Archiv

Anpassung der Corona-Impfstoffe an Omikron-Variante
"Wir haben jahrzehntelange Erfahrung mit diesem Verfahren beim Grippeimpfstoff"

Wegen der hochansteckenden Omikron-Variante sollen in den kommenden Monaten angepasste Impfstoffe gegen das Corona-Virus auf den Markt kommen. Die Zulassung könne sehr schnell gehen, neue Nebenwirkungen seien nicht zu erwarten, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Peter Liese im Dlf.

Peter Liese im Gespräch mit Arndt Reuning | 13.01.2022
Der Eingangsbereich der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) im Amsterdam.
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat sich noch nicht geäußert über die Notwendigkeit eines an Omikron angepassten Impfstoffes (AP)
Bereits kurz nach Bekanntwerden der ersten Omikron-Fälle haben Impfstoff-Hersteller wie Biontech/Pfizer und Moderna angekündigt, ihre Vakzine an die hochansteckende neue Variante anpassen zu wollen. Ende Januar soll nach Biontech-Angaben eine klinische Studie zu den Vakzinen beginnen, der Markt könnte dann bis März beliefert werden – wenn denn die behördlichen Genehmigungen vorliegen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat allerdings noch nicht erklärt, ob sie solch einen angepassten Impfstoff überhaupt für notwendig hält.
Der Mediziner und Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) zeigte sich im Dlf irritiert über das "defensive" Verhalten der EMA. Er geht aber davon aus, dass eine Zulassung der angepassten Impfstoffe sehr schnell gehen kann. Denn nötig sei kein erneutes langes Zulassungsverfahren, sondern eine sogenannte Bridging Study, so Liese, "also eine Überbrückungsstudie, wo man nachweist, dass der Impfstoff gegen die Variante, die man untersucht, genauso gut wirkt wie der ursprüngliche Impfstoff gegen das Ursprungsvirus gewirkt hat". Man nehme dann an, dass auch die Nebenwirkungen gleich seien. Es gebe auch sehr viele zugelassene Grippeimpfstoffe, die jedes Jahr angepasst würden auf die unterschiedlichen Mutationen des Grippevirus. Das Verfahren sei das gleiche. Wenn man einmal einen Impfstoff auf den Markt bringe und dann nur die Sequenzen anpasse, seien dadurch keine vermehrten Nebenwirkungen zu erwarten. Die Frage sei eher, ob der angepasste Corona-Impfstoff tatsächlich gegen die Omikron-Variante wirke. Das müsse beantwortet werden.

Das Interview im Wortlaut:

Arndt Reuning: Wie sieht das Zulassungsverfahren für einen Impfstoff aus, der an neue Varianten angepasst wurde?
Peter Liese: Ja, wir haben schon im letzten März, als die ersten Varianten Alpha, Beta, Gamma aufgetaucht waren, das Zulassungsverfahren geändert, denn es wäre ja nicht sinnvoll, jetzt die ganzen Schritte, die bei der Erstzulassung, bei der bedingten Marktzulassung vor anderthalb Jahren durchlaufen werden mussten, zu wiederholen. Von der ersten Untersuchung von Biontech bis zur Zulassung, das waren ja fast zwölf Monate. Das war sehr schnell im Vergleich zu anderen Zulassungsverfahren, das würde jetzt aber natürlich viel zu lange dauern.  Und wir wissen ja, dass die Impfstoffe sicher sind und dass sie grundsätzlich wirken.

Mehr zur Corona-Impfung


Deswegen braucht man jetzt keine neue Phase-I-, -II-, -III-Prüfung und dann noch mal die Gesamtzulassung, sondern man braucht nur eine sogenannte Bridging Study, also eine Überbrückungsstudie, wo man nachweist, dass der Impfstoff gegen die Variante, die man untersucht, genauso gut wirkt wie der ursprüngliche Impfstoff gegen das Ursprungsvirus gewirkt hat. Und man nimmt dann zu Recht an, dass die Nebenwirkungen und die sonstigen Dinge, die man beachten muss, gleich sind. Deswegen kann das sehr schnell gehen. Insgesamt kann das von heute an in drei Monaten so sein, dass der Impfstoff zur Verfügung steht. Die Frage ist, in welcher Menge wird Biontech dann diesen angepassten Impfstoff zur Verfügung stellen – sicher nicht am ersten Tag für alle auf der ganzen Welt.

Impfstoffe "hinreichend ähnlich"

Reuning: Sie haben gerade diese Bridging Study erwähnt, wie genau funktioniert das denn, also auf welche Parameter des Immunsystems schauen denn da die Experten?
Liese: Im Wesentlichen auf die neutralisierenden Antikörper. Also man muss nachweisen, dass die gegen die Variante, die zu untersuchen ist, genauso gut neutralisieren wie der Ursprungsimpfstoff gegen den Ursprungsvirus, sodass man dann extrapolieren kann, dass es auch eine ähnliche Wirkung im tatsächlichen Leben haben wird.
Peter Liese (CDU), EU-Abgeordneter und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament
Der CDU-Europaabgeordnete und Mediziner Peter Liese (dpa / Bernd Thissen)
Reuning: Sie haben auch schon mögliche Nebenwirkungen oder mögliche Impfkomplikationen erwähnt. Müsste man da nicht noch etwas genauer hinschauen, oder sind diese beiden Impfstoffvarianten dann eben auch hinreichend ähnlich, dass da nichts zu erwarten ist?
Liese: Sie sind hinreichend ähnlich, und wir haben ja jetzt jahrzehntelange Erfahrungen mit diesem Verfahren beim Grippeimpfstoff. Es gibt ja sehr viele zugelassene Grippeimpfstoffe, und die werden jedes Jahr angepasst auf die unterschiedlichen Mutationen des Grippevirus, und das ist das gleiche Verfahren im Grunde. Also es hat sich bewährt, dass wenn man einmal einen Impfstoff auf einer bestimmten Technologie mit einer bestimmten Methode, auch mit den gleichen Substanzen, den gleichen Hilfsstoffen und so weiter, auf den Markt bringt und dann nur die Sequenzen anpasst, dass dann dadurch eben keine vermehrten Nebenwirkungen zu erwarten sind. Die Frage, die sich stellt, ist: Wirkt das? Die Frage muss beantwortet werden – übrigens auch nicht nur bei Biontech, sondern auch bei Moderna und vielleicht noch wichtiger bei Novavax, da ist die Frage noch gar nicht beantwortet, ob es überhaupt wirkt gegen Omikron.

"Auf Dauer muss noch etwas Besseres kommen"

Reuning: Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat sich noch nicht geäußert über die Notwendigkeit eines an Omikron angepassten Impfstoffes. Ist das denn ungewöhnlich, wäre so eine Äußerung zu erwarten gewesen?
Liese: Ja, das kann ich ehrlich gesagt nicht so ganz werten. Ich habe darüber vorgestern auch mit der Gesundheitskommissarin gesprochen. Aus meiner Sicht ist es richtig, jetzt dieses Verfahren einzuleiten, und die Europäischen Union hat ja schon Verträge abgeschlossen, dass wenn der Impfstoff angepasst wird, dass man dann auch den angepassten Impfstoff sehr schnell ausliefern muss. Was da jetzt dahintersteckt: Die EMA hat ja eine Rolle, die oft verwechselt wird. Es ist nicht die STIKO (Ständige Impfkommission) in Deutschland und es ist auch nicht irgendwie eine Gesundheitsbehörde, die zu jedem Thema sofort was sagen kann, sondern sie brauchen eigentlich Zulassungsanträge, um dann eine Entscheidung zu treffen, und da sind sie denn immer so ein bisschen defensiv. Mich irritiert das, und ich stelle mir vor allen Dingen auch die Frage, brauchen wir nicht einen Impfstoff, der nicht nur speziell auf Omikron angepasst ist, sondern auf die Varianten, die jetzt aufgetaucht sind.
Das, was wir jetzt haben, auch Delta, ist zwar ähnlich dem Ursprungsvirus, hat aber sehr viele Mutationen, und viele Mutationen sind bei Alpha, Gamma, Delta und bei Omikron ähnlich. Wenn ein Impfstoff angepasst würde, würde er ja nicht nur besser gegen Omikron wirken, sondern auch gegen Delta. Ich bin zwar Arzt, aber natürlich kenne ich nicht alle wissenschaftlichen Daten und bin kein Immunologe, aber mir scheint es schon sinnvoll zu sein, die Impfstoffe zu verbessern, und andere Hersteller arbeiten ja auch an Impfstoffen der nächsten Generation, die dann insgesamt noch besser wirken. Wir haben super Ergebnisse bei Biontech und Moderna in den klinischen Prüfungen gehabt, aber sie schützen leider nicht sehr lange, und sie schützen auch nicht mehr so gut gegen Infektionen. Und dass da noch was Besseres kommen muss auf Dauer, das scheint mir auch klar zu sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.