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Lilian Peter: "Mutter geht aus"
Meditationen über die Weiblichkeit

Das Essayistische führt in der deutschen Literatur ein Nischendasein. Und es waren oft Männer, die sich darin übten: Heinrich Heine, Walter Benjamin, Ernst Jünger. Lilian Peter stellt sich mit ihrem Debütband "Mutter geht aus", der komplex verdichtet und poetisch assoziativ um das Bild der Frau kreist, bewusst in diese Tradition.

Von Enno Stahl |
Ein Portrait der Autorin Lilian Peter und das Buchcover ihrer Essays "Mutter geht aus"
Ob es um Hegel, Flugangst, den Katholizismus oder die Fallstricke der Sprache geht, immer schlägt Lilian Peter den Bogen zur Weiblichkeit, die sie aus einem Netz von Zuschreibungen befreien möchte. (Buchcover Diaphanes / Autorenportrait (c) Achim Lengerer)
Der Essay ist eine eigentümliche Mischform – changierend zwischen literarischer Prosa und Sachtext, die locker-flockige, geistreiche Auseinandersetzung mit einem Thema. Wie in wissenschaftlichen Texten fließen Zitate ein, aber auch die subjektive Perspektive des Autors, Erfahrungen, Erinnerungen, Erlebtes. Will man in dieser Gattung reüssieren, muss man Geist und Esprit besitzen, einen funkelnden Intellekt. Den besitzt auch Lilian Peter. Nach einem angefangenen Klavierstudium hat sie eine philosophische Ausbildung hinter sich gebracht und arbeitet inzwischen im akademischen Bereich.
Ihre sechs Essays, die unter dem lakonischen Titel "Mutter geht aus" vereint sind, zeigen sich als komplexe, stark verdichtete Meditationen über Weiblichkeit und die Rolle der Frau. Sie greifen – zumindest vordergründig – deutlich mehr Motive auf. Aber wenn es eine Konstante gibt, dann diese. Peter klopft kultur-, literatur- und geistesgeschichtliche Phänomene darauf ab, welche Weiblichkeitsvorstellungen und welche diskriminierenden Elemente sie bergen. So verfasst sie einen galligen Brief an Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dem sie attestiert, in seiner Philosophie die Frau zum Verschwinden zu bringen:
"Was Sie, oder Ihresgleichen, gerne das 'schöne Geschlecht' nennen, das 'schöne Geschlecht' ist nicht das Ir- oder Arationale in seiner 'Materialität', 'Mütterlichkeit', 'Weiblichkeit' usw., das 'schöne Geschlecht' ist nicht 'die Frau', sondern das 'schöne Geschlecht' ist die Zukunft, das, was sich einschreibt."

Unsichtbar in deutschen Universitäten

Natürlich steht Hegel stellvertretend für eine Reihe anderer Philosophen, sie erwähnt auch Heidegger oder Kierkegaard. Und natürlich hat Peter Recht damit, wenn sie das ideologiekritisch aufarbeitet. Denn wenn die Geschichte der Völker eine Kontinuität besitzt, dann die der männlichen Dominanz. Sie ging und geht einher mit dem Versuch der Unterwerfung und Unterdrückung des weiblichen Geschlechts, und damit, es verschwinden zu machen. Auch heute noch an deutschen Unis, wie Lilian Peter feststellt:
"In Philosophieseminaren in Heidelberg war die erste Reihe grundsätzlich von auserwählten Jünglingen mit blassen Gesichtern in schwarzen Anzügen mit tiefen Hosentaschen mit schweren Schlüsselbünden darin besetzt, von Jünglingen, die immer sprechen durften und von diesem ihrem Recht ausführlich Gebrauch machten, Frauen im Seminar gab es nur wenige, Namen hatten wir nicht, wir saßen weit hinten und meldeten uns nur selten zu Wort, wenn doch, so wurden wir ohnehin nicht aufgerufen, wenn doch, so wurde ohnehin übergangen, was wir sagten, wenn nicht, so blieb, was wir sagten, im Raum stehen wie ein mit Helium gefüllter Ballon."

Mut zur Lücke und zur Körperlichkeit

Man darf jetzt nur nicht denken, dass Peters Essays mit konsistenten Argumentationen aufwarteten. Vielmehr sind ihre Texte sprunghaft, gewissermaßen geistig flanierend, es geht nicht darum, Gedanken systematisch auszubauen, sondern eher darum, Gegenstände poetisch zu umkreisen, einzukreisen, Beziehungen aufblitzen zu lassen, wo keine zu sein scheinen. Geradezu programmatisch formuliert sie ihr Verfahren selbst in einem ihrer Essays:
"Das Aufrichtige zeigt sich in seiner Lückenhaftigkeit. An der Lücke ist nichts, was es zu beichten gäbe; weder an ihr selbst, noch an dem, womit sie wie verkehrt. Der aufrichtige Text tut genau das, was im Auge der Geschichte das Obszöne schlechthin ist: Er zeigt Lücken und Öffnungen, er zeigt Körperflüssigkeiten, er zeigt, dass er begehrt und begehrt werden will."

Fixiert auf das Thema Frau

Die Körperlichkeit, die hier dem Text zugesprochen wird, ist ein Anspruch, den Peter erhebt, oft auch gegen die Trockenheit und Leibfeindlichkeit der Philosophen. Die Lücken, die sie propagiert, entstehen bei ihr schon durch die assoziative Schreibweise. Sie erwähnt Murmeln, mit denen sie als Kind spielte. Deren Klackern erinnert sie an einen japanischen Bambuswald, der ähnliche Geräusche von sich gibt, die sie wiederum als dessen "Murmeln" bezeichnet. Später zitiert sie Stellen bei Hegel, an denen dieser vom "Murmeln" spricht. Das ist schon sehr kunstvoll und scheinbar anstrengungslos gemacht.
Sehr tiefgründig sind ihre Sprachanalysen, die Worte und Wortsegmente auf Unterdrückungspotenziale scannen. Falsch ist das nicht. Doch bei aller stilistischen Eleganz und Eloquenz wirken ihre Essays bisweilen doch ein wenig monothematisch – alles kreist fast manisch um das Bild der Frau. Wen das ebenfalls stark umtreibt, wird hier ganz sicher fündig. Schön wäre aber vielleicht schon gewesen, Peters Sichtweisen auch auf andere Aspekte der Zivilisation zu erfahren.
Lilian Peter: "Mutter geht aus". Essays
Diaphanes Verlag, Zürich
222 Seiten, 20 Euro