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Linke Proteine

Biologie. - Der Laie kennt es aus dem Kühlregal im Supermarkt: Milchsäure gibt in links- oder rechtsdrehenden Varianten, die polarisiertes Licht mit oder gegen den Uhrzeigersinn rotieren. Doch warum bestehen sämtliche Proteine aus linksdrehenden Aminosäuren? Für dieses bislang ungelöste Rätsel haben Münchener Forscher einen neuen Antwortversuch.

Von Frank Grotelüschen |
    Der letzte Winter hat es wieder mal gezeigt: Der rechte Handschuh will einfach nicht auf die linke Hand passen und umgekehrt. Der Grund: Die beiden Handschuhe sind nicht identisch, sondern verhalten sich wie Bild und Spiegelbild. Ganz ähnlich geht es auch in der Natur zu, etwa bei den Eiweißmolekülen, den Proteinen.

    "Proteine sind aus Aminosäuren aufgebaut. Aminosäuren sind entweder links- oder rechtsdrehend", "

    sagt Wolfgang Domcke, Professor für theoretische Chemie an der Technischen Universität München. Links oder rechts drehend bedeutet, dass ein Molekül das Licht entweder links herum dreht oder aber rechts. Klingt nach einem unbedeutenden Detail, hat aber weitreichende Konsequenzen.

    " "Man weiß, dass für sämtliche Proteine, die aus den 20 natürlichen Aminosäuren aufgebaut sind, ausschließlich linksdrehende Aminosäuren benutzt werden. Es gibt rechtsdrehende Aminosäuren in der Natur, aber eben nicht für den Aufbau von Proteinen. Und die Fragestellung ist: Warum linksdrehend?"

    Rein chemisch gesehen wäre es gut möglich, Proteine aus Bausteinen mit verschiedenen Drehrichtungen zusammenzusetzen. Doch die Natur hat sich für eine Drehrichtung entschieden, für links. Weshalb, darüber können die Forscher bislang nur Vermutungen anstellen. Manche denken, den Linksdrall könnte ein winziger Webfehler aus der Welt der Elementarteilchen verursacht haben, eine kaum messbare Asymmetrie der schwachen Kernkraft. Andere meinen, ein ominöses kosmisches Magnetfeld hätte einst auf die Erde eingewirkt und links gegenüber rechts bevorzugt. Wolfgang Domcke hingegen glaubt, dass die harschen Umweltbedingungen Schuld waren, die vor Jahrmilliarden auf der Erde geherrscht hatten - damals, als das Leben entstand.

    "Wir wissen mit Sicherheit, dass die Ozonschicht, die ja Sauerstoff voraussetzt, erst ungefähr zwei Milliarden Jahre nach dem Beginn des Lebens entstanden ist. Vor dieser Zeit gab es keine schützende Ozonschicht, dementsprechend eine extrem intensive UV-Strahlung auf der Erdoberfläche."

    Um sich dem Hagel der UV-Strahlung zu erwehren, mussten die Biomoleküle hochwirksame Schutzmechanismen entwickeln. Sie mussten die durch das UV-Licht aufgenötigte Energie möglichst schnell wieder loswerden. Nach Ansicht von Domcke funktionierte das so:

    "Die Energie wird am Ende in Wärme umgewandelt, in Molekülschwingungen, sodass nach einer erstaunlich kurzen Zeit die Energie verteilt ist und dadurch einer Temperaturerhöhung entspricht, die durchaus moderat ist. Und diese Übertemperatur wird dann an die Umgebung abgegeben."

    Das Entscheidende: Bei Proteinen, die nur aus einer einzige Sorte von Aminosäuren bestehen, etwa aus linksdrehenden, scheint diese Wärmeabfuhr ein klein wenig effektiver zu laufen als bei Molekülen, die aus beiden Sorten von Aminosäuren bestehen. Das jedenfalls legen Computersimulationen aus München nahe, und auch einige experimentelle Indizien. Der kleine Vorteil mag dann dazu geführt haben, dass sich im Laufe der Evolution die Proteine aus einer Sorte gegenüber den Eiweißen aus zwei Sorten hatten durchsetzen können - so die Hypothese. Nur: Eine Frage ist damit noch nicht beantwortet: Warum hat sich die Natur für linksdrehend entschieden und nicht für rechtsdrehend? Das hätte strahlungsmäßig ja genauso gut funktioniert.

    "Das können wir nicht beantworten. Wenn es ein reiner Zufall wäre, würde man erwarten, dass beispielsweise in Australien die Proteine linksdrehend sind und in Alaska rechtsdrehend. Das ist aber nicht der Fall. Auf der ganzen Erde sind alle Proteine linksdrehend. Also ist das Leben entweder nur einmal entstanden, oder falls es mehrere Versionen des Lebens gab, am Ende hat sich nur eine durchgesetzt. Mehr können wir dazu nichts sagen."

    Vielleicht, meint Wolfgang Domcke, sei die Strahlungshypothese ja gar nicht der alleinige Grund für die "linken" Proteine. Und das bedeutet: Es darf weiter munter spekuliert werden über den Linksdrall der Natur.