Christiane Kaess: Nach der Vorstandsentscheidung der SPD für eine rot-rot-grüne Koalition in Thüringen hat die Partei jetzt ihre Mitgliederbefragung gestartet. Die antworten müssten bis 3. November eingegangen sein und einen Tag später soll dann die Auszählung stattfinden. Der SPD-Landesvorstand hatte sich bekanntlich nach wochenlangen Sondierungen auch mit der CDU für das neue Koalitionsmodell Rot-Rot-Grün und damit für Bodo Ramelow als ersten Ministerpräsidenten der Linken in Deutschland ausgesprochen.
Mitgehört am Telefon hat der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner Patzelt: Guten Tag, Frau Kaess.
Kaess: Ehemalige Bürgerrechtler sagen, Die Linke ist immer noch in Verbindung zu bringen mit Stalinismus und Mauer, sie kann niemals normale Partei werden. Kann sie doch?
Patzelt: Natürlich kann sie das, weil es ja in Parteien sowohl einen Generationenwechsel gibt als auch einen Politikwechsel. Was man nie wird bestreiten können ist, dass Die Linke in der Tradition in der Fortsetzung der Staatspartei der DDR stand, aber sie hat sich inhaltlich auf unser politisches System eingelassen und der zur Wahl anstehende thüringische Ministerpräsident ist ja nun nachweislich nicht jemand, der aus der SED kommt, sondern er kommt aus dem Westen als Gewerkschaftler.
Kaess: Und dennoch, Herr Patzelt, würden Sie sagen, Misstrauen gegenüber der Partei ist noch angebracht?
Patzelt: Na ja, die SPD muss schon Misstrauen hegen, denn eine Linkspartei, die sich so weit vom linken Rand zur Mitte begibt, dass sie als etwas linkere Sozialdemokratie durchgehen kann, bedroht die Existenz der SPD in den südlichen neuen Bundesländern auf das Äußerste. Die SPD wird über kurz oder lang vor der Frage stehen, wie sie denn mit der Linkspartei, die sich immer mehr sozialdemokratisiert, verfahren will, und darauf sinnen müssen, ob es eine Chance gibt, die sozusagen sozialdemokratischen Teile der Linkspartei in die Sozialdemokratie zu holen und die demagogischen linksradikalen Teile der Linkspartei in einer eigenen Splitterpartei zu belassen. Aber so weit sind die Dinge noch nicht gediehen, aber die SPD wäre gut beraten, an so was zu denken.
"Die Mitglieder der SPD werden hart an dieser Empfehlung knabbern"
Kaess: Die Situation der SPD, die können wir gleich noch vertiefen. Ich möchte noch mal kurz auf die Situation in Thüringen zurückkommen. Angesichts dieses Misstrauens, über das wir gerade gesprochen haben, was glauben Sie denn, wie das Mitgliedervotum für eine rot-rot-grüne Koalition ausgehen wird?
Patzelt: Es hat die Parteiführung ja schon vorgebaut. 50 plus X würde ausreichen, und so ist es auch. Die Mitglieder der SPD werden zu gewissen Teilen hart an dieser Empfehlung knabbern, andernteils sich aber auch klar machen, dass die Alternative, nämlich wieder Juniorpartner der Union zu werden, was der SPD in Thüringen ja auch nicht gerade gut bekommen ist. Und in dieser Lage die Parteiführung so zu desavouieren, dass ihr nichts anderes als der Rücktritt überbliebe und anschließend wohl Neuwahlen anstünden, das wird ein Sozialdemokrat sich auch dreimal überlegen.
Kaess: Dann schauen wir noch auf einen Punkt, der wichtig war in den letzten Wochen. Die Linkspartei in Thüringen, die hat sich ja dazu bekannt, dass sie die DDR als Unrechtsstaat sieht, und vor Kurzem oder während dieser Zeit gab es dazu auch umstrittene Äußerungen vom Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi. Der hat dem ganzen widersprochen. Ist Die Linke in Thüringen damit eine Ausnahme?
Patzelt: Na ja, Die Linke in Thüringen musste ja wohl in diesen sauren Apfel beißen, denn anders wäre die Koalition nicht hinzubekommen gewesen. Im Übrigen sei aber angemerkt, dass die Gegenüberstellung von Rechtsstaat und Unrechtsstaat einfach in die Irre führt, denn der Gegenbegriff zum Rechtsstaat ist der Willkürstaat, und dass die DDR ein Willkürstaat gewesen ist, das wird auch diese nicht bestreiten, und dass es im Rechtsstaat ab und zu auch Unrecht gibt, das wird auch keiner von uns bestreiten.
Kaess: Und mit dieser eindeutigen Positionierung ist Die Linke in Thüringen eine Ausnahme, wenn man das mit der Bundesebene vergleicht. Wir haben ja noch dazu die Situation, dass wir es hier mit Bodo Ramelow zu tun haben, der aus Niedersachsen kommt. Diese ganze Gemengelage, würden Sie sagen, das ist ein spezieller Fall jetzt in Thüringen?
Patzelt: In Thüringen ist es ein spezieller Fall, weil für die Linkspartei nicht nur die Macht in Gestalt einer Regierungsbeteiligung mit Händen zu greifen war, sondern auch eine von der eigenen Partei geführte Regierung zu erlangen war, und dafür schluckt man natürlich Kröten. Es könnte auch gut sein, dass genau dieser realistische, sich auf unser System einlassende Kurs in Thüringen die Linkspartei über Thüringen hinaus attraktiv macht und vielleicht eines Tages auch bei der Bundesebene ankommen lässt.
Kaess: Wie schätzen Sie die Regierungsfähigkeit ein?
Patzelt: Die Regierungsfähigkeit in einem Dreierbündnis ist immer schwieriger, als wenn Sie nur zwei Parteien unter einen Hut bringen müssen. Es wird sich schon die spannende Frage stellen, ob bei der Wahl von Ramelow zum Ministerpräsidenten überhaupt die geforderte Mehrheit zustande kommt. In Deutschland sind Ministerpräsidenten schon auch durchgefallen und anschließend ganz neue Konstellationen entstanden. Und wenn man sich dann ans Regieren macht, dürften die üblichen Sollbruchstellen bei einer linken Regierung auftreten, nämlich sehr große Hoffnungen darauf, dass durch die Ausweitung der öffentlichen Ausgaben die Konjunktur und das Wirtschaftsleben befördert würden, große Hoffnungen darauf, dass Reformen im Bildungsbereich den größten Teil der Bevölkerung erfreuen würden, und der entsprechende Katzenjammer, der sich wie auch in Nordrhein-Westfalen dann nach einiger Zeit einstellt.
Kaess: Dann schauen wir noch ein bisschen genauer auf die SPD. Die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk sinngemäß im Rückblick auf die Koalition zwischen SPD und CDU in Thüringen gesagt, da hätte es einen Mangel an Vertrauen gegeben. Tun sich jetzt für die SPD ganz andere Möglichkeiten auf?
Patzelt: Na ja. Für die SPD gibt es ja seit Langem die Möglichkeit, mit der Linkspartei zu koalieren, und das hat sie ja zunächst in Gestalt eines Tolerierungsbündnisses in Sachsen-Anhalt gemacht.
"Die SPD geht einen wirklich schweren Gang"
Kaess: Aber das ist jetzt der Dammbruch?
Patzelt: Das ist ein Dammbruch, wenn man es etwas dramatisch formulieren will. Die Linkspartei, so wie sie unter Ramelow aufgestellt ist, ist eine Partei, die zum deutschen Parteiensystem gehört, und an ihrem Fall bewahrheitet sich die alte Aussage, dass unser System wirklich ein offenes ist für jeden, der sich auf seine Spielregeln einlässt. Infolge dessen ist das Bild vom Dammbruch an dieser Stelle tatsächlich schief, denn es bricht ja keine Unflut von roter Diktaturlust über das Land Thüringen herein, wenn Ramelow Ministerpräsident wird.
Kaess: Und die SPD als Juniorpartner, wird das die Partei weiter schwächen?
Patzelt: Das ist das, was ich prognostizieren würde, denn was immer die SPD an sozialpolitischen Positionen vertritt, die Linkspartei kann es klarer sagen. Was immer die linksparteigeführte Regierung zum Verdruss der Bevölkerung macht, man wird der SPD vorwerfen, das Ganze nicht gestoppt zu haben. Und wie lange man die Grünen, die ohnehin auch mit dem Abschwung zur Union bundesweit liebäugeln, daran hindern wird können, ein schwankendes Boot rechtzeitig zu verlassen, das steht in den Sternen. Die SPD geht einen wirklich schweren Gang, aber es gab wohl auch keinen leichteren angesichts dieses Wahlergebnisses.
Kaess: Noch kurz zum Schluss auf der anderen Seite die Effekte auf Die Linke. Werden die Realos gestärkt werden Ihrer Meinung nach?
Patzelt: In der Linkspartei ja, und das kann diese Partei in den neuen Bundesländern noch weiter stärken, kann freilich auch die Spannungen in der Linkspartei zwischen den Ost- und den ideologischen westdeutschen Parteiteilen weiter vertiefen und dadurch der SPD die Notwendigkeit bescheren, ihr grundsätzliches Verhältnis zur Linkspartei zu überdenken, nämlich ob sie mit ihr zusammen leben will, oder ob sie sie aufsaugen will in Gestalt einer Vereinigung von SPD und Linkspartei.
Kaess: Die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Werner Patzelt von der TU Dresden. Danke schön dafür.
Patzelt: Gern geschehen!
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