Wörtlich fordert der Minister eine teils "grundlegende Revision von Leitentscheidungen, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden". Er schlägt unter anderem den Stopp aller neuen Regulierungen vor. Der Solidaritätszuschlag sollte gesenkt werden und 2027 ganz entfallen, fordert Lindner. Parallel dazu sollte nach den Vorstellungen des Ministers die Körperschaftssteuer schrittweise verringert werden.
Mit Blick auf den Bundeshaushalt 2025 verlangt Lindner weitere Einsparungen. Die Einnahmebasis habe sich um elf Milliarden Euro verringert. Gleichzeitig erhöhten sich die Ausgaben für das Bürgergeld sowie für die Förderung der Erneuerbaren Energie. Diese Aufgabe könne nur gelöst werden, wenn der Weg der Konsolidierung konsequent fortgesetzt werde, heißt es in dem Lindner-Papier. Der 18-seitige Text könnte zu weiterem Streit mit den Koalitionspartnern SPD und Grünen führen.
CDU: Erinnert an Bruch der sozial-liberalen Koalition
Der CDU-Politiker Middelberg sagte zu Lindners Vorschlägen: "Das Papier liest sich wie ein Kündigungsschreiben Richtung Ampel-Partner." Der Vize-Chef der Unionsfraktion im Bundestag erinnerte an das sogenannte Lambsdorff-Papier aus dem Jahr 1982, das zum Bruch der damaligen Regierungskoalition aus FDP und SPD führte. Wenn es Lindner jetzt nicht gelinge, die wesentlichen Punkte seines Papiers durchzusetzen, müsse er zwingend die Ampel-Regierung verlassen, betonte Middelberg gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Der damalige Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hatte ein Papier mit Forderungen vorgelegt, die mit SPD-Positionen unvereinbar waren. Der Text ging später unter dem Namen "Scheidungsbrief" in die Geschichte ein.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Schmid bezeichnete Lindners Ausführungen als "neoliberale Phrasendrescherei". Dem Tagesspiegel sagte Schmid, der Minister bleibe Antworten schuldig und dort, wo es konkret werde, sei das Papier "nicht vereinbar mit dem Koalitionsvertrag. Grünen-Chef Nouripour sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, seine Partei sei stets bereit, ernst gemeinte Vorschläge zum Wohle des Landes zu diskutieren.
Haltung zur Koalition innerhalb der FDP uneins
In den vergangenen Tagen hatten Lindner und Justizminister Buschmann kein eindeutiges Bekenntnis für einen Verbleib ihrer Partei in der Ampel-Koalition bis zum Ende der Legislatur abgegeben. Lindner sagte etwa auf auf eine Frage des Magazins "Der Spiegel", ob er das Bündnis beenden wolle, er habe "keinen diesbezüglichen Vorsatz". Deutschland brauche aber "eine Richtungsentscheidung".
Bundesverkehrsminister Wissing, ebenfalls von der FDP, sprach sich für einen Verbleib seiner Partei in der Ampel-Koalition aus. Das Regierungsbündnis vor Ablauf der Legislatur aufzulösen, wäre respektlos vor dem Souverän, schrieb Wissing in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Es seien die Bürger, die über die Möglichkeiten der Mehrheitsbildung entscheiden, nicht Politiker oder Parteitage. Koalitionen, Regieren und Demokratie seien nicht einfach. Man trage die Verantwortung dafür, dass dies gemeinsam gelinge.
Deutschlandtrend sieht knappe Mehrheit für Neuwahlen
Eine knappe Mehrheit der Deutschen spricht sich inzwischen für Neuwahlen aus. Das ist das Ergebnis des jüngst veröffentlichten ARD-DeutschlandTrends. Demnach bewerten nur noch 14 Prozent der Deutschen die Arbeit der Ampel positiv. Das sind 5 Prozentpunkte weniger als noch Anfang Oktober. 85 Prozent seien weniger oder gar nicht zufrieden.
Als wegweisend für den Fortbestand der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gilt die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, die für den 14. November geplant ist. Dort wird über den Haushalt 2025 entschieden.
Was FDP-Chef Lindner an kurzfristigen Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik vorschlägt, haben wir hier für Sie zusammengefasst.
Einen Kommentar zum "Wirtschaftswende"-Papier finden Sie hier.
Die Deutschlandfunk Kultur-Sendung Wortwechselbeschäftigt sich mit der Frage: "Ist die Koalition noch zu retten?"
Diese Nachricht wurde am 01.11.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.