Das Lissabonner Stadtviertel Bairro Alto liegt verschlafen in der Mittagshitze. Touristen sitzen in den vielen kleinen Restaurants, ein Lieferwagen drückt sich durch die engen Gassen. Nachts sei das ganz anders, erzählt Luís Paisana vom lokalen Anwohnerverband. Das Bairro Alto verwandele sich in eines der begehrtesten Ausgehviertel Lissabons, mit allem was dazu gehöre: Streit zwischen Betrunkenen, zerbrochene Bierflaschen auf dem Kopfsteinpflaster und sogar gewaltsame Überfälle.
Deshalb habe man vor über drei Jahren im Viertel Videokameras installieren lassen, sagt Paisana, und zeigt auf einen runden Ball, der in vier Meter Höhe schwebt. "Das fanden die Leute gut, darüber hat sich niemand hier beschwert. Und die Resultate können sich sehen lassen: Es gibt weniger Raubüberfälle und weniger Gewaltexzesse zwischen befeindeten Gangs."
Sicherheitslage verbessert
Gewaltverbrechen sind allgemein in Portugal, das als eines der sichersten Länder in Europa gilt, seit 2010 kontinuierlich zurückgegangen, und auch in Lissabon gab es im vergangenen Jahr 9,2 Prozent gewaltsame Delikte weniger, verglichen mit 2015. Obwohl sich also der Erfolg längst eingestellt hat, will die Stadtverwaltung noch weiter gehen und die Videoüberwachung auf die ganze Stadt ausweiten. Dafür wird sie in den Kommentarspalten im Internet und in den Medien gelobt. Luis Paisana scheint einer der wenigen Lissabonner zu sein, der sich fragt, warum noch mehr Kontrolle überhaupt notwendig sei:
"Ich kenne die Beweggründe der Stadtverwaltung nicht, aber ich finde das übertrieben. In den Ausgehvierteln wie hier im Bairro Alto oder in ein paar angrenzenden Stadtteilen kann ich das noch nachvollziehen, aber der Rest der Stadt ist total friedlich. Da passiert überhaupt nichts, die Leute klappen um neun Uhr abends schon die Bürgersteige hoch. Ich sehe keinen Grund, viel Geld in den Ausbau des polizeilichen Überwachungsapparates zu stecken und damit auch die Privatsphäre der Menschen einzuschränken, es sei denn, es handelt sich dabei um einen Maßnahme gegen den Terrorismus."
Kaum Terrorgefahr
Doch auch die Gefahr vor terroristischen Angriffen scheint in Portugal wesentlich geringer als in anderen europäischen Staaten.
António Nunes, Präsident des Observatoriums Sicherheit, Kriminalität und Terrorismus OSCOT, nennt mehrere Gründe, warum Portugal bisher vom islamistischen Terror verschont geblieben ist. Zum einen, so Nunes, habe ein Attentat in Lissabon nicht die gleiche mediale Wirkung wie etwa ein Anschlag in London. Zum anderen würden selbst externe Terroristen Attentate vor allem in einer Umgebung ausführen, in der sie von radikalen Teilen der Gesellschaft unterstützt würden. Und das sei in Portugal nicht der Fall:
"Die islamische Gemeinde in Portugal ist relativ klein und gut integriert. Wir haben nur ein paar ganz wenige Radikale hier, die uns gut bekannt sind. Und da kaum Radikale hier sind, kommt es auch zu keiner weiteren Radikalisierung. Und gleichzeitig fällt es den Behörden natürlich leichter, diese kleine Zahl von Radikalen zu überwachen."
Terrorexperte Nunes glaubt deshalb, dass wegen der geringen Terror-Gefahr in Lissabon eine flächendeckende Videoüberwachung nicht unbedingt notwendig sei. Zumal ein Videosystem nur dann wirklich effizient sei, wenn die Polizei mit dem nötigen Personal ausgestattet sei, um auf mögliche aufgezeichnete Verbrechen auch schnell reagieren zu können. Das aber, so Nunes, sei in Portugal nach jahrelanger Sparpolitik bei den Sicherheitskräften nicht der Fall:
"Hinter der Idee von Videoüberwachung in Lissabon und anderen Städten steckt eine Kostenkalkulation. Man glaubt, dass die Behörden mittelfristig und nach der ersten großen Investition in die Installation des Überwachungssystems nicht mehr so viele Streifenpolizisten brauchen und deshalb Personalkosten sparen. Aber dieses Denken ist gefährlich. Denn wenn ich ein Raub, einen Mord oder einen Terroranschlag über das Videosystem beobachte, aber nicht die nötigen Polizeikräfte habe, um den Täter zu fassen oder die Tat vielleicht sogar teilweise zu verhindern, dann verunsichert das die Menschen noch viel mehr als wenn es überhaupt kein Überwachungssystem gäbe."
Eine offene Diskussion über die Vor- und Nachteile der Videoüberwachung findet in Lissabon jedoch nicht statt. Der Rückgang der Kriminalität in videokontrollierten Vierteln wie dem Bairro Alto scheint der Stadt als Argument auszureichen, um das Überwachungssystem massiv auszuweiten.