Maja Ellmenreich: Die sogenannte Limbach-Kommission ist ein Mediator oder eine Mediatorin und soll beraten bei Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz. Solch ein Kulturgut ist das Juan Gris Stillleben "Violon et encrier" aus dem Jahr 1913 und die beiden Parteien, die die Limbach-Kommission angerufen haben, das sind zum einen die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim - sie erheben Anspruch auf das Bild - und zum anderen die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. In deren Besitz ist das Bild seit Langem. Heute hat die Limbach-Kommission in diesem Fall eine Empfehlung ausgesprochen und in den Augen meines Kollegen Stefan Koldehoff ist das ein Politikum. Warum?
Stefan Koldehoff: Sie haben es gerade schon gesagt. Die eine Partei ist ausgestiegen aus diesem Verfahren, hat erklärt, dass die letzte Anhörung am 12. Februar ihrer Meinung nach nicht ordnungsgemäß abgelaufen sei, unter anderem, weil Mitglieder der Kommission nicht anwesend waren, weil deswegen noch mal eine Zusammenfassung geschrieben wurde seitens der Flechtheim-Erben, die nach ihrer Meinung nicht rechtzeitig zugestellt worden ist. Summa summarum: Eigentlich konnte dieses Gremium in dieser Sitzung gar nicht zu einem abschließenden Urteil kommen, weil gar nicht alle Informationen auf dem Tisch lagen. Deswegen haben die Anwälte gesagt, dann ziehen wir uns jetzt zurück, wir glauben, dass unsere Partei hier benachteiligt ist. Und nun stelle ich mir natürlich die Frage - Sie haben gerade von einer Mediation gesprochen; man könnte vielleicht auch von einem Schiedsgerichtsverfahren sprechen, obwohl die Limbach-Kommission diese Position weit von sich weisen würde, das jedenfalls immer getan hat: Ist das denn eigentlich in einem Rechtsstaat zu machen, dass eine Partei sagt, wir glauben, dass das Gericht, um mal in dieser Sprache zu bleiben, sich falsch verhält, wir möchten, dass das überprüft und abgestellt wird, und stattdessen wird einfach ein Urteil verkündet. Das wirkt auf mich ein bisschen kafkaesk.
"Es gibt keine Kontrollinstanz"
Ellmenreich: Was für eine Möglichkeit gibt es denn jetzt eigentlich, diesen Prozess fortzuführen, Prozess nicht als gerichtlichen, juristischen Prozess, sondern einfach als Vorgang? Welche Möglichkeit gibt es jetzt? Gibt es überhaupt noch eine Instanz, die darüber entscheiden kann?
Koldehoff: Ja, das ist das große Problem. Es gibt für die Limbach-Kommission weder eine Verfahrensordnung, die festlegen würde, welche Abläufe denn eigentlich die gegebenen sind. Da gibt es seit einiger Zeit massive Kritik daran, vorgetragen unter anderem von keinem geringeren als Hermann Parzinger, dem Präsidenten der großen Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Und das Zweite ist: Nein, es gibt keine Kontrollinstanz. Das was die Limbach-Kommission empfiehlt, dem hat man sich in aller Regel zu unterwerfen. Es gibt übrigens im Moment sogar Überlegungen, ob das schriftlich festgehalten werden soll, dass auf jeden Fall dieser Schiedsspruch (noch mal, der nicht überprüft werden kann und der nicht angefochten werden kann), ob der in jedem Fall verbindlich sein soll.
"Es gibt ja auch inhaltliche Kritik"
Ellmenreich: Ist das jetzt vielleicht sogar der Anlass dafür, dass eine Reform der Limbach-Kommission doch in Gang gebracht werden kann, wenn so ein prominenter Fall jetzt stattgefunden hat, wenn auf der anderen Seite auch solche prominenten Stimmen sich mit ihrer Kritik zu Wort melden?
Koldehoff: Die Forderungen gibt es seit Längerem schon. Die gehen auch noch weiter. Und es gibt Vergleichsbeispiele. Es gibt ja solche Kommissionen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien, in den Niederlanden, in Österreich. Da arbeitet man wesentlich transparenter und wesentlich überprüfbarer. Auf der anderen Seite habe ich ein bisschen das Gefühl, dass man sich da in Deutschland nicht herantraut an diese Reformen, weil man Angst hat, Leute wie Rita Süssmuth oder Jutta Limbach und die anderen Mitglieder zu desavouieren, also indirekt zu sagen, was ihr da gemacht habt in den letzten Jahren, das war aber nicht so das Optimum.
Auf der anderen Seite: Es gibt ja nicht nur die formale Ebene, über die wir jetzt gesprochen haben; es gibt ja auch inhaltliche Kritik. Die Flechtheim-Erben sagen ja auch, da sind Sachverhalte falsch bewertet worden. Da hat die sogenannte Beweisumkehr nicht stattgefunden. Seit '99 haben sich die öffentlichen Museen in einer Erklärung dazu verpflichtet: Sie müssen beweisen, dass ihnen ein Bild rechtmäßig gehört. Sonst muss unter bestimmten Voraussetzungen restituiert werden. Das hat in diesem Fall wieder nicht stattgefunden. Da stehen wieder Sätze drin wie "alles spricht dafür, dass …" oder "möglicherweise ist es so gewesen, dass …" und man möchte eigentlich fast den Flechtheim-Erben die Beweislast wieder zuschieben. Die Grundlagen der eigenen Arbeit scheinen gar nicht mehr präsent zu sein und deswegen glaube ich, dass diese heutige Entscheidung noch mal eine solche Welle der Entrüstung auslösen wird, dass bestimmt die Verantwortlichen an einer Reform nicht mehr vorbei kommen.
Ellmenreich: Stefan Koldehoff, Ihr Plädoyer: Tabula rasa und ein ganz neues Gremium, eine ganz neue Kommission mit neuen Regeln aufstellen und ins Leben rufen?
Koldehoff: Ja, ich glaube, das ist jetzt dringend geboten, rechtsstaatliche Voraussetzungen auch für dieses Gremium implementieren, Überprüfbarkeit, Transparenz, Recht auf Akteneinsicht. Ich glaube, anders geht es nicht mehr. Bisher war es ein guter Versuch, der mal so oder mal so funktioniert hat, aber weiter kann es so nicht gehen.
Ellmenreich: Stefan Koldehoff, vielen Dank. Wir sprachen über die Sache Flechtheim gegen Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und die heute veröffentlichte Empfehlung der sogenannten Limbach-Kommission.
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