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Lissabons Museum MAAT
Schub für Portugals Kunstszene

"Utopia/Dystopia" heißt die erste Doppelausstellung im neuen Lissabonner Museum MAAT. Das Projekt gibt nicht nur international renommierten, sondern auch portugiesischen Künstlern eine große Plattform und soll das MAAT zum neuen Leuchtturm der Kunstszene Lissabons machen.

Von Tilo Wagner |
    Lissabons neues Kunstmuseum am Tejo: das MAAT.
    Lissabons neues Kunstmuseum am Tejo: das MAAT. (Deutschlandradio / Tilo Wagner)
    Luftaufnahmen der italienischen Adria rauschen im Sekundentakt vorbei, zwischen jedem Bild flackert ein roter Farbimpuls auf. Der italienische Fotograf Olivio Barbieri zeichnet mit seinen Aufnahmen ein beeindruckend widersprüchliches Porträt von einer durch den Menschen tief veränderten Region: La Città Perfetta.
    Die perfekte Stadt – danach haben seit der Veröffentlichung von Thomas Morus‘ philosophischer Abhandlung "Utopia" vor über 500 Jahren unzählige Künstler, Visionäre und Architekten gesucht. Das gerade fertiggestellte Lissabonner Museum für Kunst, Architektur und Technologie, kurz MAAT, widmet seine erste große Show dem Thema Utopia/Distopia. Museumsdirektor Pedro Gadanho:
    "Wir suchen ganz bewusst nach Themen, die unsere drei Schwerpunkte Kunst, Architektur und Technologie miteinander verbinden. Denn so heißt ja schließlich auch das Museum. Utopia/Distopia ist unsere erste Manifest-Ausstellung, das heißt, einmal im Jahr machen wir eine Ausstellung, die ein ganz klares Thema hat und Antworten sucht auf drängende Fragen der Gegenwart."
    Blick in die Megastadt Lagos
    Gadanho hat eine Ausstellung konzipiert, in der das Nebeneinander von Design verliebten urbanen Visionen und die Kritik am menschlichen Schaffenswillen miteinander verflochten sind. Gegenüber von Rem Koolhaas‘ Exodus-Projekt, das 1972 die Architektur der Berliner Mauer nach London verlegt, hängen zwei Virtual-Reality-Brillen in den Raum: Wer durch sie blickt, sieht die komplexe Welt der Megastadt Lagos – so wie sie sich der nigerianischen Künstler Olalekan Jeyifous in 30 Jahren vorstellt.
    Über einen anderen Bildschirm wabern die Ansichten virtueller Städte des amerikanischen Videokünstlers Tabor Robak. An einer Wand hängen die Neonschriften "Sociallism, Kapietalism, Komunism", die Nasan Tur bewusst falsch schreibt, um auf das Fehlerhafte politischer Utopien hinzuweisen. Teilweise wirkt der Raum ein wenig zu klein für so viele unterschiedliche Ideen. Doch die Ausstellung überzeugt insgesamt durch thematische Tiefe und eine Präsenz vielfältiger Visionen aus verschieden Kulturkreisen der Welt. Das mag nicht wirklich überraschen. Schließlich bewegt sich Pedro Gadanho mit Utopia/Distopia wie ein Fisch im Wasser. Bevor er zurück nach Portugal kam, arbeitete Gadanho drei Jahre lang als Architekturkurator am New Yorker MoMA.
    Skulptur aus Zuckerstückchen
    Neu ist jetzt jedoch die Einbettung der zeitgenössischen portugiesischen Kunst in Gadanhos Projekte. Die Stiftung des portugiesischen Energiekonzerns EDP, die auch den spektakulären Museumsneubau am Tejo-Ufer in Belém finanziert hat, umfasst 1200 Werke portugiesischer Künstler. In Utopia/Distopia tauchen immer wieder interessante Beiträge von Portugiesen auf, die bisher international kaum bekannt waren, zum Beispiel die aus Zuckerstückchen konstruierte Skulptur "Metropolis" von Rodrigo Oliveira, deren Bausubstanz mit der Zeit natürlich zusammenfällt:
    "Das Museum ist auch als Plattform für die portugiesische Kunst gedacht. Und das funktioniert so: Die großen Namen der internationalen Kunstszene, die hier zu sehen sind, locken Besucher aus der ganzen Welt an – und in den Ausstellungen stehen die Werke der portugiesischen Künstler, die qualitativ auf einem ebenso hohen Niveau sind, gleich neben den renommierten Arbeiten."
    Mehr Raum für freie Kuratoren
    Nicht nur die Künstler profitieren von dem neuen Impulsgeber in Lissabon. João Laia ist ein freier, in London lebender portugiesischer Kurator. Der 35-jährige hat die Manifest-Ausstellung im MAAT mitkonzipiert:
    "In Portugal gab es bisher keinen Platz für junge, freie Kuratoren. Die Positionen in den Museen scheinen auf Lebenszeit ausgeschrieben zu sein und es gab hier wenig Bewegung und Veränderung. Es ist natürlich fantastisch für uns, dass es jetzt ein Museum von diesem Ausmaß gibt, das jedes Jahr 16 Ausstellungen organisieren will und acht davon an freie Kuratoren vergibt."
    Mit dem neuen Museum für Kunst, Architektur und Technologie schließt die Stadt Lissabon eine Lücke in der Kulturlandschaft: In der portugiesischen Hauptstadt gab es bisher keine Räumlichkeiten, die die großen internationalen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst beherbergen konnten. Zudem zeigt das eigene Projekt "Utopia/Distopia", dass die Mischung aus internationaler und portugiesischer Kunst und Architektur unter spannender Fragestellung das MAAT zum neuen Leuchtturm der Lissabonner Kunstszene machen könnte.