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Linke plant Ausstieg
Existenzsorgen beim "Neues Deutschland"

In der DDR war "Neues Deutschland" die Zeitung der Staatspartei SED. Seit der Wende 1989 muss die Redaktion auf dem freien Markt bestehen und wird dabei finanziell stark von Die Linke unterstützt. Doch die Partei könnte sich bald zurückziehen – zu schnell, fürchtet die Belegschaft.

Von Daniela Siebert |
Verlagshaus Neues Deutschland - sozialistische Tageszeitung am Franz-Mehring-Platz 1 Friedrichshain
Das "Neues Deutschland" hat eine Auflage von rund 19.000 Exemplaren und erscheint bundesweit (IMAGO / Jürgen Ritter)
Samstag 8 Uhr 30, Luckenwalder Straße, Eingang zur "Station Berlin." Rund 20 aktive und ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des "Neuen Deutschland" (ND) verteilen in eisigem Wind Flugblätter an die wenigen Personen, die hier zum hybriden Bundesparteitag Der Linken eintrudeln. "Vorwärts immer, rückwärts nimmer - ND bleibt!", steht auf dem Papier mit dem Logo der Gewerkschaft verdi.
Auch Daniel Lücking ist mit dabei, festangestellter Politik-Redakteur beim "Neuen Deutschland" und Mitglied im Redaktionsrat. Der Grund - eine Betriebsversammlung letzten Montag: "Es wurde in Aussicht gestellt, dass die jetzige GmbH zum Jahresende nicht mehr fortbestehen wird, also geschlossen wird, dass wir uns für eine neue Struktur entscheiden müssen, und es wurde uns nahegelegt, das im Rahmen einer Genossenschaft zu tun. Weder der Betriebsrat noch der Redaktionsrat kennen die betriebswirtschaftlichen Zahlen, außer dem, was öffentlich verfügbar ist, und wir wissen vor allen Dingen nicht, wieviel Geld wird uns bleiben, und die Zeit ist denkbar knapp."
Seit dieser Nachricht sind die rund 100 festangestellten Mitarbeitenden der Zeitung in Aufruhr. Die ND hat eine Auflage von rund 19.000 Exemplaren und erscheint bundesweit. Gesellschafter sind zu gleichen Teilen die Partei Die Linke und die Beteiligungsgenossenschaft Communio, vertreten durch ND-Geschäftsführer Matthias Schindler.

Zuletzt rund eine Million Euro Zuschuss in drei Jahren

Zu den Spitzenpolitikern der Linken, die sich am Samstag von den demonstrierenden Journalisten aufhalten lassen, gehört Harald Wolf, Bundesschatzmeister bei den Linken. Seine Botschaft – beschwichtigend: "Endgültig fest steht noch gar nichts, endgültig würde erst was feststehen, wenn der Parteivorstand einen entsprechenden Beschluss fasst. Es gibt die Überlegung, inwieweit es nicht sinnvoll ist, dass das 'Neue Deutschland' weitergeführt wird in Form einer Genossenschaft, dass die Partei nicht mehr in dieser Eigentümerfunktion ist und damit das ‚Neue Deutschland‘ auch nicht mehr in den Geruch kommt, eine Parteizeitung zu sein."
Nach Parteitag Die Linke
Die Linkspartei hat auf ihrem Parteitag ein neues Führungsduo gewählt: Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler. Der neuen Parteiführung bleibe nicht viel Zeit, kommentiert Johannes Kuhn. Sie müsse auch das diffuse Parteiprofil schärfen.
Das müsse jetzt mit der Belegschaft und dem Parteivorstand diskutiert werden so Wolf. Auslöser seien unter anderem rückläufige Auflagenzahlen und die Digitalisierung der Zeitung. Der scheidende Parteichef Bernd Riexinger betonte gegenüber den Demonstrierenden, es sei ein neues Konzept nötig, da die Partei nicht dauerhaft Geld fürs Überleben zuschießen könne, zuletzt rund eine Million Euro in drei Jahren.

Genossenschaft als Geschäftsmodell

Heidi Damm arbeitet in der Wirtschaftsredaktion der Zeitung, sie beunruhigen die vielfältigen Ansagen zutiefst. Seit drei Jahren werde die Idee einer Genossenschaft in der Belegschaft zwar diskutiert, durchaus orientiert am Vorbild der Berliner taz, aber die Entwicklung der letzten Tage empfindet sie als Überrumpelung: "Wir werden weiter versuchen, herauszufinden, was jetzt eigentlich Sache ist, und es ist für uns auch nicht neu, dass es unterschiedliche Aussagen von den Gesellschafter*innen gibt. Also es gibt natürlich die Befürchtung, dass zum Ende des Jahres Schluss ist, in dieser Zeitungskrise - also Coronakrise und Zeitungskrise, innerhalb von wenigen Monaten eine neue Genossenschaft zu gründen, die wirtschaftlich auf guten Füßen steht, ist so ein bisschen wie, es gibt eigentlich den Wunsch aus der Belegschaft, genau das zu machen, aber jetzt fühlt es sich an wie mit der Pistole auf der Brust."
"Vorwärts" und Co.
Sozialisten erkannten früh die Bedeutung journalistischer Arbeit: Auf den Spuren ihres bekanntesten Vorschreibers Karl Marx erreichten sogenannte Arbeiterzeitungen Ende der 1920er-Jahre in Deutschland Massen. Doch dann verloren sie an Relevanz.
Auch Gewerkschafter Jörg Reichel von der "Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di Berlin-Brandenburg" sorgt sich um die Zukunft der Zeitungsmitarbeiter. Aus zwei Gründen: "Dass da zu wenig Anschubfinanzierung da ist, um tatsächlich die gute Idee einer Genossenschaft ins Laufen zu bringen. Der Gesellschafterbeschluss steht im Raum, dass die GmbH zum Ende des Jahres geschlossen wird. Das bedeutet im Grunde genommen betriebsbedingte Kündigungen – und damit müssen wir uns beschäftigen."

Lösung bis Ende des Jahres anvisiert

ND-Geschäftsführer Matthias Schindler erklärte heute gegenüber dem Deutschlandfunk, er gehe davon aus, dass bis zum Jahresende eine tragfähige Lösung gefunden werde. Dass die Auflösung der GmbH gerade jetzt beschlossen werde, liege an der Erkenntnis, "dass die eingeleiteten Veränderungsprozesse im Unternehmen an die wirtschaftlichen und vor allen Dingen auch gesellschaftsrechtlichen Grenzen der bestehenden GmbH gestoßen sind. Gesellschaftsrechtlich ist die GmbH nicht mehr die richtige Rechtsform für eine linke moderne Zeitung der Zukunft."
Auch die Bindung an eine Partei sei inzwischen ein gesellschaftspolitischer Anachronismus, so der Geschäftsführer und Gesellschafter. Eine Genossenschaft sei die angemessenste Lösung findet Matthias Schindler. Auf jeden Fall werde es für die Belegschaft schwierig, parallel zur fortlaufenden journalistischen Arbeit eine genossenschaftliche Zukunft zu organisieren, sagt Redakteur Daniel Lücking. Sowohl er als auch Heidi Damm haben Angst, ab 1. Januar 22 arbeitslos zu sein.
Schluss für den "Bayernkurier"
Die CSU stellte 2019 die Printausgabe des "Bayernkuriers" nach fast 60 Jahren ein. Das liegt auch daran, dass die parteieigene Zeitschrift zuletzt nur noch auf wenig Interesse gestoßen war.