderne Sklaverei unterbinden. In den Niederlanden gibt es ein Gesetz zur Verhinderung von Kinderarbeit; bei Verstößen drohen Gefängnisstrafen. Frankreich verpflichtet große Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten. Ein Lieferkettengesetz soll künftig auch in Deutschland Unternehmen zu mehr Transparenz und Verantwortung verpflichten.
"Menschenrechte überall - bringt die Wirtschaft nicht zu Fall." Drei Dutzend Aktivisten bei einer Aktion im Herbst 2020 in Berlin. Mitglieder des Bündnisses für ein Lieferkettengesetz, in dem sich zahlreiche Organisationen zusammengeschlossen haben, darunter Nichtregierungsorganisationen, kirchliche Initiativen, Gewerkschaften.
Bei einer Greenpeace-Aktion zum Lieferkettengesetz wird am frühen Morgen der Spruch "Lieferkettengesetz. Schwindel" an die Außenfassade des Bundeskanzleramts projiziert.
Greenpeace-Aktion zum Lieferketten-Gesetz (dpa / Michael Kappeler)
Anfang März hat die Bundesregierung den Entwurf für ein Lieferkettengesetz beschlossen. Nach Ansicht des Bündnisses sind die darin enthaltenen Regeln nicht weitreichend genug. Wirtschaftsverbände und Teile der CDU hingegen drängen auf eine Abschwächung des Gesetzentwurfs. Die Staatengemeinschaft beschloss schon Anfang des 20. Jahrhunderts Mindeststandards für Arbeiterinnen und Arbeiter, gründete die Internationale Arbeitsorganisation. Aber viele Staaten heben die Arbeitsbedingungen bis heute nicht auf ein menschenwürdiges Niveau, auch weil sie zu Recht befürchten müssen, dass Unternehmen dann Aufträge anderswo produzieren lassen.
Könnten die Unternehmen also freiwillig mehr Verantwortung übernehmen? Dafür warb der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan 1999 beim Weltwirtschaftsforum in Davos. "Ich schlage vor, dass Sie, die hier in Davos versammelten Wirtschaftsführer, und wir als die Vereinten Nationen einen globalen Pakt gemeinsamer Werte und Prinzipien ins Leben rufen, der dem globalen Markt ein menschliches Antlitz gibt."

Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz umsetzen

Das war die Geburtsstunde des so genannten Global Compact. Mit ihrer Unterschrift verpflichteten sich Unternehmen zur Einhaltung von zehn universell anerkannten Prinzipien aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. Doch niemand überprüfte, ob Unternehmen sich daran hielten. Sanktionen waren auch nicht vorgesehen. Doch Studien, Erhebungen und auch einige aufgedeckte Skandale zeigten: Die freiwillige Unternehmensverpflichtung war offenbar nicht wirksam. Die Ausbeutung von Mensch und Umwelt vor allem in ärmeren Ländern ging weiter. Michael Windfuhr, Vizedirektor des Deutschen Instituts für Menschenrechte:
"2005 war es dann so, dass Kofi Annan noch einmal gesagt hat, wir müssen eigentlich doch überlegen, ob wir nicht weiterkommen können und auch Unternehmen tatsächlich an soziale, menschenrechtliche und auch ökologische Standards noch stärker binden können."
Der UN-Menschenrechtsrat erteilte dem Harvard-Professor John Ruggie ein Mandat. Sechs Jahre später legte er die so genannten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vor. "Die heute Grundlage sind für alle Debatten, die wir gerade haben. Er betont schon, dass die Staaten die eigentliche völkerrechtliche Verantwortung haben, aber er sagt, die Unternehmen haben eben auch eine Verantwortlichkeit und die kann man nicht negieren und die kann man auch sogar benennen. Er hat das dann menschenrechtliche Sorgfaltspflicht genannt, die beachtet werden muss. Und damit hat er sozusagen das Feld neu bestellt."

Heftiger Streit über Ingalt des Gesetzes

Die Umsetzung dieser Leitprinzipien ist Sache der Nationalstaaten. Deutschland verabschiedete 2016 einen so genannten Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte – beließ es aber nach massivem Druck aus der Wirtschaft beim Prinzip der Freiwilligkeit. Unter der Bedingung, dass spätestens 2020 jedes zweite hiesige Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern von sich aus seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen würde. Doch an diesem Anspruch scheiterten schließlich vier von fünf Unternehmen. Der sozialdemokratische Arbeitsminister Hubertus Heil:
"Die Ergebnisse sind so ernüchternd, dass das jetzt aus dem Koalitionsvertrag auch folgt, nämlich, dass wenn zu wenig Unternehmen auf dem freiwilligen Wege diesen Weg gehen, wir auch über gesetzgeberische Verpflichtung nicht nur reden, sondern noch in dieser Legislaturperiode zu einem Gesetz kommen."
Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zeigt einen Teebeutel, der unter Einhaltung der Menschenrechte hergestellt wurde und nach Müllers Angaben in der Herstellung nur minimal teurer ist. Müller und Bundesarbeitsminister Heil wollen Unternehmen noch in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetz zur Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten verpflichten.
Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wirbt für das Lieferkettengesetz (dpa / picture alliance / Photoshot)
Über die Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes wurde heftig gestritten, weil die Pläne von Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil deutlich weiter gingen als die von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der vor einer Überforderung der Wirtschaft warnte. Nach langem Tauziehen einigten sie sich auf einen Kompromiss. Markus Krajewski, Völkerrechtler an der Universität Erlangen-Nürnberg.
"Es ist natürlich insofern ein richtiger Schritt in die richtige Richtung als man sich von diesem Freiwilligkeitsparadigma des Nationalen Aktionsplans, der Appelle, der Gedanken einer Selbstverpflichtung der Wirtschaft, von dem verabschiedet man sich, weil man deutlich gemacht hat: Okay, wir haben gesehen, das reicht nicht und deswegen muss der Gesetzgeber tätig werden. Ich glaube diese Message, die da rüberkommt, die ist sehr begrüßenswert."

Sorgfaltspflicht soll kontrolliert werden

Ab 2023 soll das Lieferkettengesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern gelten, ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Es beträfe damit direkt gerade einmal 0,1 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Großen Wirtschaftsverbänden allerdings geht das noch immer zu weit. Sie fordern eine Grenze von 5.000 Beschäftigten, wie in Frankreich. Aber es gibt auch Firmen, die die Schwelle ganz streichen wollen. "Verantwortung für Menschenrechte und Umwelt ist für uns keine Frage der Unternehmensgröße", schreiben in einer Stellungnahme rund 50 Unternehmen, darunter Vaude, Tchibo und Weleda. Von einer Einbeziehung aller Unternehmen versprechen sie sich eine größere Dynamik, um – Zitat - "die Achtung von Mensch und Umwelt in Wertschöpfungsketten zu gewährleisten."
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle soll künftig prüfen, ob die Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten einhalten. Bei Verstößen drohen Bußgelder von voraussichtlich maximal zehn Prozent des Jahresumsatzes. Außerdem sollen Firmen bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden können. Johanna Kusch, Koordinatorin des Bündnisses für ein Lieferkettengesetz.
"Das ist etwas, was man erst über einen ganz langen Zeitraum wird messen können und das ist mehr so ja im Grunde vielleicht makroperspektivisch gedacht. Aber mikroperspektivisch oder für die einzelne Person, da ist dieses Gesetz im Grunde zu schwach."
So sieht das Gesetz – anders als in Frankreich - keine zivilrechtliche Haftung vor. An dem Punkt hat sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier durchgesetzt. Wer irgendwo in der Welt in Lieferketten deutscher Unternehmen arbeitet und seine Rechte verletzt sieht, kann also wie bisher nur nach ausländischem Recht gegen hiesige Unternehmen vor deutschen Gerichten klagen. Das ist mühselig und kompliziert und geschieht praktisch so gut wie nie. Muhammad Hanif, der pakistanische Näher, hatte das versucht. Er klagte mit anderen Opfern des Brandes bei der pakistanischen Fabrik "Ali Enterprises" vor dem Landgericht Dortmund gegen den Textildiscounter KiK, den Auftraggeber seines ehemaligen Arbeitgebers. Aber das Verfahren wurde wegen Verjährung im pakistanischen Recht eingestellt.

Klagen sollen leichter werden

Allerdings sollen künftig Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften leichter im Namen von Betroffenen klagen können. Ermöglichen soll dies die so genannte Prozessstandschaft. Dadurch sinken nicht nur die finanziellen Hürden für eine Klage, sondern auch die Risiken von Repressionen gegen Kläger. Juristin Johanna Kusch: "Dass ein betroffener Gewerkschaftsakteur sagt, ich möchte eigentlich eine Klage führen, aber wenn ich auftrete, dann setze ich mich einer Gefahr aus, weil ich dann prominent und bekannt bin und sage: Ich habe hier eine NGO meines Vertrauens, mit der ich schon lange arbeite, die mich auch unterstützt hat. Wenn die das macht, kann ich in den Hintergrund treten. Dann ist das eine Unterstützung und stärkt auch die Rechte dieser Menschen. Insofern begrüßen wir diese Prozessstandschaft als eine Möglichkeit in Prozessen etwas besser hineingehen zu können. Aber mehr ist es dann halt auch nicht."
"Das Gesetz selbst halte ich für, ja, ich sage es mal freundlich, für unausgereift", sagt der Völkerrechtler Markus Krajewski. "Aber das Hauptproblem würde ich sagen ist, dass eben unter Abweichung von dem Standard, den die Leitprinzipien vorgeben, und dem, was sich auch als internationale Praxis entwickelt hat, muss man ja auch sagen, eben diese Differenzierung zwischen dem direkten Zulieferer und dem mittelbaren, dem unmittelbaren und dem mittelbaren Zulieferer eingebaut wird."
Unternehmen sollen nämlich nur für ihre direkten Zulieferer Mitverantwortung für die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten übernehmen. Aber die Lieferketten sind lang, es sind viele Akteure daran beteiligt. Zudem schaffe das Gesetz eine Fehlsteuerung, sagt Markus Kajewski.
"Ich sage es mal ein bisschen provokativ: die Unternehmen, die schon gut unterwegs sind, die werden jetzt gar nicht belohnt, im Gegenteil, die müssen sogar noch eine zusätzliche bürokratische Hürden aufbauen, weil die müssen jetzt ihre ganzen ersten Zulieferer dokumentieren, obwohl die gar keine Probleme haben. Die Unternehmen, die sich auf den Weg machen sollen, die machen sich sozusagen letztlich in die falsche Richtung auf den Weg, weil die suchen jetzt alle ihre ersten Zulieferer und gar nicht da, wo sozusagen wirklich die größten Risiken sind. Also, es schafft schon eine ziemliche Fehlsteuerung."

Veränderung der Lieferketten erwartet

Unternehmen haben auf der Suche nach den billigsten Produktionsstandorten immer verästeltere und längere Lieferketten um den Globus geknüpft. Wenn sie jetzt mehr Verantwortung für die Zustände bei ihren Zulieferern übernehmen müssten, dürfte das auch die Logik der Manager beeinflussen. Früher saß Markus Löning für die FDP im Bundestag, heute berät er Unternehmen hinsichtlich menschenrechtlicher Risiken.
"Lieferketten werden sich stark verändern. Das sieht man bei den Unternehmen, die in dem Prozess schon weiter fortgeschritten sind. Das geht fast immer damit einher, dass es eine starke Reduzierung der Lieferanten gibt und zwar bei vielen werden die auf einen Bruchteil reduziert, von ein paar Tausend auf ein paar Hundert."
Die Konzentration auf weniger Lieferanten entspricht den Erwartungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. "Weil die UN-Leitprinzipien ja auch vorgeben, wenn man keinen Einfluss auf den Lieferanten hat, dann soll man sich Einfluss verschaffen. Und dazu gehört eben auch, dass man überwiegend mit Leuten zusammenarbeitet, wo man dann auch einen Umsatz macht, dass der Lieferant sagt: Okay, wenn der Kunde das will und wenn das für den wichtig ist, dann macht es für mich auch Sinn, diesen Anforderungen zu entsprechen."

Vorwürfe wegen mutmaßlicher Menschenrechtsvergehen

Einen wichtigen Hinweis auf das Ausmaß des Lieferkettenproblems und mangelnder Arbeits-, Menschen- und Umweltrechte liefert eine Studie der Universität Maastricht von 2015. Forscher hatten 1.800 öffentlich zugängliche Beschwerden gegen Unternehmen aus einem Zweijahreszeitraum analysiert. Die meisten Vorwürfe, 511 Beschwerden, richteten sich gegen Firmen in den USA, dann folgten Großbritannien, Kanada und China. Deutschland belegte mit 87 Beschwerden Platz fünf in diesem Negativranking. Laut einer Studie des belgischen Peace Information Service von 2019 gab es auch bei 23 der 30 im Deutschen Aktienindex vertretenen Unternehmen innerhalb von zehn Jahren Vorwürfe wegen mutmaßlicher Menschenrechtsvergehen.
Künftig könnten mehr Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten deutscher Unternehmen gemeldet werden – denn die Firmen sollen einen Beschwerdemechanismus einrichten. Christoph Rojahn kennt sich mit diesem Thema aus. Er untersucht bei der US-Firma Kroll mögliche Gesetzesverstöße, die Unternehmen selbst intern untersuchen lassen. Er findet die im deutschen Lieferkettengesetz vorgesehenen Beschwerdemöglichkeiten bemerkenswert. "Die ja laut Gesetz auch ausdrücklich außerhalb des Unternehmens zugänglich sein müssen. Und das ist eine sehr, sehr interessante Entwicklung, wenn sie das kontrastieren mit den bisherigen Regelungen zum Thema Whistleblowing."

Ein Zeichen für ganz Europa

Denn Missstände in den Lieferketten könnten nicht nur Betroffene melden, sondern auch Dritte wie Wettbewerber. "Dass ich sage, die beschäftigen aber Kinder in der Zulieferkette, die haben aber Konfliktmineralien, da werden Gewerkschaften gehindert, da ist wohl moderne Sklaverei. Das muss ein Unternehmen im Zweifel schon deshalb ernst nehmen, weil die Frage ist, möchte ich wirklich das Risiko eingehen, dass ich sage, ich habe da Hinweise drauf gekriegt, klassisch vielleicht noch mit der Drohung verbunden und wenn sie dem nicht nachgehen, gehe ich an die Öffentlichkeit."
Noch arbeitet der Bundestag an letzten Änderungen des Lieferkettengesetzes. Von einem solchen Gesetz in der größten europäischen Volkswirtschaft würde jedenfalls auch ein Zeichen ausgehen für die Debatte auf europäischer Ebene. Bereits im Juni will die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorlegen. Die europäische Regelung dürfte nach bisherigem Stand ambitionierter ausfallen als das deutsche Gesetz – bis zu einer Umsetzung werden aber wohl noch Jahre vergehen. Doch ist Eile geboten, wenn man die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Lieferketten verbessern will. Damit Menschen das Schicksal von Muhammad Hanif erspart bleibt: Er erlitt bei der Brandkatastrophe eine schwere Rauchvergiftung und kann heute kaum noch seinen Lebensunterhalt verdienen.