Tobias Armbrüster: Es ist wieder einmal ein Streit, bei dem es um Grenzwerte geht, ein Streit zwischen Brüssel und Berlin. Anlass sind die hohen Nitrat-Werte in deutschen Böden. Das viele Nitrat kommt zu großen Teilen aus Düngemitteln in der Landwirtschaft, vor allem aus Gülle, mit der Landwirte ihre Felder besprühen. Die EU hat Deutschland schon seit längerem aufgefordert, etwas gegen diese hohen Nitrat-Werte zu tun, aber Berlin zeigt wenig Bereitschaft.
Am Telefon ist jetzt Olaf Lies von der SPD. Er ist Umweltminister in Niedersachsen. Das ist ein Bundesland, das besonders von der Landwirtschaft lebt. Schönen guten Morgen, Herr Lies!
Olaf Lies: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Lies, warum tut sich Deutschland so schwer, wenn es um sauberes Wasser geht?
Lies: Ich glaube, das Kernproblem ist, dass Deutschland sich zu lange nicht konsequent genug auf das Thema Grundwasserqualität eingestellt hat und es immer wieder gelungen ist, eigentlich Mehrbedarfe oder mehr Düngerbedarfe oder Wirtschaftsdüngerbedarfe in den Vordergrund zu stellen. Jetzt kommen wir in eine Diskussion – und die geht mir ein bisschen in die falsche Richtung -, dass wir sagen: Na ja, wir müssen jetzt was liefern, sonst verklagt uns die EU.
Es geht nicht um die EU; es geht darum, dass wir sauberes Trinkwasser wollen. Das muss ganz oben anstehen. Und jetzt kommt das, was immer kommt: Jetzt kommt eine hektische Diskussion, weil man sich die Jahre, die man hatte, einfach nicht genommen hat, um vernünftige Lösungen zu erarbeiten.
"Man hat sich das zu lange schöngerechnet"
Armbrüster: Müssen wir dann sagen, Deutschland hat zu lange bei den Landwirten ein Auge zugedrückt?
Lies: Man hat zu lange, glaube ich, das schöngerechnet. Wir diskutieren ja heute über die 20 Prozent. Da sagen wir, 20 Prozent von was? Von dem Düngebedarf, vom Pflanzenbedarf, der ja schon künstlich hochgerechnet wird, weil man nicht sagt, die Pflanze hat so und so viel Nährstoffbedarf, sondern da geht es um Ausbringungsmöglichkeiten, da geht es um Verluste.
Wir haben aus meiner Sicht sehr früh angefangen, künstlich Dinge hochzurechnen, und tun uns jetzt schwer, mal ganz sachlich und vernünftig zu sagen: Eine Pflanze, die 100 Prozent Nährstoffbedarf hat, die darf auch 100 Prozent Nährstoffbedarf haben, weil sie den auch komplett abbauen kann. Das wäre eine ganz fachliche Diskussion, egal in welchem Gebiet. Nur unser Problem ist, dass das, was wir heute an Dünger häufig draufgeben, jetzt schon mehr ist als das, was die Pflanze eigentlich braucht.
Armbrüster: Sind das einfach Wahrheiten, die die deutschen Politiker gegenüber den Landwirten nicht aussprechen wollten?
Lies: Na ja. Mein Eindruck ist, dass man so lange gezögert hat und so lange versucht hat, doch immer noch wieder Kompromisse zu finden, die eigentlich keine waren, dass man jetzt eigentlich fast vor die Wand gefahren ist, und jetzt die Landwirtschaft eigentlich ganz dramatisch feststellt, dass, wenn man fünf oder zehn Jahre lang konsequent gehandelt hätte, weiter reduziert hätte, sehr sensibel wahrgenommen hätte, wie gerade die Nitrat-Belastung im Grundwasser zeigt, dass man hätte ganz andere Maßnahmen ergreifen können, als sie jetzt, wo der Druck groß ist, ergriffen werden müssen.
Armbrüster: Was sagen Sie, Herr Lies, Ihren Landwirten in Niedersachsen?
Lies: Die Landwirtschaft in Niedersachsen hat für uns einen hohen Stellenwert. Und ich möchte, dass wir es schaffen, auch eine saubere und ehrliche Bilanz zu haben. Oft werden ja alle in einen Topf geworfen. Wieviel Nährstoffe entstehen eigentlich im Betrieb? Wieviel Wirtschaftsdünger? Wieviel wird da zugekauft und welcher Bedarf ist eigentlich da für die Pflanzen, die da sind?
Dann muss das eine Bilanz sein, die man nachvollziehen kann, die man kontrollieren kann, dass es uns auch gelingt, die schwarzen Schafe, die es immer gibt, auch wirklich rauszugreifen und nicht allen etwas überzustülpen, die vielleicht ganz normal ihren Betrieb bewirtschaften und die zurecht sagen, ich kann doch meinen Betrieb, den ich heute so bewirtschafte, dass alles optimiert ist, nicht einfach um 20 Prozent reduzieren und habe dann nicht mehr ausreichende Nährstoffbilanz.
"Es kann nicht sein, dass der Weg der Gülle aufs Land führt"
Armbrüster: Jetzt sagen Sie, das sind ein paar schwarze Schafe. Wir haben das in den vergangenen Tagen ja gesehen: Da sind tausende von Landwirten auf die Straße gegangen, um gegen diese EU-Düngemittelverordnung und ihre Konsequenzen zu demonstrieren. Deshalb noch mal die Frage: Was sagen Sie den vielen Landwirten, für die das tagtägliches Geschäft ist, diese Gülle auf den Feldern auszubringen?
Lies: Das sind nicht nur Landwirte, die Gülle auf die Felder ausbringen. Das ist ein bisschen zu einfach, weil wir auch ganze Regionen haben, in denen wird gar keine Wirtschaftsdünger-Gülle ausgebracht, sondern es werden nur Mineraldünger ausgebracht, weil es da immer so war. Erst mal haben wir zu viel Wirtschaftsdünger, zu viel Gülle, und es kann nicht sein, dass der Weg der Gülle aufs Land führt, weil wir sie sonst nicht los werden, weil damit wird unser Grundwasser und damit das Trinkwasser belastet.
Armbrüster: Entschuldigung, wenn ich Sie da unterbreche. Das heißt, da müssten die Politiker einen Schlussstrich ziehen, neue Gesetze und Verbote erlassen für das Ausbringen von Gülle?
Lies: Genau! Es muss ganz klare Grenzen geben. Wir sagen, dass man eigentlich nicht mehr Nährstoffe auf die Fläche bringen darf, als Pflanzenbedarf da ist. Allerdings kann ich den auch nicht um 20 Prozent reduzieren. Aber es gibt Bereiche, wenn ich den Mais nehme. Der Mais ist ein gutes Beispiel in Niedersachsen. Der Mais wird aus meiner Sicht an ganz vielen Stellen überdüngt, weil er eine Gelegenheit ist, auch mehr Wirtschaftsdünger, als für den Mais notwendig ist, auszubringen. Das wird am Ende nicht aufgenommen und geht ins Grundwasser.
Wir müssen sehr genau gucken, was wird dort angebaut, wie ist der wirkliche Bedarf, und dann darf auch nicht mehr Wirtschaftsdünger ausgebracht werden, als die Pflanze braucht. In den roten Gebieten, die wir auch haben, da müssen wir jetzt schon der Belastung entgegenwirken und da wird man betriebsbezogen sagen, da müsst ihr die Ausbringung reduzieren. Wir sagen heute, um 20 Prozent, oder wir sagen, ihr müsst auf bestimmte Dünger verzichten: keine Herbstdüngung mehr, keine Düngung der Zwischenfrucht.
Man kann es fachlich erklären, oder man kann es mit minus 20 Prozent oder minus zehn Prozent erklären. Dann muss der Betrieb, der Landwirt alleine entscheiden, an welcher Stelle er darauf verzichtet. Aber dort, wo heute rote Gebiete sind, dort müssen wir auch handeln.
Armbrüster: Herr Lies, was sagen Sie, wie sich Julia Klöckner in dieser ganzen Angelegenheit verhält? Wäre sie auch in der Lage, solche Wahrheiten auszusprechen, Julia Klöckner von der CDU?
Lies: Ja! Ich glaube, alle wissen das ja, und ich meine, die meisten sprechen es ja auch aus. Es tun sich alle etwas schwer damit, eine ganz einfache Lösung zu finden. Wer sich die Mühe macht - und jetzt ist das ja quasi nur der Randbereich -, sich die Düngeverordnung mal anzusehen, der wird feststellen, dass sie in ihrer Komplexität fast nicht mehr zu überbieten ist.
"Wir müssen den Einsatz des Düngers und den Einsatz der Nitrat-Belastung reduzieren"
Armbrüster: Aber warum hält Frau Klöckner dann Brüssel weiter hin? Warum prescht sie da nicht voran, wie Sie es gesagt haben, mit Grenzwerten, die einzuhalten sind, und mit neuen Gesetzen?
Lies: Ich glaube, dass es inzwischen auf der Bundes- und auf der Landesebene gute Wege gibt. Niedersachsen ist da sehr konsequent. Niedersachsen sagt, wir brauchen eine Datenbank und eine Analyse, wo wir nachvollziehen können, wie die Bilanz des Wirtschaftsdüngers ist, und wir brauchen dann auch Maßnahmen, die geeignet sind, in den roten Gebieten auch wirklich dafür zu sorgen, dass der Eintrag reduziert wird, damit sich die Situation verbessert im Grundwasser.
Ich glaube, dass Niedersachsen gute Vorschläge gemacht hat und dass die - das ist meine Meinung - in der Sachlichkeit jetzt auch in Berlin und damit auch in Brüssel diskutiert werden. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen und den Eindruck erwecken, wir mogeln uns da irgendwie durch. Wenn wir uns jetzt durchmogeln und nicht konsequent arbeiten, dann wird die Landwirtschaft von morgen noch größere Probleme haben.
Das heißt, wir müssen konsequent sein. Wir müssen den Einsatz des Düngers und den Einsatz der Nitrat-Belastung reduzieren und wir müssen dort, wo die roten Gebiete sind, auch konsequenter vorgehen. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei, wenn wir Landwirtschaft erhalten wollen.
Armbrüster: Konsequenz ist ein gutes Stichwort, Herr Lies. Zum Abschluss die Frage: Ist das eigentliche Problem an dieser ganzen Angelegenheit nicht eigentlich die Massentierhaltung? Die verursacht ja das Gülle-Problem. Müssen wir die nicht abstellen?
Lies: Das Problem ist der Dünger, der in bestimmten Gebieten zu intensiv ausgebracht wird. Jetzt gibt es ja zwei Wege: Man sagt, wir haben eigentlich eine zu hohe Tierhaltung. Das hat, glaube ich, was damit zu tun, was der Kunde zahlt. Der Kunde sagt sonntags immer, ich finde das ganz schlimm, und montags kauft er billig ein. Ich finde, das gehört zur Wahrheit auch dazu.
Das zweite ist, dass wir dann den Dünger einfach wie gesagt nicht aufs Feld ausbringen, sondern zumindest anders aufbereiten müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Überangebot an Wirtschaftsdünger, das wir haben, nicht aufs Feld gebracht wird, sondern dass wir aufs Feld und auf die Ackerflächen nur das ausbringen, was wir wirklich an Bedarf haben. Da waren die Fehler in der Vergangenheit.
Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Olaf Lies von der SPD, der Umweltminister in Niedersachsen. Herr Lies, vielen Dank für das Gespräch.
Lies: Gerne, Herr Armbrüster.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.