Für die EU-Kommission und ihre mächtige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist es ein herber Rückschlag: Das Gericht der Europäischen Union hat dem US-Unternehmen Apple in einer Auseinandersetzung um Steuernachforderungen der Kommission in Höhe von 13 Milliarden Euro recht gegeben. Das zweithöchste EU-Gericht mit Sitz in Luxemburg urteilte, Apple müsse die Steuern nicht wie von Brüssel verlangt an Irland nachzahlen. Die Kommission habe nicht nachweisen können, dass die Steuervereinbarungen von Apple in Irland aus den Jahren 1991 und 2007 eine verbotene staatliche Beihilfe darstellten, stellten Richter in Luxemburg fest.
Für Fabio De Masi, Bundestagsabgeordneter der Linken, zeigt der Fall, dass die vorhandenen Rechtsmittel der EU-Kommission im Kampf gegen europäische Steueroasen wie Irland und Steuerstricks großer Konzerne ein stumpfes Schwert sind. Auch eine reine Digitalsteuer würde daran nichts ändern, notwendig seien vielmehr generelle Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen, sagte er im Dlf.
Der Deal zwischen Irland und Apple stinkt
Jürgen Zurheide: Beginnen wir zunächst noch mal mit dem Rückblick, Herr De Masi, was da Apple seinerzeit gemacht hat, der Deal, den Apple mit Irland gemacht hat – wie Sie den bewerten, ich habe eine Ahnung, was Sie dazu sagen.
Fabio De Masi: Ja, der Deal, der stinkt nach meiner Meinung. Nur, damit unsere Zuhörerinnen und Zuhörer vielleicht verstehen, wie die dort ihre Steuern gedrückt haben: Sie haben nämlich im Endeffekt, das sind die Schätzungen, weniger als ein Prozent Steuern auf ihre Gewinne in der EU gezahlt. 2014 waren das 0,005 Prozent. Das sind für all diejenigen, die nicht so stark im Kopfrechnen sind, 50 Euro für jede Million Gewinn. Davon kann jeder Taxifahrer oder so nur träumen.
Wie haben sie das gemacht? Sie haben im Prinzip die Apple-Geräte von vielen Standorten, wo die produziert werden, sehr günstig eingekauft über eine irische Tochtergesellschaft, so dass sie dahin möglichst wenig Geld überweisen mussten und dort möglichst wenig Gewinne angefallen sind, und dann haben sie die zum Beispiel an Apple Deutschland sehr teuer verkauft, so dass Apple Deutschland alles, was sie verdienen mit dem Verkauf dieser Geräte, im Prinzip wieder nach Irland überwiesen haben. Dann haben sie diese Gewinne in Irland fast vollständig verbucht und dann an Verwaltungsgesellschaften weitergeleitet, die gar keinen festen Sitz hatten, und von daher gab es überhaupt kein Land, wo die faktisch saßen, und es wurden auch kaum Steuern darauf abgeführt.
Das ist natürlich etwas, was wir nicht dulden können in Europa. Die Amerikaner sagen, na ja, wir haben ja die ganzen schönen Apple-Produkte entwickelt, wir schaffen die Werte. Aber es ist ja so, dass die in Europa auch die Infrastruktur nutzen, auch unsere Daten nutzen, damit ihre Produkte wertvoller werden.
"Das Beihilferecht ist ein stumpfes Schwert"
Zurheide: Jetzt versuchen wir, es abzuschichten. Wir haben das Urteil auf der einen Seite und wir haben das Vorgehen der Europäischen Kommission. Beides können wir vielleicht getrennt bewerten, weil ich glaube, das ist notwendig. Zunächst mal das Urteil heute. Betreiben Sie Richterschelte?
De Masi: Nein. Ich werde jetzt nicht kommentieren, was das Gericht dort entschieden hat. Sie können sich denken, dass ich von diesem Urteil nicht überzeugt bin. In der Vergangenheit war es so, dass auch immer wieder solche Urteile - das war ja die erste Instanz, das Gericht der Europäischen Union - vom Europäischen Gerichtshof wieder aufgehoben wurden. Aber es zeigt auch, wir haben ein fundamentales Problem in Europa, denn wir haben nicht genügend Rechtssicherheit gegen diese Steuertricks. Das Beihilferecht, das die EU-Kommission nutzt, ist offenbar nicht hinreichend, um uns abzusichern gegen solche Steuertricks.
Von daher müssen wir auch über politische Maßnahmen anschließend diskutieren. Denn im Kern kann die EU-Kommission ja nicht gegen den Steuersatz vorgehen, sagen, der ist zu niedrig oder so, weil wir haben nationale Steuersätze in Europa, sondern was die EU-Kommission machen kann ist zu sagen: Da wird jetzt ein Unternehmen bevorzugt wie Apple. Das heißt auf Deutsch: Wenn Google null Prozent Steuern zahlt und Apple ein Prozent, dann ist das eine Diskriminierung von Apple. Wenn beide null Prozent zahlen oder beide ein Prozent, dann ist das kein Problem. Das zeigt, das Beihilferecht ist ein stumpfes Schwert, und deswegen brauchen wir andere Maßnahmen auch.
Zurheide: Das ist genau der Punkt in der Analyse, dass viele, die das vielleicht ähnlich empörend finden wie Sie, sagen, es fehlt schlicht die Rechtsgrundlage. Frau Vestager hat sich da möglicherweise verpokert?
De Masi: Ich denke, die EU-Kommission sollte jetzt erst mal diesen Kampf ausfechten und auch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, denn es ist so, dass es doch große Fragezeichen gibt. Ich habe ja gerade erläutert, wie man zum Beispiel die Preise künstlich manipuliert, um dann möglichst teuer zum Beispiel die Geräte zu verkaufen an Apple Deutschland. Das nennt man die sogenannten Transferpreise. Mit diesen künstlichen Preisen werden die Gewinne über Ländergrenzen wie Amazon-Pakete hin und hergeschoben innerhalb eines Konzerns, aber die Gewinne bleiben ja im Konzern. Da gibt es diese Maßnahmen, dass man sagt, wenn diese Preise verzerrt sind und nicht echten Marktpreisen entsprechen, dann kann man gegen das Unternehmen vorgehen.
Das Problem ist, dass das ein sehr bürokratisches Verfahren ist. Es gibt tausende von Finanzflüssen, Transaktionen innerhalb von großen Konzernen, und unsere Steuerbehörden haben oft keine vergleichbaren Preise, denn welchen Wert messe ich zum Beispiel der Apple-Lizenz bei. Das ist sehr schwierig und deswegen ist es sicherlich so, dass man generell auch andere Regeln braucht. Ich glaube aber, dass es durchaus noch eine Restchance gibt, auch im Fall von Apple, hier erfolgreich zu sein. Aber viel, viel wichtiger wären wirklich robuste Regeln gegen diese Steuertricks.
"Unternehmen besteuern, wo sie ihre Umsätze machen"
Zurheide: Viele sagen heute, die das ändern wollen so wie Sie, wir brauchen so was wie eine Digitalsteuer, dann haben wir auch nicht die Problematik, die Sie ganz am Anfang angesprochen haben, dass natürlich Apple auch im Moment viele Gewinne und viele Dinge, die im Ausland liegen, wieder in die Vereinigten Staaten zurücktransferiert. Das ist aber ein anderes Thema. Brauchen wir die Digitalsteuer und könnte sie helfen?
De Masi: Ich glaube, dass eine reine Digitalsteuer alleine unzureichend wäre. Der Ansatz ist allerdings richtig, dass wir darüber nachdenken müssen, ob wir nicht stärker dort auch Unternehmen besteuern, wo sie ihre Umsätze machen. Das heißt: Zum Beispiel Google, die Suchmaschine, die verkaufen ja kein Produkt, sondern die nutzen unsere Daten und verkaufen dann Werbung. Das heißt, die machen ihre Gewinne ja auch mit den Nutzerdaten von Deutschen, von Franzosen, von Spaniern. Und dann müssen wir gucken, wie viele ihrer Nutzerdaten erheben sie zum Beispiel in Deutschland, und entsprechend muss dann ein Teil ihrer weltweiten Gewinne dort abgeführt werden. Das wäre nötig.
Ich glaube allerdings, dass eine reine Digitalsteuer nicht reicht, weil das macht alles sehr kompliziert, sondern wir brauchen generell Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen. Das heißt: Wenn wir feststellen, Apple oder Google, die versteuern ihre Gewinne im Zielland nicht hinreichend, dann müssen wir sagen, wenn jetzt Gewinne von Apple Deutschland zu Apple Irland geschickt werden, zum Beispiel durch sollte überhöhten Kaufpreise, dann erheben wir darauf eine Quellensteuer, und dann können die in Irland sagen, wir haben in Deutschland bereits so und so viele Prozent gezahlt. Das können die sich dort auch anrechnen lassen. Aber wir haben das Geld hier gesichert.
Das ist die einzige Sprache, die meines Erachtens auch Donald Trump versteht. Wir müssen den Konflikt mit ihm führen und der deutsche Finanzminister hat leider Frankreich und andere Länder im Regen stehen lassen, als die gesagt haben, wir müssen jetzt hier in Europa auch selbst etwas tun und Trump auch zeigen, dass wir bereit sind, mit ihm die Auseinandersetzung zu führen.
Hoffnung, sich mit Trump zu einigen ist "ziemlich irre"
Zurheide: Dann kommen aber schöne Grüße aus Stuttgart, auch von der IG Metall und von Daimler, die sagen: Die Autos, die in Amerika verkauft werden, da wollen wir ja auch nicht, dass Herr Trump die dann da ausschließlich besteuert. Sind wir da nicht auf unsicherem Boden?
De Masi: Na ja. Ich denke, wir sehen jetzt gerade an dem Konflikt, der vor dem Industrieländer-Club der OECD über die Steuern geführt wird: Trump hat jetzt den Franzosen zum Beispiel Strafzölle angedroht, tut das aber nicht, solange sie wiederum ihre Pläne für eine Digitalsteuer aussetzen. Wir haben aber überhaupt kein Blatt in der Hand, sondern wir sagen immer, wir hoffen darauf, sich mit Trump zu einigen. Sich mit Trump zu einigen, ist eine Hoffnung, die ich, ehrlich gesagt, für ziemlich irre halte. Denn wir haben ja gesehen, er ist vom Verhandlungstisch im Prinzip weggelaufen und hat gesagt, er diskutiert überhaupt nicht mehr über diese Maßnahme. Von daher können wir da lange warten. Da können wir wahrscheinlich so lange warten wie auf den Weihnachtsmann. Deswegen denke ich, Trump bezeichnet sich ja immer als "Deal Maker". Wer mit Trump einen Deal möchte, der muss auch zeigen, dass wir ein bisschen bewaffnet sind.
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