Die Heilig-Geist-Kirche in Vilnius im Frühjahr 2013. Unter dem Gotteshaus in der litauischen Hauptstadt befindet sich eine Krypta. Gemeinsam mit dem Küster schiebt der italienische Mumienforscher Dario Piombino-Mascali eine Bodenplatte beiseite. Die Öffnung zur Krypta erscheint, eine kleine Treppe führt nach unten.
"That’s the crypt and this is where the bodies lay."
Die Krypta existiert seit Ende des 14. Jahrhunderts. Hier wurden über Jahrhunderte hinweg Verstorbene beerdigt.
"We have 23 mummies plus some body parts."
Litauisches Mumienprojekt
23 vollständige Mumien, sowie weitere mumifizierte Körperteile gebe es hier. Dario Piombino Mascali hat zusammen mit Kollegen aus Vilnius die Toten im Rahmen des litauischen Mumienprojekts untersucht. Einige Körper wurden mithilfe bildgebender Verfahren analysiert, manchen wurden Proben entnommen. Der Forscher führt in die Hauptkammer der Krypta.
"So, the mummies are all in there."
Dort liegen 23 weiße Plastiksäcke, bei denen sich die Umrisse der Mumien abzeichnen.
"For example, this one, it’s open. You can actually see that there is someone inside."
Dario Piombino-Mascali hockt sich vor einen der Säcke und öffnet ihn. Die Erhaltung der Mumien sei erstaunlich gut.
"It’s astonishing well preserved."
Szenenwechsel. Drei Jahre später. Die Analyse der Mumien geht in eine neue Runde, sagt Dario Piombino Mascali, jetzt am Telefon in Vilnius.
"Dabei geht es um eine Kindermumie, von der nur noch die untere Körperhälfte erhalten ist. 2011 haben wir ja die ersten Proben entnommen. Damals wussten wir aber noch nicht, welches Geheimnis diese Mumie bergen würde."
Das Forscherteam hatte die alten Gewebeproben untersucht. Demnach litt das Mädchen, das irgendwann zwischen 1643 und 1665 starb, an Pocken. Das fragmentierte Variola-Virus, das eine Pockeninfektion auslöst, durften die Forscher erst rekonstruieren und analysieren, nachdem sie die Erlaubnis der Weltgesundheitsorganisation WHO dazu erhalten hatten.
"Die virale DNA, die wir aus dieser Babymumie rekonstruieren konnten, zeigt eine enge Verwandtschaft zu den jüngeren Pockenlinien. Das deutet darauf hin, dass die Krankheit doch viel jünger ist als bisher angenommen und historische Pockeninfektionen doch eher Windpocken oder Masern waren."
Pocken wurden erst Ende der 1970er-Jahre ausgerottet
Ob Pocken tatsächlich eine sehr junge Krankheit sind, müssen erst noch weitere Analysen klären. Sollte sich diese Vermutung jedoch bestätigen, dann handelt es sich bei den angeblichen Pockeninfektionen in alten ägyptischen Mumien nur um Kinderkrankheiten. Damit wäre auch Pharao Ramses V., der als das früheste bekannte Pockenopfer gilt, nicht an Pocken gestorben, sondern an Masern oder Windpocken. Dario Piombino Mascali beschäftigt aber auch noch eine andere Sache. 2011 hatte er an der kindlichen Pockenmumie ohne Schutzvorkehrungen geforscht.
"Wir wussten ja einfach nicht, dass dieses Mädchen Pocken hatte. Bei dieser Krankheit ist es umstritten, ob man sich infizieren kann, wenn man die Mumien anfasst. Fünf Jahre später habe ich immer noch keine Symptome. Offenbar ist dieser Kelch an mir vorübergegangen und dieses Virus ist nach dem Tod eines Infizierten wohl nicht mehr ansteckend.
Pocken wurden erst Ende der 1970er-Jahre ausgerottet, nachdem Millionen Menschen daran gestorben waren. Daher sei er jetzt schon erleichtert, gibt der italienische Mumienforscher zu. Derart unbedarft werden er und seine Kollegen die Krypta zukünftig wohl nicht mehr betreten.