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Limes
Grenzverkehr zwischen Römern und Germanen

Auf der einen Seite die römische Hochkultur, auf der anderen Seite Germania, später von den Römern auch verächtlich Barbaricum genannt. Der seit dem Ende des 1. Jahrhunderts errichtete Limes sollte die beiden gegensätzlichen Welten trennen, aber nicht nur.

Von Barbara Weber |
    Neben Mauern und Palisaden legte auch die natürliche Geografie - der Rhein und die Donau - die Grenze fest. Dabei fand ein reger Austausch statt, wurde Handel getrieben, verdingten sich Angehörige von Germanenstämmen in der römischen Armee oder zogen plündernd durch die von Rom besetzten Gebiete.
    Die römischen Territorien sind von Wissenschaftlern gut erforscht - schon allein aufgrund der zahlreichen Hinterlassenschaften. Doch erst in den letzten Jahren beginnt hierzulande die intensive Beschäftigung mit den Germanen jenseits der Grenze.

    Das Manuskript in voller Länge:
    Rufus: "Ich habe sagen hören, sie importierten diese Pelze aus sagenhaften Gegenden an unbekannten nördlichen Meeren."
    Sextus: "Apropos Fell: Angeblich hausen sie mit ihren Haustieren unter einem Dach! Das muss doch ein entsetzlicher Gestank sein!"
    Rufus: "Ja, aber schön warm!"
    Sextus: "Nun, offensichtlich legen sie auf Feinheiten keinen besonderen Wert. Ich hörte, zum Frühstück äßen sie gliederweise gebratenes Fleisch, dazu tränken sie Milch und ungemischten Wein."
    Dieser Dialog ist frei erfunden, aber angelehnt an das, was Tacitus überliefert hat. Die zwei römischen Legionäre, die sich hier über die Germanen unterhalten, können Besucher im Römermuseum Xanten hören. Sie liefern einen Eindruck davon, wie die Römer die Germanen gesehen haben.
    "Wir stehen jetzt hier im Zentrum der römischen Stadt zwischen den großen öffentlichen Bauten, den Thermen, dem Forum und dem Kapitolstempel", sagt Dr. Bernd Liesen. Er ist im LVR Archäologischen Park Xanten für die Bearbeitung der römischen Fundstücke zuständig.
    Der Park mit seinen zum Teil wiedererrichteten römischen Bauten zeigt eindrucksvoll Teile der antiken römischen Stadt."
    "Wir blicken jetzt nach Osten direkt in das freie Germanien, vor uns die römische Stadtmauer, die den Germanen als imponierender, eindrucksvoller Bau erschienen sein muss. Es gab mehrere Tore, die sich zum einen auf die Straßen, die von Xanten aus am Limes entlang nach Norden und nach Süden führten, öffneten. Es gab Straßen, die ins Innere der Provinz führten. Und es gab auch Tore, die sich zum römischen Hafen hin öffneten, der natürlich auch wieder die Anbindung an die germanische Welt bildete."
    Die wiederum konnten die Stadtbewohner auch mit Hilfe von Lastkähnen erreichen, deren Dimensionen die Besucher des Museums erahnen können.
    "Hier in diesem über dreißig Meter langen Schiff, das ein ganz flaches Heck und einen flachen Bug hat, fast wie unsere Autofähren heute in etwa sind, da konnte natürlich auch auf dem flachen Ufer aufgesetzt werden und Vieh oder auch andere größere Gegenstände mühelos aufs Schiff geladen, abtransportiert und wieder ausgeladen werden".
    Was zwischen den Germanen und Römern rechts und links entlang der Grenze alles ausgetauscht wurde und welcher Art die Beziehungen waren, darüber wird seit einiger Zeit intensiv geforscht.
    Germanen-Siedlungen im Vergleich zu Rom wenig entwickelt
    "Im Gegensatz zur durchstrukturierten und offenen römischen Kulturlandschaft haben die germanischen Dörfer mit ihren Feldern nur kleine Siedlungsinseln inmitten von Wäldern und Ödland gebildet. Also man hat vor allen Dingen fruchtbare und leicht zu bearbeitende Böden aufgesucht, weil die Agrartechnologie bei den Germanen noch relativ wenig entwickelt war", sagt Dr. Bernd Steidl, stellvertretender Sammlungsdirektor an der Archäologischen Staatssammlung München.
    Die Lebensweise, die der Archäologe für die Rhein-Donau Region erforscht hat, wird sich von der in anderen Regionen kaum unterschieden haben.
    "Man muss sich die Dörfer so vorstellen, dass sie aus kaum mehr als zwölf Höfen bestanden haben, also über 200 Einwohner dürfte da kaum ein Ort gekommen sein. Im Gegensatz zu den römischen Villen, die auf dem Land standen, müssen wir uns die germanischen Häuser als Wohnstallhäuser vorstellen, das heißt, Mensch und Tier lebten unter einem Dach, ausschließlich Gebäude aus Holz, Stroh und Lehm. Und es gab eigentlich nur einen häuslichen Mittelpunkt, einen zentralen Raum zum Wohnen, Essen und Schlafen mit einer zentralen Feuerstelle, um die herum sich dann die ganze Familie versammelt hat".
    So ist es nicht verwunderlich, dass die germanischen Männer, die im römischen Heer über Jahre ihren Dienst leisteten, nicht unbedingt zu dieser kargen Lebensform zurückkehrten, sondern in der römischen Provinz blieben. Den Grenzverkehr zwischen Germanen und Römern regelten dann häufig Verträge, wie sie zum Beispiel nach germanischen Aufständen an Rhein und oberer Donau geschlossen wurden.
    "Erst in der Zeit nach den Vertragsabschlüssen so um 160 n.Chr. beginnt überhaupt erst der Zustrom römischer Produkte im größeren Stil in die grenznahen Gebiete. Diese Regelungen haben ganz offensichtlich funktioniert, haben den Germanen die Märkte eröffnet, und sie konnten sich dort mit ihren Alltagsgegenständen eindecken. Wichtig war den Germanen vor allen Dingen der Zugang zu Edel- und Buntmetallen, auch zu Eisen, weil es da in Germanien kaum Rohstoffvorkommen gab und mit diesem Zustrom römischen Metalls beginnt dann auch der germanische verschwenderische Umgang. Der Bedarf an Edel- und Buntmetall ist vor allen Dingen über römische Münzen gedeckt worden. Aber die Münzwirtschaft an sich haben die Germanen nicht übernommen".
    Römerprodukte bei den Germanen heiß begehrt
    Nachfrage erzeugt Angebot. Das lässt sich auch im Römermuseum Xanten an einem praktischen Alltagsprodukt beobachten, das sich heute überwiegend in ehemaligen germanischen Siedlungen finden lässt. Bernd Liesen:
    "Es gibt einige Metallgefäße, die in Germanien sogar häufiger gefunden werden als im römischen Reich wie dieser Eimer hier, den sehen Sie da, der mit einem Vries von verschiedenen Figuren verziert wurde. Solche Gefäße wurden, so vermuten wir, auch regelrecht für den Export in die germanischen Gebiete hergestellt".
    Hoch im Kurs bei den Germanen standen auch Fibeln, also Gewandspangen, weiß Bernd Steidl.
    "Weil sie einfach schöner gestaltet waren als die germanischen Produkte. Die germanischen waren einfach drahtförmig geschmiedet aus Buntmetall oder Eisen sogar nur, und die römischen waren prachtvoll verziert mit vergoldetem Silberpressblechen beispielsweise oder mit bunten Emaille-Einlagen. Die machten einfach mehr her!"
    Ein weiteres römisches Produkt erfreute sich großer Beliebtheit: Tongefäße, so genannte Terra Sigillata, die für die Germanen wesentlich attraktiver waren, als die aus eigener Herstellung.
    "Stellen Sie sich ein germanisches Gefäß vor, was so jede Familie nach Eigenbedarf selbst produziert hat, so braune, schwarzbraune, mit der freien Hand geformte, nicht besonders wasserdichte Gefäße, auch für unseren heutigen Geschmack nicht besonders schön anzuschauen, und dem gegenüber standen römische Terra Sigillata-Gefäße, rot glänzend, wasserdicht, mit Reliefs verziert, die relativ billig auf dem Markt zu kaufen waren, weil sie aus Massenproduktion stammten. Und das war ein echter Exportschlager nach Germanien!"
    Terra Sigillata wurde seit Ende des 1. Jahrhunderts hergestellt und bezeichnet ein auf der Töpferscheibe und in anschließendem aufwändigen Prozess gebranntes Tafelgeschirr.
    Wie weit es auch in der römischen Provinz vertreten war, zeigt ein Beispiel aus dem Römermuseum Xanten. Bernd Liesen:
    "Hier auf diesen Tellern und Tassen, da sehen wir eingeritzt in die Böden der Gefäße die Namen der Besitzer. Hier sehen wir einen Victor, also ein richtiger römischer Name. Wir haben aber auch immer wieder keltische Namen, wie zum Beispiel Lipuca und andere, die hier auf diesem Geschirr erscheinen. Stellen Sie sich so eine römische Kaserne vor mit zahlreichen Männern, die zusammen auf engem Raum ihre Gegenstände aufbewahren mussten. Da war es wichtig, dass jeder seinen Besitz auch gekennzeichnet hatte. Wenn im Regal zehn Teller standen, die gleich aussahen, dann wusste keiner mehr, welcher Teller wem gehörte."
    Germanen offenbar keine Feinschmecker
    Wein scheint bei den Germanen nicht besonders beliebt gewesen zu sein – das zumindest legen die Funde nahe. Gern getrunken haben sie allerdings Bier, eine Art Weizenbier. Südfrüchte, Weintrauben, Rosinen, Melonen, Pfirsiche – Fehlanzeige, sagt Bernd Steidl:
    "Wir finden bei den Germanen gar nichts."
    Das zumindest zeigen neuere Bodenuntersuchungen. Hingegen scheint das berühmte germanische Schwert häufig aus römischer Provenienz zu stammen. Diese Waffen waren solider als die germanischen. Die Germanen haben wohl eher minderwertige eigene Ware durch höherwertige römische ersetzt, bis auf wenige Ausnahmen, sagt Bernd Steidl:
    "Was wir finden, was vorher bei den Germanen keine Entsprechung hatte, sind beispielsweise Handspiegel oder medizinische Instrumente, das sind Facetten, die vielleicht ein bisschen was im germanischen Leben verändert haben, also eine medizinische Versorgung hat ihre Auswirkungen, aber ansonsten bleiben Objekte, die ein Veränderungspotential haben, sehr, sehr dünn gesät."
    Und was tauschten die Germanen?
    In Rom wenig Interesse an germanischen Produkten
    "Wir finden auf römischem Boden keine Objekte, die als germanische Handelsware gelten könnten. Also dieses Äquivalent muss aus organischen Materialien bestanden haben oder aus Arbeitsleistung. Wir kennen aus den Schriftquellen die ein oder andere Notiz, dass die Germanen Gänsefedern geliefert hätten für römische Kissen beispielsweise, Felle, die dann auch weiterverarbeitet wurden auf römischer Seite, das berühmte Frauenhaar, das germanische Frauenhaar für die Perücken der römischen Damenwelt oder auch Seife. Das ist übrigens eine germanische Erfindung. Honig möglicherweise auch, vielleicht wird er aber auch überschätzt."
    Erst allmählich beginnen die Wissenschaftler – so der Archäologe Klaus Frank vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland in Bonn - die spärlichen Spuren germanischer Gruppen jenseits des Limes zu erforschen. In einem Artikel in der aktuellen Ausgabe von "Archäologie in Deutschland" weist er darauf hin, dass die Analyse römischer Importe eine Jahrhunderte andauernde friedliche Kooperation über die Grenze hinweg belegt.
    "Das ist eigentlich das klassische Beispiel dafür, was passiert, wenn ich irgendwo eine Grenze zwischen zwei Gebieten habe", sagt Dr. Matthias Becker, Referatsleiter für Boden- und Denkmalpflege am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt in Halle.
    "Ich habe einen Bereich, der relativ grenznah ist, hier ist kleiner Austausch möglich, hier ist Handelsverkehr möglich. Hier ist man dem Nachbarn aber auch immer sehr nahe."
    Was dazu führt, dass die Vorteile friedlicher Koexistenz sichtbar werden.
    "Und ich habe etwas entfernte Gebiete, für die der Handel aufwändiger ist, für die der Austausch aufwändiger ist, wo aber auch der Abstand zum Nachbarn etwas größer ist."
    Das spiegelt auch die Fundsituation wider, so Matthias Becker. In einem limesnahen Streifen findet sich zum Beispiel wesentlich mehr römisches Geschirr als in entfernteren Regionen. Gleichzeitig fehlen hier die so genannten germanischen Fürstengräber – wie man sie unter anderem in Mitteldeutschland findet - die durch ihre besonders reichhaltige Ausstattung mit römischem Import auffallen. Und noch etwas ist außergewöhnlich: der Wert der gefundenen Objekte.
    "Bestimmte römische Objekte würden einen so großen Gegenwert erfordern, dass der eigentlich aus einer normalen agrarischen Produktion kaum zu generieren ist, zum Beispiel Edelsteingefäße. Es gibt im mitteldeutschen Gebiet zwei Nachweise von Achatgefäßen, also Gefäße die tatsächlich aus Achat geschnitten sind und die sind in ihrer Wertschätzung im römischen Reich in den allerobersten Gesellschaftsschichten angesiedelt. Sie gehören zum Bestand des Kaiserhauses und dessen engsten Umfeldes, und das ist etwas, was man schlechterdings auf einem grenznahen Markt in der Regel nicht kaufen kann."
    Funde von Plünderungen
    Wie lässt sich das erklären? Die Wissenschaftler vermuten, dass quasi aus der zweiten Reihe guerillaartige Attacken erfolgten mit dem Ziel zu plündern. Die Entfernung zur Reichsgrenze machte es möglich, sich römischer Vergeltung zu entziehen. Vor allem seit Beginn des 3. Jahrhunderts ließen Fundaufkommen und überlieferte historische Ereignisse nur diese Rückschlüsse zu.
    Auch die Funde ändern sich: statt Terra Sigillata Metall:
    "Das findet sich als Fundnachweis zum Beispiel in Hortfunden wie jenen aus Neupotz im Rhein, wo offensichtlich ein Plünderungsboot versunken ist. Das findet sich aber auch in den zahlreichen Metallgefäßen der spätrömischen Kaiserzeit in Germanien, die sowohl in Gräbern vorkommen, als aber auch als zerschnittene Reste dieser Gefäße in den Siedlungen mitvorkommen und zeigen, dass man die Objekte nicht immer nur ihrer Schönheit wegen mitgenommen hat, sondern auch schlichtweg ihres Materialwertes wegen, um sie dann weiterzuverarbeiten."
    Dass es sich um systematische Zerstörung handelt, belegt die Fundsituation eindeutig.
    "Die Objekte wurden, zum Beispiel wenn sie aus Silber waren, im Rahmen einer Beuteteilung einfach zerhackt und als Materialwert betrachtet. Solche Beispiele gibt es in dem von mir schon genannten Neupotz und zum anderen ist es so, dass wir in germanischen Siedlungen sehr häufig Halbfabrikate der germanischen Buntmetallproduktion finden und das sind in vielen Fällen zerschnittene römische Metallgefäße."
    Darüber hinaus zeigt sich, dass bestimmte Objekte wie Ovaltabletts fast ausschließlich in limesfernen Gebieten vorkommen. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass sie direkt aus den römischen Gebieten transportiert wurden. Unter Berücksichtigung der herrschenden unsicheren Verhältnisse im 3. Jahrhundert – so Matthias Becker – können sie nur aus gezielten Plünderungen der zweiten Reihe stammen. Ein weiterer Faktor kommt hinzu:
    Je unsicherer die Zeiten, desto mehr Import römischer Objekte
    "Dass in den unsicheren Zeiten ganz offensichtlich der Zufluss römischer Objekte eine enorme Steigerung erfährt und auch im Germanischen relativ großzügig damit umgegangen wird, die Dinge nicht unbedingt über Generationen bewahrt werden als Kostbarkeiten, sondern sie eben als Rohmaterialien verwendet werden."
    Ein Aspekt ist allerdings besonders auffallend und spiegelt sich im gesamten Fundmaterial wieder: An dem Langhaus als Wohnform hielten die Germanen eisern fest:
    "Das Langhaus zu verändern würde bedeuten, nicht nur ein Accessoire des täglichen Lebens zu verändern, sondern etwas, was die Wirtschaftsweise trägt, umzustellen."
    Steinbau – wie bei den Römern Standard – ist im germanischen Raum nicht bekannt und bis auf wenige Ausnahmen nicht üblich gewesen.
    "Die römischen Sachgüter, die wir finden, dienen dazu, das germanische Umfeld auszustaffieren oder Rohstoffe, die im germanischen nicht zu gewinnen waren, Buntmetall, Bronze zu verwenden und zu benutzen und damit eine Anmutung zu erzeugen, die qualitätvoller ist, in der auch exotische Objekte vielleicht eine Rolle spielen und damit das Ambiente zu verändern, aber die grundlegende Veränderung der Wirtschaft ist durch die römisch-germanischen Beziehungen in weiten Strecken Germaniens nicht vonstatten gegangen."