Im New Yorker Stadtteil Harlem auf einem Schulhof an der 125. Straße bietet sich einem am 26. Mai 2014 ein Bild, das man sonst nur aus Musikvideos kennt: Ein Hydrant am Straßenrand ist defekt, Wasser spritzt in alle Richtungen auf den Asphalt, den die Sonne ordentlich aufgeheizt hat. Drum herum tanzen Paare – zur Erfrischung sogar mitten durch die Wasserstrahlen. Sie Schwingen umeinander herum, fliegen auseinander, halten sich nur noch an einem ausgestreckten Arm, und kurz bevor die Verbindung auseinanderzureißen droht ziehen die Herren die Damen wieder zu sich, nur um sie wieder rundherum, oder sogar über sich hinweg zu schleudern.
World Lindy Hop day! Dance your troubles away if you have any!
Es ist Welt-Lindy-Hop-Tag, der zum 100. Geburtstag von Frankie Manning gefeiert wird. Denn er ist derjenige, der diesen ursprünglichen Swing-Tanz nicht nur in den 20er, 30er und 40er Jahren hier in Harlem mit geprägt hat. Frankie Manning hat Lindy Hop auch in die Welt getragen – allerdings erst, nachdem ihn ein paar tanzbegeisterte Schweden in den 80er-Jahren wiederentdeckt hatten, wie Luther Gales, ein 79-jähriges Harlemer Urgestein erzählt.
"In den 50er-Jahren kam die Bigband Musik zum erliegen. Viele Musiker suchten sich kleinere Bands und die Lindy Hop-Tänzer waren nicht mehr gefragt. Also hat Frankie angefangen, bei der Post zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst irgendwann in den späten 80ern haben ein paar Europäer den Swingtanz wieder für sich entdeckt und suchten die Tänzer aus den alten Videos. Einer von ihnen rief Frankie Manning an und fragte: Sind sie Frankie Manning, der Swing-Tänzer? Und er sagte: Nein, ich bin Frankie Manning, der Postangestellte. Er war ein sehr bescheidener Mensch!"
Von der Poststelle in die Welt getanzt
Seit diesem Anruf in den 80ern bis zu seinem Tod vor fünf Jahren reiste der pensionierte Postangestellte Frankie Manning nach Schweden, Singapur, Südafrika, Argentinien, Kanada und in viele andere Länder, und brachte der neuen Lindy Hop Generation bei, wie man in den 20er, 30er und 40er Jahren in Harlem getanzt hat. Alle, die an diesem Tag, seinem 100. Geburtstag, am Ursprungsort des Lindy Hop zusammen gekommen sind und jetzt auf Frankies früherem Schulhof und im Wasser des Hydranten tanzen, haben das irgendwie von Frankie Manning oder einem seiner Schüler und Schülerinnen gelernt. Die New Yorkerin Amy Winn organisiert im Rahmen der Feierlichkeiten ein Swing-Konzert im Central Park, aus Dankbarkeit für dieses Vermächtnis.
Amy Winn :
"Woran sich viele erinnern ist Frankies Energie und sein Temperament. Und er war so großzügig! Ich meine, der Mann war 95 und ist durch die Welt getourt, um Lindy Hop zu unterrichten - 30 Wochen im Jahr, unermüdlich. Als er starb habe ich zu einer Freundin gesagt: Das erstaunlichste an Frankies Tod ist, dass wir alle überrascht sind, dass ein 95-Jähriger stirbt. Er hat uns alles gegeben und wir sind sehr glücklich über dieses Vermächtnis, denn es hätte so leicht verloren gehen können. Also feiern wir jetzt, fünf Jahre nach seinem Tod eine Geburtstagsparty für ihn. Weil wir das nie vergessen wollen. "
"Woran sich viele erinnern ist Frankies Energie und sein Temperament. Und er war so großzügig! Ich meine, der Mann war 95 und ist durch die Welt getourt, um Lindy Hop zu unterrichten - 30 Wochen im Jahr, unermüdlich. Als er starb habe ich zu einer Freundin gesagt: Das erstaunlichste an Frankies Tod ist, dass wir alle überrascht sind, dass ein 95-Jähriger stirbt. Er hat uns alles gegeben und wir sind sehr glücklich über dieses Vermächtnis, denn es hätte so leicht verloren gehen können. Also feiern wir jetzt, fünf Jahre nach seinem Tod eine Geburtstagsparty für ihn. Weil wir das nie vergessen wollen. "
Dank des Personenkultes, der um Frankie Manning entstanden ist, wird er nicht vergessen, sondern an diesem Tag in den Lindy Hop Gemeinden weltweit gefeiert. Auch in seiner Heimat Harlem. Das ist keinesfalls selbstverständlich, bemerkt Jana Grulichova, Lindyhopperin aus Prag, die eine Tanzschule in Barcelona führt.
Jana Grulichova:
"Es ist unglaublich hier in Harlem zu sein und die Menschen zu sehen, die aus dem Fenster schauen und fragen: Was ist denn das? Es gibt hier so viele Menschen, die nicht wissen, was Lindy Hop ist. Aber sie sind neugierig und lächeln und man sieht, dass auch die Leute auf der Straße Freude daran haben, obwohl sie keine Tänzer sind. Aber sie sind von dem Ort, wo alles begann."
"Es ist unglaublich hier in Harlem zu sein und die Menschen zu sehen, die aus dem Fenster schauen und fragen: Was ist denn das? Es gibt hier so viele Menschen, die nicht wissen, was Lindy Hop ist. Aber sie sind neugierig und lächeln und man sieht, dass auch die Leute auf der Straße Freude daran haben, obwohl sie keine Tänzer sind. Aber sie sind von dem Ort, wo alles begann."
An normalen Tagen ist in Harlem nicht mehr viel zu sehen oder zu hören von den goldenen 20ern und der Swing Ära. Die Ballsäle und Theater gibt es nicht mehr, in den Hochhäusern aus Beton und den für New York charakteristischen Reihenhäusern aus braunem Sandstein wohnen zwar immer noch hauptsächlich Menschen mit dunkler Hautfarbe, aber sie tanzen zu Trommeln oder Beatbox, nicht zur Bigband. Luther Gales, der Lindy Hop auch erst in den 80ern für sich entdeckt hat, obwohl er seit den 30ern in Harlem lebt, bedauert das.
"Wenn du Hiphop auflegst, dann können die ihren Körper bewegen, man, ich liebe es, wie sie ihren Körper bewegen! Aber sie können nicht tanzen. Die afroamerikanische Jugend, alle unter 40 können nicht tanzen."
Der legendäre Savoy Ballroom
Luther Gales findet es ironisch, dass jetzt stattdessen viel mehr junge Asiaten und hellhäutige Europäer auf diesem Schulhof in Harlem tanzen und sich der Hitze zum trotz ergötzen an den Freudensprüngen, Albernheiten und der Energie, die zwischen Band und Tänzern hin und her springt. Nur bei dem ein oder anderen älteren Harlemer Lindy Hopper richtet sich der Blick ab und zu wehmütig gen Norden, die Lennox Avenue hinauf, wo einst der Savoy Ballroom stand – der Tanzsaal, in dem Frankie Manning mit seiner Tanzpartnerin Norma Miller vor rund 75 Jahren jeden Abend übers Parkett zu fegen pflegte.
Norma Miller:
"Tanzen war sehr wichtig für die schwarze Bevölkerung, weil es das einzige war, was wir hatten. Darum haben wir getanzt und deswegen waren wir so gut darin. Wir hatten sonst nichts. Wir waren zuerst im Renaissance Ballroom. Das war einfach ein Klub in dem sich die Jugend traf. Dort haben alle jungen Leute getanzt, und dort hat Frankie getanzt und ich. Wir haben nur getanzt, das war nichts besonderes. Und als wir ein bisschen älter waren, tanzten wir im Savoy Ballroom, der auch in Harlem war. Wir haben nicht außerhalb von Harlem getanzt, denn Harlem war der einzige Ort, an dem wir gelebt, gearbeitet, gegessen und getanzt haben. Alles war in Harlem."
"Tanzen war sehr wichtig für die schwarze Bevölkerung, weil es das einzige war, was wir hatten. Darum haben wir getanzt und deswegen waren wir so gut darin. Wir hatten sonst nichts. Wir waren zuerst im Renaissance Ballroom. Das war einfach ein Klub in dem sich die Jugend traf. Dort haben alle jungen Leute getanzt, und dort hat Frankie getanzt und ich. Wir haben nur getanzt, das war nichts besonderes. Und als wir ein bisschen älter waren, tanzten wir im Savoy Ballroom, der auch in Harlem war. Wir haben nicht außerhalb von Harlem getanzt, denn Harlem war der einzige Ort, an dem wir gelebt, gearbeitet, gegessen und getanzt haben. Alles war in Harlem."
Leben, arbeiten, essen und tanzen – daran sieht man, welchen Stellenwert das Tanzen noch immer in Norma Millers Leben hat. Obwohl sie mit ihren 94 Jahren altersgemäß etwas wackelig auf den Beinen ist, wirft sie sich immer noch gerne in Glitzerfummel, deren Saum sie bei Showeinlagen auf der Bühne keck ein Stückchen lüpfen kann.
Das Lied Rythm Queens spielt die Carling Familie an diesem Abend nur für Norma Miller und die wenigen weiteren Botschafterinnen aus der ersten Lindy Hop Ära, die der Gemeinschaft noch geblieben sind. Gunhild Carling, die Sängerin, ist vielleicht die Norma Miller dieser neuen Swing-Ära. Sie ist aus Schweden, wo die Renaissance des Lindy Hop in den 80er Jahren begann, und auch sie genießt es sichtlich, ihre Energie von der Bühne aus zu versprühen. Abwechselnd tanzt, lacht und singt sie und spielt Posaune, Trompete oder sogar Dudelsack.
Gunhild Carling :
"Das war fantastisch. Ich habe das Gefühl, dass ich das Publikum überzeugt habe. Ich habe rap du di dap du ba di. Und sie haben geschrien. Also Lindy Hop ist mein Leben, weil ich mit meiner Familie Tournee gemacht habe seit ich ganz jung war, sieben Jahre. Und wir haben traditionellen Jazz gespielt. Und so war ich dabei! Als ich zwölf, dreizehn Jahre alt war war ich jedes Wochenende draußen und habe getanzt und Swing gespielt mit meiner eigenen Generation und natürlich mit allen Generationen."
"Das war fantastisch. Ich habe das Gefühl, dass ich das Publikum überzeugt habe. Ich habe rap du di dap du ba di. Und sie haben geschrien. Also Lindy Hop ist mein Leben, weil ich mit meiner Familie Tournee gemacht habe seit ich ganz jung war, sieben Jahre. Und wir haben traditionellen Jazz gespielt. Und so war ich dabei! Als ich zwölf, dreizehn Jahre alt war war ich jedes Wochenende draußen und habe getanzt und Swing gespielt mit meiner eigenen Generation und natürlich mit allen Generationen."
Solange es Menschen gibt wie Gunhild Carling und die anderen 2000 Lindy Hopper, die um die halbe Welt gereist sind, um zusammen zu tanzen, und einfach Spaß zu haben, wird es diesen Tanz geben. Die baulichen Wahrzeichen, die Theatern und Tanzsälen der Swing Ära sind schon längst verschwunden. Aber Lindy Hop bleibt, als lebendiges und überregionales Andenken an die goldenen Zeiten von Harlem.