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Lippenbekenntnisse statt konkrete Zusagen

Etwa 1300 Ortskräfte arbeiten zurzeit für die Bundeswehr in Afghanistan. Sie könnten nach dem Abzug der Truppen Opfer der Taliban werden. Ein Teil von ihnen hofft deshalb auf eine Zukunft in Deutschland. Doch die Bearbeitung der Anträge läuft schleppend, das Prüfverfahren ist intransparent.

Von Klaus Remme |
    In Camp Marmal bei Msar-i-Sharif, dem größten Feldlager der Bundeswehr in Afghanistan, sind sie nicht zu übersehen: afghanische Ortskräfte, die als Fahrer, als Dolmetscher oder als Wachmann für die Deutschen arbeiten. Aus der Umgegend kommen sie täglich ins Lager. Das Camp ist groß, die Ortskräfte haben hier zum Beispiel eine eigene Moschee, sie steht direkt neben dem Denkmal für gefallene ISAF-Soldaten. Auch der katholische Militärpfarrer Bernhard Tschullik beschäftigt eine Ortskraft, man kennt sich inzwischen, vertraut einander und das, sagt er, sei gut so:

    "Alles was man hier auch positiv im Zwischenmenschlichen macht, das transportieren die ja nach außen, und das schützt letztlich auch unsere Truppen. Die vielen Hunderte, die hier arbeiten, die reden ja wahrscheinlich wie bei uns auch beim Abendessen miteinander, was hast du denn heute erlebt und gemacht."

    Etwa 1500 Ortskräfte arbeiten zurzeit für deutsche Regierungsstellen in Afghanistan, die allermeisten - über 1300 - für die Bundeswehr. Ihre bisher positive Sicht auf Deutschland könnte sich schnell verdunkeln. Aus Sicht der Taliban sind sie Kollaborateure, kein Wunder also, wenn vor allem Dolmetscher, Sprachmittler heißen sie hier, jetzt um Leib und Leben fürchten. Mit dem Abzug der Bundeswehr hofft ein Teil von ihnen deshalb auf eine Zukunft in Deutschland. Tom Koenigs ist Vorsitzender im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Er kennt die Problematik, hat unter anderem im Kosovo und in Afghanistan gearbeitet. Er rät dringend zu Großzügigkeit in dieser Frage. Aus mehreren Gründen:

    "Erstens, wir sind sehr freundlich aufgenommen worden in Afghanistan, das ist diesen Vermittlern, diesen Brückenbauern zu verdanken. Da müssen dann auch wir Brücken bauen, das ist einfach eine Frage der Gastlichkeit, auch der Moral. Das Zweite ist aber: Wir werden auch in anderen Auslandseinsätzen arbeiten. Was sollen denn die Leute, auf die wir angewiesen sind, zu uns sagen, wenn sie fragen, kannst du uns als Dolmetscher in Mali helfen, kannst du im Kongo, wo wir in einer UN Mission sind, uns unterstützen, die werden doch sagen: Ja, und wie behandelst du uns, wenn du weggehst?"

    An politischen Bekenntnissen zu deutscher Hilfsbereitschaft mangelt es nicht. Jeder Einzelfall werde geprüft, sagte Innenminister Friedrich im Deutschlandfunk:

    "Wir lassen niemanden im Stich, alles was da berichtet und kolportiert wird, stimmt so nicht, sondern die Menschen, die uns geholfen haben, die jetzt deswegen gefährdet sind, kommen selbstverständlich nach Deutschland."

    Das klingt zunächst glasklar, doch in der Praxis vernebelt sich die Lage schnell. Wer ist gefährdet? Reicht da ein subjektives Gefühl? Wie zeitnah wird entschieden? In wenigen Monaten wird es - abgesehen von Camp Marmal - keine deutschen Feldlager in Afghanistan mehr geben. Zurzeit liegen den deutschen Behörden nach Angaben des Innenministers 34 Anträge vor, sie befinden sich in der Prüfung, einem dreistufigen ressortübergreifenden Verfahren, an dessen Ende im Innenministerium über einen Aufenthalt in Deutschland entschieden wird. Vorgestern teilte das Ministerium aber schriftlich auf Anfrage mit:

    Bislang liegt uns kein Antrag auf Entscheidung vor.

    Sicher ist, das Prüfungsverfahren ist intransparent. Für die Betroffenen, für die Medien, ja selbst für Bundestagsabgeordnete wie Elke Hoff. Sie ist die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. In Afghanistan hat sie mit Betroffenen gesprochen. Zur Einzelfallprüfung sagte sie:

    "Was ich bisher gehört habe, ist, dass es sehr bürokratisch ist, dass die Hürden so hoch gestellt sind, dass es kaum jemanden gibt, der diese überwinden kann. Ich hab mich darüber geärgert, dass der Kriterienkatalog nur in der Geheimschutzstelle für Parlamentarier einzusehen ist, ich halte das für völlig unangemessen: Hier geht es darum, dass wir uns ihnen gegenüber anständig und fair verhalten."

    Der Anwalt Victor Pfaff sieht es ähnlich. Etwa 20 Ortskräfte haben sich an den auf Ausländerrecht spezialisierten Juristen aus Frankfurt gewandt. Nach der Lektüre der Richtlinien für das Prüfungsverfahren konstatiert Pfaff, wenigstens zwischen den Zeilen sei der Unwille zu spüren, überhaupt jemanden aufzunehmen. Für ihn nicht nachvollziehbar, weist er doch auf folgenden Widerspruch hin:

    "Die, die noch in Afghanistan sind, und wegen der Gefährdung um Aufnahme bitten, von denen heißt es, das prüfen wir, wir schauen erst, ob sie woanders untergebracht werden, und bisher haben wir nur in einem Fall ein sehr hohes Ausmaß an Gefährdung feststellen können. Wenn aber solche Personen illegal nach Deutschland kommen und hier einen Asylantrag stellen, dann stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass sie gefährdet sind, und gewährt Asyl oder Flüchtlingsschutz oder mindestens einen qualifizierten Abschiebungsschutz. Das ist doch ein Widerspruch!"

    Für eine afghanische Ortskraft, die nach Deutschland kommen möchte, ist das Gespräch mit dem Bundeswehr-Kommandeur vor Ort der erste Schritt. Im Feldlager Kunduz ist das Oberst York von Rechenberg. Zur Diskussion in Deutschland meint er:

    "Ich glaube, es sind eben nicht so sehr viele, aber das ist meine ganz persönliche Auffassung, die tatsächlich hier über ihre Arbeit als Dolmetscher wirklich im Medieninteresse standen. Und da wird sicherlich der ein oder andere dabei sein, der gefährdet ist. Aber der ein oder andere, wenn man fünf oder sechs Jahre seinen Lebensunterhalt verdient hat und den halt auch recht gut, dann möchte man das natürlich auch weiterhin tun, um seine Familie zu ernähren."

    Und so versuchen deutsche Stellen in Afghanistan, Ortskräfte zunächst in anderen Funktionen im Land zu beschäftigen, vielleicht in einer anderen Region. Tom Koenigs, der Vorsitzende im Menschrechtsausschuss des Bundestages, zitiert die Amerikaner, die ihren Ortskräften mittels Kontingentlösung eine Chance auf Einwanderung bieten, und generell weniger bürokratisch sind:

    "Ich finde, wir sollten das auch sein, wir sind ein Land, das auf Einwanderung angewiesen ist, da in Afghanistan könnten wir's mal probieren. Denn die Erfahrungen, die wir hier gemacht haben mit afghanischen Flüchtlingen, sind durchweg positiv. Das sind Leute, die sind fleißig, die sind bildungswillig, und diese Kontaktpersonen können meistens sogar noch deutsch."

    Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung zu ihren Versprechungen steht. Anwalt Pfaff bemerkt nach dem Besuch der Bundeskanzlerin in Afghanistan eine veränderte, positivere Tonlage. Doch solange keine konkreten, positiven Entscheidungen für die Aufnahme von Ortskräften fallen, wird die Skepsis wohl bleiben.