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Linksruck in Griechenland
Neue Regierung, alte Probleme

Griechenland hat eine neue Regierung: Die linke Syriza-Partei mit dem neuen Miniosterpräsidenten Alexis Tsipras koaliert mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen. Die linken Parteien in Europa freut es, andere Blicken mit Sorge nach Athen.

Von Rodothea Seralidou, Hans-Günter Kellner, Jan-Christoph Kitzler und Tilo Wagner. Moderation: Katrin Michaelsen |
    Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seiner ersten Kabinettssitzung.
    Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seiner ersten Kabinettssitzung (dpa / Pantelis Saitas)
    Katrin Michaelsen: Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seinem Amtseid heute Nachmittag. Dass es so schnell geht, damit hatte niemand gerechnet. Die Stimmen der Parlamentswahl waren noch nicht einmal ausgezählt, da präsentierte Wahlsieger Alexis Tsipras schon seinen Koalitionspartner, die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen. Einen Tag nach der Parlamentswahl - einer Wahl mit einem Ergebnis, das eine historische Zäsur für das Land ist. Eine andere Politik hat Alexis Tsipras seinen Wählerinnen und Wählern versprochen: eine neue Schuldenpolitik nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa. Welches Signal geht von der Wahl in Griechenland aus? Darum soll es in den kommenden 20 Minuten gehen. Am Mikrofon begrüßt sie dazu Katrin Michaelsen
    Eine Koalition aus Linkspartei und Rechtspopulisten wird künftig die Regierung in Griechenland stellen.
    Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Vize Panos Kammenos sind die neuen Gesichter dieser Koalition. Der gemeinsame Nenner: Beide lehnen die Sparprogramme der EU strikt ab, beide verlangen einen Schuldenerlass durch die internationalen Kreditgeber. Groß sind die Unterschiede jedoch in der Innenpolitik. Ob das für stabile neue Verhältnisse in Griechenland sorgt? Rodothea Seralidou mit ersten Reaktionen aus Athen.

    Reaktionen in Athen - ein Beitrag von Rodothea Seralidou
    Am öffentlichen Platz von Elliniko, im Süden Athens. Bei milden 16 Grad und Sonne haben Eftychia Alexiou und ihre Freundin Eleni auf einer Parkbank Platz genommen. Die zwei Rentnerinnen sind froh, dass die alte Regierung abgewählt wurde.
    "Endlich haben wir einen Regierungswechsel! Das gibt uns Kraft! Ich muss zugeben, ich bin wirklich erleichtert", sagt die 68-jährige Eleni, und ihre Freundin Eftychia nickt zustimmend:
    "Wir haben die Nea Dimokratia und auch die sozialistische Pasok nach so vielen Jahren satt. Es ist gut, dass jetzt Neue an die Macht gekommen sind."
    Dass die neue Regierung unter Tsipras all ihre Wahlversprechen einhält, glaubt die 74-Jährige zwar nicht - sie wolle den Neuen aber eine Chance geben, sagt sie. Und sie hofft, dass sich die zwei Regierungspartner auf ein einheitliches Programm einigen können:
    "Wir wollen eine stabile Regierung! Wenn es wahre Patrioten sind, müssen sie sich einigen. Warum nicht? Es geht doch schließlich um das Wohl Griechenlands. Ein-Parteien-Regierungen wollen wir nicht mehr sehen!"
    Von einer Koalitionsregierung werde das Land nur profitieren, findet die alte Dame. Und sei es eine Koalition zwischen der linken Syriza und den rechten Unabhängigen Griechen. Beide seien nämlich nun gezwungen, ihre extremen Positionen etwas zurückschrauben:
    "Im Thema Migration zum Beispiel: Syriza will ja alle Einwanderer reinlassen, doch das geht nicht. Da muss ihr Koalitionspartner Druck ausüben. Klar sollen Migranten kommen, aber bitte nur Leute mit legalen Papieren."
    Sicht auf die Akropolis in der griechischen Hauptstadt Athen vom Hügel Lycabettus aus, im Hintergrund das Meer.
    Viele Menschen in Athen freuen sich über die neue Regierung. (imago / Westend61)
    Die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen als Bereicherung für eine linke Regierung? So paradox das klingen mag: Auch die 40-jährige Anna Eleftheriou sieht das so. Sie selber habe zwar die linke Syriza gewählt, mit den Unabhängigen Griechen würden aber auch wieder Themen auf die Agenda kommen, die in letzter Zeit vernachlässigt wurden, sagt sie - vor allem in der Außenpolitik:
    "Der Namensstreit um Makedonien, die Zypernfrage. Jetzt wird Tsipras verpflichtet sein, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen."
    Doch nicht jedem geht die Zwei-Parteien-Regierung weit genug. Christos Konstantinidis hätte sich eine noch breitere Koalition gewünscht:
    "Mindestens drei Parteien wären gut gewesen. Die Politiker müssen lernen, Kompromisse einzugehen. Stattdessen sagen sie uns immer wieder: Gib uns deine Stimme, damit wir stark genug sind, um unser Programm umzusetzen. Was für ein Unsinn! Du kannst doch dein Programm auch in einer Koalition umsetzen. Wenn es so gut ist, überzeug deinen Regierungspartner, und er wird hinter dir stehen. Wir geben keinen Blankoscheck mehr!"
    Der 64-Jährige war jahrzehntelang treuer Pasok-Wähler. Diesmal wollte er mit seiner Stimme die alten Regierungsparteien abstrafen und hat aus Protest Syriza gewählt. Doch beim nächsten Mal könnte sich das wieder ändern:
    "Die fanatischen Parteianhänger der Vergangenheit gibt es nicht mehr. Wir wählen nicht mehr nach Ideologien. Syriza muss das im Hinterkopf haben. Sollte sie uns enttäuschen, wird es die Partei beim nächsten Mal nicht mal ins Parlament schaffen."
    Wenn es um Griechenland geht, müssten Ideologien sowieso keine Rolle spielen, findet auch Mara Ioannou:
    "Was heißt, die sind rechts, die sind links! Das Volk muss sich vereinen, egal ob rechts oder links. Nur so wird was Gutes dabei rauskommen. Ich wünsche mir das wirklich von ganzem Herzen, dass die zwei Parteien ihre Differenzen beiseitelegen und gut zusammenarbeiten."

    Michaelsen: Aus Athen berichtete Rodothea Seralidou. Der Wunsch nach einer guten Zusammenarbeit ist also groß. Im Wahlkampf setzte Alexis Tsipras auf Kompromisslosigkeit als sein Markenzeichen, und auch äußerlich setzt er auf eine Grundregel, und zwar was seinen Dresscode anbelangt: keine Krawatte, um sich damit bewusst von den etablierten griechischen Politikern abzusetzen. Mit dieser Strategie konnte Alexis Tsipras triumphieren, in Kombination mit dem Versprechen, dass die Karten der Schuldenpolitik neu gemischt werden. Darüber will der neue Ministerpräsident Tsipras nun bald in Brüssel verhandeln - auch über einen Schuldenschnitt - und muss sich dann mit den anderen 27 Regierungschefs und EU-Vertretern auseinandersetzen. In Brüssel ist uns Janis Emmanouilidis zugeschaltet von der Denkfabrik European Policy Center. Guten Abend, Herr Emmanouilidis!
    Janis Emmanouilidis: Guten Abend, Frau Michaelsen!
    Michaelsen: Herr Emmanouilidis, es besteht ja eine große Unsicherheit, wofür die neue Koalitionsregierung steht, und dass mit der neuen Regierung von Ministerpräsident Tsipras auch die Schuldenkrise wieder zurückkommt. Die ersten Reaktionen aus Brüssel waren sehr gelassen. Ist das eine betonte Gelassenheit?
    Emmanouilidis: Ich glaube, dass diese Gelassenheit sich entwickelt hat. Wenn man zurückblickt: Vor über zwei Jahren war die Perspektive, dass Herr Tsipras Ministerpräsident wird, dass Syriza an die Macht kommt, eine äußerst negative, sehr kritisch beäugte Perspektive, die sehr viel Angst ausgelöst hat, doch es hat sich seitdem vieles getan - sowohl aufseiten Griechenlands, auf der Seite von Herrn Tsipras auch. Er hat sich gewandelt, er hat sich verändert, er hat sich eher in Richtung Mitte bewegt, er ist nicht mehr so extrem, wie er das noch in der Vergangenheit war. Das Land selbst befindet sich in einer ökonomisch besseren Situation - in keiner guten, aber in einer besseren Situation - als noch 2012, und auch auf europäischer Ebene haben sich sehr viele Dinge getan.
    Es gibt viele Reformen, Dinge, die umgesetzt wurden aufgrund des Drucks der Krise, die dazu führen, dass man nicht mehr so viel Angst hat, dass die Situation wieder außer Kontrolle gerät. Von daher ist man relativ ruhig in Brüssel, auch in vielen Mitgliedsstaaten, aber es wird noch ein langer Weg sein, um einen gemeinsamen Kompromiss zu finden zwischen Athen, den neuen Machthabern in Athen und den Partnern.
    Michaelsen: Wenn wir nach Athen gucken - noch hat Griechenland ja große Schwierigkeiten, seine Schulden zurückzuzahlen, und im Raum steht ja die Forderung nach einem Schuldenschnitt. Heute haben sich Finanzminister der Eurozone getroffen und klargemacht, es wird erst mal keinen Schuldenschnitt geben. Wie hoch schätzen Sie denn die Verhandlungsspielräume ein, die es mit der neuen griechischen Regierung in dieser Frage geben wird?
    Emmanouilidis: Ich glaube, dass es sehr wohl Verhandlungsspielräume gibt, auf beiden Seiten. Mir geht es da weniger darum, was Herr Tsipras, was die neue von Syriza geführte Regierung verlangen wird, sondern was sie anbietet, was sie anders machen möchte als die Vorgängerregierung. Und da gibt es einige Dinge, wo sie eine Perspektive haben, die Dinge anders zu tun. Sie sind nicht belastet mit der Vergangenheit, sie sind nicht so sehr verquickt mit Partikularinteressen von gewissen sehr einflussreichen Säckeln, die ihren Einfluss ausüben in die Politik hinein, in die Wirtschaft hinein, in die Medien hinein. Sie sind von vielen dieser Einflüsse befreit und das ermöglicht ihnen auch Dinge zu tun, die Vorgängerregierungen in dem Maße nicht haben tun können oder nicht haben tun wollen. Von daher könnte Syriza etwas anbieten, was auch aus der Perspektive der Partner interessant ist, und dann kann man sicherlich auch darüber reden, ob es bei der Schuldenfrage ein gewisses Entgegenkommen gibt, ohne dass es einen radikalen Schuldenschnitt geben kann.
    Michaelsen: Vielen Dank! Sie begleiten uns weiter durch diese Sendung, vielen Dank zunächst bis hierhin!
    Griechenland ist nicht allein - auch die anderen Staaten Südeuropas stehen unter Druck. Auch Spanien, Portugal und Italien leiden unter hohen Schulden und hoher Arbeitslosigkeit. Und so weckt der Wahlsieg der Linkspartei Syriza bei manch einem neue Hoffnungen auf eine andere Politik und andere Problemlösungen.

    Reaktionen in Spanien - ein Beitrag von Hans-Günter Kellner
    Der Podemos-Vorsitzende Pablo Iglesias.
    Podemos-Chef Pablo Iglesias feiert das Ergebnis. (AFP / Dani Pozo)
    In Spanien rufen die Anhänger von Podemos "Sí se puede", die spanische Variante von Obamas "Yes we can". Erst seit einem Jahr gibt es die neue Formation, die Hochrechnungen sehen sie ganz vorne, und der Wahlsieg von Syriza in Griechenland ist noch einmal mehr Wind in ihren Segeln. Podemos-Chef Pablo Iglesias feiert das Ergebnis:
    "Heute ist ein besonderer Tag für Podemos. Der Wahlsieg von Syriza in Griechenland ist eine großartige Nachricht für die Griechen, für die Europäer und die Demokraten. Der Sieg von Syriza ist die Niederlage der Austeritätspolitik. Diese Politik hat sich als völlig ineffizient herausgestellt. Die Grundprobleme Griechenlands waren die Schulden, die Arbeitslosigkeit und die soziale Ungleichheit. Das ist alles nur schlimmer geworden. Es ist eine gute Nachricht, dass Griechenland jetzt endlich einen griechischen Regierungschef bekommt - und keinen Statthalter Angela Merkels."
    Die markigen Worte über die Bundeskanzlerin fehlen in keiner Rede Iglesias'. Die Wahlen in Griechenland zeigen Iglesias zufolge für ganz Südeuropa den Weg vor. Was Iglesias Hoffnung macht, macht dem konservativen Ministerpräsident Mariano Rajoy hingegen Angst. Er hofft, der Syriza-Sieg lasse sich nicht auf Spanien übertragen:
    "Dies ist ein ernsthaftes Land mit ernsthaften und erwachsenen Bürgern. Wir wissen, dass sich die Probleme nicht mit magischen Wörtern und Zauberformeln aus der Karibik lösen lassen. Es ist nicht dasselbe, Lektionen im Fernsehstudio zu erteilen oder die Interessen Spaniens im Europäischen Rat zu verteidigen. Das ist einfach nicht dasselbe."
    Trotz des Applauses von Parteifreunden - kaum jemand zweifelt in Spanien daran, dass das Wahlergebnis in Griechenland Folgen haben wird. Selbst der ehemalige konservative Regierungschef José María Aznar hat seine Partei gefragt, ob sie die Kommunal-, Regional- und am Ende voraussichtlich auch Parlamentswahlen in diesem Jahr überhaupt noch gewinnen will.

    Reaktionen in Portugal - ein Beitrag von Tilo Wagner
    In Portugal ist das Ergebnis aus Athen mit großer Spannung erwartet worden. Die Portugiesen wählen im Herbst selbst ein neues Parlament und stimmen dann zum ersten Mal über die Sparpolitik der konservativen Regierung ab, die in den vergangenen dreieinhalb Jahren das Land geprägt hat. Nach jüngsten Umfragen ist ein Linksruck auch in Portugal wahrscheinlich. Die Volkspartei, die als kleiner Partner der Mitte-rechts-Koalition das Land regiert, bemühte sich deshalb in einer schriftlichen Presseerklärung, auf die angeblich großen Unterschiede zwischen Griechenland und Portugal hinzuweisen. Portugal habe nur ein Rettungspaket gebraucht und sei erfolgreich ausgestiegen, die Wirtschaft wachse wieder und die Arbeitslosigkeit nehme ab. Das sieht António Costa ganz anders. Der Chef der portugiesischen Sozialisten, der sich große Hoffnungen machen darf, im Herbst zum Premierminister gewählt zu werden, drängt nun auf einen Richtungswechsel in Europa:
    "Das Wahlergebnis in Griechenland ist ein klares Zeichen, dass sich Europa jetzt verändert. Die Sparpolitik ist am Ende. Wir müssen uns darum bemühen, dass der Euro nicht nur eine Einheitswährung, sondern eine Gemeinschaftswährung ist. Alle Völker, Länder und Volkswirtschaften der Eurozone müssen im gleichen Maße von der Währung profitieren können. Es geht nicht, dass nur eine bestimmte Gruppe von Ländern sehr große Vorteile hat und die anderen Mitgliedsstaaten unter großem Druck und Sparmaßnahmen leiden. Wir brauchen ein solidarisches Europa, in dem die Gewinne und die Anforderungen der Gemeinschaftswährung gemeinsam geteilt werden."
    Die kleineren Linksparteien in Portugal feierten den Wahlsieg ihrer politischen Freunde in Athen wie einen eigenen Neuanfang. Für den Linksblock, der einen Schuldenschnitt für Portugal fordert, hat in Griechenland die Demokratie gegen die Erpressungsversuche von außen gesiegt. In Portugal gibt es bisher keine große neue linksgerichtete Protestpartei, die ähnlich wie Syriza in Griechenland oder Podemos im Nachbarland Spanien die etablierten gemäßigten Parteien infrage stellen könnte. Politische Kommentatoren halten es deshalb für sehr unwahrscheinlich, dass der Wahlerfolg der Linken in Griechenland weitreichende Folgen für das politische System in Portugal nach sich ziehen werde.

    Reaktionen in Italien - ein Beitrag von Jan-Christoph Kitzler
    Matteo Renzi hält eine Rede und gestikuliert dabei.
    Matteo Renzi schweigt bisher zur Griechenlandwahl. (picture alliance / dpa / Fabio Frustaci)
    Die Medien in Italien beobachten Alexis Tsipras mit viel Wohlwollen, nicht nur, weil er im Wahlkampf die alte italienische Partisanenhymne "Bella Ciao" gesungen hat. Von einem griechischen Erdbeben ist jetzt die Rede, und Politiker der Rechten wie der Linken frohlocken gleichermaßen. Die Zeiten der Austerität und der strikten Haushaltsdisziplin seien nun vorbei, heißt es dort, die bleierne Zeit, in der Europa nicht vom Fleck kommt und woran - wie sollte es auch anders sein - Deutschland schuld ist. So sagte es Nuccio Altrieri, Parlamentsabgeordneter von Silvio Berlusconis Forza Italia:
    "Für mich ist das wie ein Asteroid, der das Merkel-Europa mitten ins Herz trifft - ein Europa, das zurzeit nur für Rezession sorgt. Die Menschen leiden, die Unternehmen schließen, Menschen finden keine Arbeit. Auch in Italien leiden die Menschen unter einer zu starren Politik der Fesseln, die noch nicht einmal eine Perspektive für die Zukunft schafft."
    Und um dieses Bild zu untermauern, vergisst kaum eine Zeitung in Italien Jens Weidmann zu zitieren, den Bundesbank-Präsidenten, der fordert, Griechenland solle sich auch nach dieser Wahl an die Regeln halten. Deutscher Rigorismus in Reinform sozusagen. Der Sieg von Alexis Tsipras - so kann man in Italien hören - mache auch anderen Euroländern Mut, die in Schwierigkeiten sind. Jetzt könne, jetzt müsse in Europa neu verhandelt werden.
    Matteo Renzi, der Regierungschef, der sonst auf vielen Kanälen präsent ist, schweigt bisher zur Griechenlandwahl. Das mag an der Zerrissenheit seiner Partei Partito Democratico liegen, die gerade versucht, sich auf einen Kandidaten für die Wahl des Staatspräsidenten zu einigen, und deren linker Flügel offen mit Syriza sympathisiert. Andrea Romano, ein Renzi-Getreuer, versucht denn auch ein Haar in der Suppe zu finden. Er stört sich am rechtspopulistischen Koalitionspartner:
    "Die Linie dieser Regierung ist nicht links, sondern scheint vom Nationalismus inspiriert zu sein. Ziel davon ist nicht, die nationalen Interessen zu verteidigen, sondern der Versuch, Grenzen zu schließen, sich gegen andere Länder zu stellen. Und das ist ein Risiko auch für Griechenland, das ein großes europäisches Land ist. Die Chance ist, das Europa versteht, dass es Zeit ist, etwas zu verändern."
    Aber auch im Regierungslager hofft man nun mehr oder weniger unverhohlen auf zumindest etwas Rückenwind aus Griechenland, wenn es darum geht, von Europa etwas mehr Flexibilität in Haushaltsfragen zu verlangen. Die könnte auch Italien, das immer noch tief in der Krise steckt, in den Augen vieler gut gebrauchen.

    Michaelsen: Das waren Hans-Günter Kellner, Tilo Wagner und Jan-Christoph Kitzler mit Stimmen aus Spanien, Portugal und Italien.
    Janis Emmanouilidis in Brüssel, wie schätzen Sie das ein, haben die Staaten Südeuropas Grund zum Frohlocken?
    Emmanouilidis: Ich glaube, dass man jeden Mitgliedsstaat in Südeuropa einzeln sich anschauen muss und sich fragen muss, inwieweit jetzt dieser Wahlsieg von Syriza einen Einfluss auf den jeweiligen Staat hat. In Spanien frohlockt Podemos, die Schwesterpartei von Syriza, aber in Spanien ist die Situation eine andere: In ökonomischer Sicht ist sie eine andere, die politische Kultur ist eine andere als die in Griechenland, und sogar institutionell gibt es da keinen Bonus für eine Partei, die am Ende vorne ist wie Syriza, die 50 Parlamentarier extra bekommen hat im griechischen Parlament. Also man muss hier jeden Mitgliedsstaat unabhängig voneinander betrachten, und ich glaube, grundsätzlich wäre es zu einfach zu sagen, dass man jetzt frohlocken kann. Aber eines kann man lernen aus Griechenland: Wenn man eine Angstkampagne, eine reaktive Angstkampagne führt wie die Konservativen, zahlt sich das am Ende sicherlich nicht oder nur sehr schwer aus.
    Michaelsen: Wenn wir noch mal auf die Brüsseler Situation gucken - bekommen diese Staaten Südeuropas nun mehr Gewicht in Brüssel?
    Emmanouilidis: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass sich die Machtverhältnisse in Brüssel nicht radikal jetzt verändern werden. Wir haben aber auch in den letzten Jahren gesehen, dass sich die Krisenrezeptur anpasst, dass die Sparpolitik variiert, sich ändert, sich anpasst, mehr Möglichkeiten gibt, mehr Zeit gibt zu reformieren. Von daher, die Krisenrezeptur ist keine statische, sie verändert sich, aber die Machtkonstellation in Brüssel, die Tatsache, dass auch Deutschland aus Berlin eine herausragende Rolle spielt, die hat sich jetzt nicht verändert aufgrund des Wahlergebnisses in Athen, in Griechenland.
    Michaelsen: Vielen Dank, das war Janis Emmanouilidis vom European Policy Center in Brüssel, und das war auch unser Hintergrund. Ich danke für Ihr Interesse! Am Mikrofon war Katrin Michaelsen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.