NS-Raubkunst
Limbach-Kommission: Ein Ende ohne neuen Anfang

Die Limbach-Kommission ist faktisch Geschichte – bei einem Treffen im Kanzleramt wurde ihr Ende verkündet. Schiedsgerichte sollen sie ersetzen, doch für diese gibt es noch kein tragfähiges Konzept.

Von Stefan Koldehoff | 24.06.2024
    Gemälde von Wassily Kandinsky mit dem Titel "Das bunte Leben" von 1907.
    Ausschnitt aus Wassily Kandinskys "Das bunte Leben" (1907). Mit dem Gemälde hat sich die Limbach-Kommission unlängst beschäftigt - und eine Rückgabe an die Erben empfohlen. (picture alliance / akg-images)
    Die Stimmung war angespannt im kleinen Kabinettssaal in der sechsten Etage, trotz des Ausblicks ins Grün neben dem Bundeskanzleramt. Für den Mittwochnachmittag der letzten Maiwoche hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Mitglieder der „Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“ eingeladen. Eine Tagesordnung gab es nicht.

    "Verrat am Geist der Washingtoner Prinzipien"

    Dass es um den im März verkündeten Beschluss von Bund, Ländern und Kommunen gehen würde, an die Stelle der Kommission Schiedsgerichte zu setzen, lag aber in der Luft – zumal Vertreter der Länder Rheinland-Pfalz und Sachsen mit am großen ovalen Tisch saßen. Schon nach wenigen Worten wussten die fünf anwesenden Kommissionsmitglieder dann auch, warum sie eingeladen worden waren: um von ihrer eigenen Abwicklung zu erfahren. Die Entscheidungen von März würden jetzt verbindlich, sagte Roth schon in ihrer Begrüßung. Bund und Länder arbeiteten bereits in Arbeitsgruppen an der Umsetzung. Die Beratende Kommission solle den Prozess begleiten.
    "Limbach-Kommission" endet - ohne tragfähiges Ersatzkonzept

    Stichwort Limbach-Kommission

    Die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, ist auch als Limbach-Kommission bekannt. Sie wurde 2003 eingerichtet, um Konflikte um die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunstwerke zu klären, die sich heute vor allem in öffentlichen Museen befinden. Die Kommission kann bei Streitfällen angerufen werden und soll schließlich eine Empfehlung aussprechen. Am Ende des Verfahrens soll eine „gerechte und faire Lösung“ stehen. Die erste Kommissionsvorsitzende war die 2016 verstorbene frühere Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach, die dem Gremium ihren Namen gab. An der Arbeit der Kommission gab es in der Vergangenheit viel Kritik, was auch an fehlenden Befugnissen lag: Die Kommission konnte nur tätig werden, wenn auch das betroffene Museum bzw. der Träger – Bund, Länder oder Kommunen - zustimmte. Jüdische Familien mussten deshalb zum Teil jahrelang darum bitten, dass ihr Verfolgungsschicksal anerkannt und über die ihnen gestohlenen Bilder gesprochen wurde. Manche NS-Verfolgte starben, bevor es zu einer Rückgabe kam.
    Entsprechend heftig fielen die Reaktionen der Kommissionsmitglieder – unter ihnen der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, die ehemalige Bundesverwaltungsgerichtspräsidentin Marion Eckertz-Höfer und der Präsident des Deutschen Historischen Museums, Raphael Gross – aus. Der amerikanische Philosoph Gary Smith, ebenfalls Mitglied des ehrenamtlich tätigen Gremiums, sprach im Kanzleramt laut einem internen Protokoll, das dem Deutschlandfunk vorliegt, von „Verrat am grundlegenden Geist der Washingtoner Prinzipien und ihrer Verfeinerung in den letzten 25 Jahren“.
    Den Wechsel von der Beratenden Kommission zu Schiedsgerichten hatten vor allem die Bundesländer gefordert. Nur so, lautete ihr Argument, seien die einseitige Anrufbarkeit und die gleichzeitige Verbindlichkeit von Entscheidungen, die dann eben nicht mehr nur Empfehlungen seien, umsetzbar.
    Verschiedene Entscheidungen der Beratenden Kommission in den vergangenen Jahren hatten zu einem schleichenden Vertrauensverlust bei den Ländern und Kommunen geführt, in deren Trägerschaft in Deutschland die meisten öffentlichen Museen liegen. Vor allem der Fall des Franz-Marc-Gemäldes „Füchse“ aus dem Kunstpalast Düsseldorf, bei dem das Kommissionsmitglied Marieluise Beck seine Beurteilung bereits in den Sitzungs-Chat postete, bevor die Stadt ihre Position auch nur vortragen konnte, hat dazu maßgeblich beigetragen, bestätigt ein Landeskulturminister.

    Hoffnung auf eine "rechtssichere Verfahrensordnung"

    Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) teilte schon am Tag nach dem Bund-Länder-Beschluss und nach 15-jähriger Verweigerungshaltung seines Landes im Streit um ein Gemälde mit: „Für mich ist klar, dass wir Picassos ‚Madame Soler‘ vorlegen, sobald es das Schiedsgericht gibt.“ Blume sprach von einer „künftig rechtssicheren Verfahrensordnung und einem ausdifferenzierten Bewertungsrahmen“ - und kritisierte damit die Kommission.
    Die nach ihrer ersten Vorsitzenden immer noch sogenannte „Limbach-Kommission“ ist mit dem Treffen im Kanzleramt endgültig Geschichte. Die beschlossene Umwandlung in Schiedsgerichte kommt deutlich schneller als vermutet; aus der moralischen wird eine juristische Instanz. Schon bei ihrem nächsten Treffen am 9. Oktober sollen die Kulturminister der Länder das neue Verfahren im Umgang mit strittigen NS-Raubkunst-Fällen beschließen – als Verwaltungsabkommen, ohne parlamentarische Beteiligung. Die in der Koalitionsvereinbarung angekündigte „Stärkung der Beratenden Kommission“ ist damit Makulatur – ohne dass es bislang allerdings ein neues abgestimmtes Konzept gäbe.

    Vertreter der Erbenseite haben Bedenken

    Das soll nun in gut zwölf Wochen erarbeitet werden. Vertreter der Erbenseite haben Bedenken, dass NS-Opfer künftig schwieriger Gehör und Recht finden könnten.
    Dass viele zentrale Fragen noch offen sind, bestätigt auch ein beteiligter Landesminister: „Ist eine sofortige einseitige Anrufung möglich, oder müssen vorher andere Schlichtungsversuche unternommen werden? Wer trägt die Kosten, falls Anwält*innen engagiert oder Gutachten beauftragt werden müssen? Müssen also gegebenenfalls jüdische NS-Opfer dafür bezahlen, zu ihrem Recht zu kommen? Sind die Schiedsrichter*innen von den Streitparteien frei wählbar? Wie wird Staatsferne gewährleistet, wenn fast alle betroffenen Museen in staatlicher Trägerschaft sind? Wird die jüdische Gemeinschaft in die Schiedsgerichtsbarkeit mit einbezogen werden? Und sind, wie jetzt bei der Kommission, auch künftig noch Entscheidungen möglich, wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt – kann ein Gericht dann ein Urteil sprechen? Über all das müssen wir noch nachdenken.“

    Drei Jahre Bearbeitungszeit wären zynisch

    Ungeklärt ist auch, ob das neue Verfahren zu längeren Fristen führt, wenn Bund und Länder dafür nicht mehr Geld und Personal bereitstellen. Drei Jahre für einen Fall schwebte den Ländern in der zuständigen Arbeitsgruppe einmal vor. Angesichts des hohen Alters vieler Anspruchstellerinnen wäre das zynisch.
    Es gehe darum, „die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien in Deutschland im Sinne der Verfolgten und ihrer Nachkommen zu verbessern“, teilt dagegen die Behörde der Kulturstaatsministerin (BKM) auf Anfrage mit. Man stimme auch in verschiedenen Punkten nicht mit dem Bonner Jura-Professor Matthias Weller überein, der in einer Studie für das BKM eine mögliche neue Verfahrensweise skizziert und dabei eine „strikte und uneingeschränkte Neutralitätserwartung“ gegenüber allen Verfahrensbeteiligten formuliert hatte. Das BKM vertrete „anders als die Studie dezidiert die Ansicht, dass Vertreterinnen und Vertreter des jüdischen Lebens in jedem Gremium vertreten sein müssen, das in Umsetzung der Washingtoner Prinzipien tätig ist“.

    Grosz, Beckmann, Rubens und van Goyen

    Acht Fälle liegen zurzeit noch bei der Beratenden Kommission. Fünf davon wurden noch kurz nach dem Bund-Länder-Beschluss vom März eingereicht. Es geht unter anderem um Werke von Grosz und Beckmann, Rubens und van Goyen. Ob die Schicksale ihrer ehemaligen Besitzer jetzt überhaupt noch recherchiert und Empfehlungen ausgesprochen werden können, ist in der Kommission nach dem Gespräch im Kanzleramt umstritten.
    Unbeantwortet bleibt letztlich auch die Frage, warum man bei der anstehenden Reform nicht gleich das gesamte System grundsätzlich durchdacht, sie für den großen Wurf genutzt hat. Indem man zum Beispiel feststellt, dass das eigentliche Thema nicht Kunst heißt, für das die föderale Zuständigkeit bei den Ländern liegt, sondern Wiedergutmachung und Entschädigung, für die – wie beim Bundesentschädigungsgesetz – der Bund selbst Verfahren beschließen könnte, ohne Rücksichten auf regionale Befindlichkeiten nehmen zu müssen.