Bodo Ramelow auf Tour durch Thüringen. Der kleine Saal in der Staatsbank Weimar ist gut gefüllt – Zuhörer allen Alters sind da. Zuerst soll der lokale Kandidat der Linken das Publikum etwas auflockern. Zwei junge Moderatoren nehmen Steffen Dittes in die Mitte.
Moderatorin: "Und zwar machen wir eine Art Pantomime-Spiel mit dir. Wir geben dir ein paar Aussagen aus dem Alltag und möchten gerne, dass du pantomimisch darstellst, damit wir dich ein bisschen besser kennenlernen."
Moderator: "Ich fange einfach an mit der ersten Sache: Der erste Blick morgens im Spiegel!?"
Dittes schaut erwartbar zerknautscht. Dann soll er zeigen, wieviel Sozialismus in ihm steckt und wie er am Wahlabend dreinschauen wird. Er schlägt sich tapfer.
Moderatorin: "Du an der Supermarktkasse."
Dittes zappelt hin und her, schaut auf die Uhr.
Moderatorin: "Offensichtlich sehr ungeduldig."
Moderator: "Sehr ungeduldig. Sehr schön, meine sehr verehrten Damen und Herren: Steffen Dittes!"
Von der Supermarktkasse auf die Politikbühne
Und dann betritt der Hauptgast des Abends den Raum, der Ministerpräsident, der zwar nicht Parteivorsitzender, aber doch unbestrittene Nummer 1 der Thüringer Linken ist:
Moderator: "Bodo Ramelow!"
Bodo Ramelow: "Ich habe noch nie so einen stillen Steffen Dittes gesehen. Und ich als jemand, der lange an der Supermarktkasse gesessen hat und kassiert hat: Ich habe ihn sofort wiedererkannt!"
Ramelow ist 30 Sekunden im Raum und hat schon erklärt: Ich bin einer von euch, ich komme von unten.
Moderatorin: "Wie ist das denn bei dir, wenn du ungeduldig an der Supermarktkasse stehst? Kaufst du dir dann die Süßigkeiten ein, die da so verlockend rumstehen?"
"Ehrlicherweise würde ich ja komplett verbieten, an Supermarktkassen überhaupt Süßigkeiten zu heben! Das ist eine perfide Methode!"
Nach einer Minute hat er damit die Herzen der jungen Eltern umworben.
"Das sage ich als jemand, der lange Zeit im Einzelhandel gearbeitet hat und Filialen geführt hat."
Nach 75 Sekunden ist klar: Er saß nicht nur an der Kasse, er ist ehrgeizig und hat sich schnell hochgearbeitet.
"Nein, ich bin nicht ungeduldig, das ist eher umgekehrt. Also, ich gehe regelmäßig einkaufen, weil ich mir dieses Stück Normalität nicht nehmen lassen will; und ich bestehe auch drauf, dass ich die Haupteinkäufe bei uns zu Hause mache."
Nach 90 Sekunden wissen die Besucher auch: Ihr Ministerpräsident ist nicht abgehoben, und er ist ein guter Ehemann.
"Und das Kuriose ist: Ich komme in unseren Supermarkt des Vertrauens, und dann sagen die Leute immer: 'Gehen Sie doch vor!', 'Ach, Herr Ministerpräsident!' Und ich so: 'Nee, ich bin hier auch Kunde! Und ich bleibe genau hier, und eher gehe ich noch mal eins zurück!"
Nach zwei Minuten zeigt sich Ramelow als höflich, bescheiden, rücksichtsvoll. In diesem Tempo geht es weiter. In den nächsten fünf Minuten wird er noch Plastiktüten verdammen, für Bio-Produkte werben, sich für höhere Milchpreise für die Bauern aussprechen, die Einheits-Pfandflasche loben, seine guten Beziehungen zum hessischen CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier herausstellen, Björn Höcke verdammen und Fridays for Future unterstützen. Nicht ohne zu erwähnen, dass er mit einer gepanzerten Limousine durchs Land fährt.
"Okay, Sie merken, es ist kompliziert, wenn man eine Schutzperson ist. Und darüber soll ich öffentlich nicht so viel reden."
Ramelow setzt auf Sachthemen
Ramelow gelingt es, bislang jedes Publikum zu umgarnen. Seine Stammwähler, aber auch die Wirtschaft, 100-Jährige im Pflegeheim, die Bauern, die Freiwillige Feuerwehr. Er ist in die Rolle des Landesvaters hineingewachsen und findet fast immer den richtigen Ton. Seine Partei, die Linke, erwähnt er dabei fast nie. Er macht Werbung für Rot-Rot-Grün und redet lieber über Sachthemen: Die Gesundheitsversorgung, fehlende Busverbindungen auf dem Land und fehlende Bahnverbindungen zwischen den Städten. Er bekommt Fragen gestellt, zur Inklusion, zum längeren gemeinsamen Lernen, zu Studiengebühren.
"Ich verstehe die Situation, weil ich mir selber meinen zweiten Bildungsweg verdient habe. Ich weiß, was es heißt, an jedem Wochenende arbeiten gehen zu können. Aber zu glauben, dass man dann sagen kann, Langzeitstudiengebühren seien bei Linken unerträglich – da sage ich auch als Linker: Es tut mir leid, beschimpfen Sie mich als bürgerlich! Aber da bin ich ziemlich konservativ!"
Die Fragen müssen schriftlich abgegeben werden. Keine greift Ramelow an, sie wirken eher als Stichwortgeber. Ein Gast wird sich später beschweren, dass seine kritischen Fragen, die er schon mehrfach eingereicht habe, immer wieder ignoriert werden. Alle anderen verlassen strahlend die Staatsbank. Zuhörerstimmen:
"Ich bin begeistert!" - "Das Selbstbewusstsein, auch mit nicht gelungenen Dingen umzugehen, hat mich begeistert. Er hat mich eigentlich sehr überzeugt, weil er sehr viel Sachverstand zeigt."
Am Sonntag wird sich entscheiden, ob die breite Beliebtheit Bodo Ramelows ausreicht, ihn noch einmal in die Staatskanzlei zu bringen.