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Linke fordern europäische Exil-Universität
"Räume und Orte schaffen für bedrängte Wissenschaftler"

Ungehinderte und ergebnisoffene Forschung gerät in Europa unter politischen Druck - so sieht es die Fraktion Die Linke. Deutschland solle daher mit gutem Beispiel vorangehen und die Initiative zur Gründung einer Exil-Universität ergreifen, sagte die wissenschaftspolitische Sprecherin der Fraktion im Dlf.

Nicole Gohlke im Gespräch mit Thekla Jahn |
Eine Demonstrantin vor der Akademie der Wissenschaften in Budapest hält ein Schild mit der Aufschrift "Grand Theft Akadémia"
Nicht nur die "Central European University", auch die Akademie der Wissenschaften ist in Ungarn ins Visier der rechtsnationalen Regierung geraten. (imago / Martin Fejer / Est&Ost)
Thekla Jahn: Dass in einem autoritär regierten Regime wie Weißrussland freie Meinungsäußerung und Wissenschaftsfreiheit bedroht sind, verwundert eigentlich nicht. Aber innerhalb der Europäischen Union? Die Europawahl gestern hat es gezeigt: Rechtspopulisten in Frankreich, die rechte Lega in Italien, die nationalkonservative PiS in Polen oder die rechtsnationale Fidesz in Ungarn - sie sind in ihren Ländern stärkste Partei. Das könnte Auswirkungen haben auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit; in einigen Ländern hat es das auch bereits. So zum Beispiel in Ungarn: Die Central European University in Budapest wurde aus ihrem Land vertrieben und wird in Wien im Exil weitergeführt. Ist es in Europa an der Zeit, über eine europäische Exil-Universität nachzudenken? Die Fraktion Die Linke fordert eine entsprechende Gründung und hat einen Antrag im Bundestag eingereicht. Uns telefonisch verbunden ist Nicole Gohlke, hochschul- und wissenschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. Schönen guten Tag!
Nicole Gohlke: Schönen guten Tag!
Jahn: Warum ist die Gründung einer europäischen Exil-Universität wichtig? Es gibt doch schon wissenschaftliche Einrichtungen und Programme für verfolgte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie die "Academy in Exile", reichen die nicht aus?
Gohlke: Hintergrund tatsächlich für unsere Initiative war natürlich oder ist der Rechtsruck in vielen Ländern Europas und auch weltweit. Und wir erleben eben, wie Sie es auch gerade beschrieben haben, damit einhergehende Einschränkung von Meinungsfreiheit und vielfach auch Wissenschaftsfreiheit bis hin - ich nenne einmal das Beispiel Türkei - wirklich auch zur politischen Verfolgung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Und was wir beobachten, ist, dass es zwar schon einzelne Programme und Initiativen gibt, also Hilfsprogramme und anderes; Stipendienprogramme, aber was man eben sagen muss: Die sind bisher meist rein national organisiert. Sie sind bisher auch sehr kurzfristig, also meistens reden wir da über Förderzeiträume von ein bis zwei Jahren, und selten auch mit einer auskömmlichen finanziellen Perspektive untersetzt.
Andockpunkte, um weiterarbeiten zu können
Jahn: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe: Eine Exil-Universität soll vor allem auch die Versorgung für Wissenschaftler gewährleisten?
Gohlke: Genau. Es soll Orte schaffen, Räume schaffen, natürlich integriert ins europäische Wissenschaftssystem; aber Räume und Orte schaffen, wo bedrängte bis hin eben auch verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wieder in den freien Austausch treten können. Und wo sie Andockpunkte finden können, um selber, wenn sie tatsächlich ins Exil mit ihrer Arbeit gezwungen werden, weiterarbeiten zu können und wo sie aber auch in den europäischen Austausch gehen können, um ein stückweit auch - das ist zumindest einer der Ansprüche - an den Ursachen zu forschen der gesellschaftlichen Prozesse, die die europäischen Länder gerade umtreiben und in diese Richtung leider auch treiben.
Jahn: Sie werden also selber daran forschen, was ihnen widerfährt als verfolgte Wissenschaftler?
Gohlke: Ein stückweit auf jeden Fall. Ich denke, das sollte natürlich auch Kennzeichen und Gegenstand einer solchen Initiative sein.
Finanzierung als Förderprogramm der EU
Jahn: Ideen und Vorschläge als solche sind ja immer schön und gut, aber dann gibt es viele Fragen, die daran hängen. Eine zum Beispiel ist die: Wer soll eine europäische Exil-Universität finanzieren?
Gohlke: Wir stellen uns vor, dass das schon im Rahmen der Europäischen Union als ein Förderprogramm aufgelegt werden kann, wirklich als eine europäische Initiative. Wir haben uns jetzt gewünscht, dass Deutschland da auch mit gutem Beispiel vorangeht und die Initiative auch startet. Weil wir natürlich schon sagen: Europa und speziell Deutschland hat auch eigene Erfahrungen genau damit auch schon mal gemacht, mit der massiven Einschränkung von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Wir blicken ja zurück auf eine ganze Reihe renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der nationalsozialistischen Diktatur ins Ausland und ins Exil gezwungen waren wie Sigmund Freud, Theodor Adorno, Hannah Arendt und andere. Und deswegen finden wir, ist es jetzt ein guter Zeitpunkt, um wirklich mit einem guten Beispiel voranzugehen und die Initiative an der Stelle zu ergreifen.
Exil-Uni könnte auf mehrere Standorte verteilt sein
Jahn: Ein anderer wichtiger Punkt ist, wer verwaltet eine solche europäische Exil-Universität und wo soll sie beheimatet sein, denn darüber gibt es vermutlich Streit?
Gohlke: Wir können uns vorstellen, dass eine Exil-Universität schon auch an mehreren Hochschulstandorten beheimatet sein kann und sollte.
Jahn: Also transnational?
Gohlke: Genau, transnational. Weil es uns natürlich nicht darum geht, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sozusagen dann letztlich an einem Punkt zusammengeführt und quasi ghettoisiert werden, sondern natürlich geht es auch darum, an verschiedenen Hochschulstandorten in der Europäischen Union, in europäischen Ländern tatsächlich auch in den Austausch zu gehen - aber eben unter einem Dach und unter einem Förderprogramm oder einer Förderlinie.
"Über die ganz konkrete Ausgestaltung sind wir offen"
Jahn: Kann man sich das so vorstellen, dass diese Exil-Universität dann angegliedert wird an bereits existierende Universitäten in verschiedenen Ländern, oder werden das eigenständige Institutionen sein?
Gohlke: Also da muss ich an der Stelle sagen: Wir sind da offen über die Frage, wie das am besten passieren kann. Ich kann mir beide Varianten als gewinnbringend vorstellen, die Frage ist: Auf wie viel Offenheit stößt so eine Idee auch in der Europäischen Union, auf wie viel Offenheit stößt so eine Idee auch im Wissenschaftssystem? Wir haben in den letzten Monaten verstärkt die Rufe nach so einer Institution aus dem Wissenschaftssystem selber wahrgenommen; Sie haben die Beispiele selber schon gebracht. Uns haben auch starke Rufe aus der Türkei zum Beispiel erreicht, wo ja wirklich Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ähnlich wie Lehrerinnen und Lehrer und Journalistinnen und Journalisten wirklich verfolgt werden und unter Druck gesetzt werden. Deswegen hoffen wir, dass sich wirklich auch in den Ländern, wo wir eben noch ein ganz anderes politisches Meinungsklima haben und noch wirklich Wissenschaftsfreiheit haben, dass wir jetzt auch die Chance nutzen, darüber in eine Debatte zu treten. Über die ganz konkrete Ausgestaltung sind wir auch an vielen Stellen offen, weil es uns wirklich darum geht, da gemeinsam eine Initiative auf den Weg zu bringen im Sinne von Wissenschaftsfreiheit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.