Samstagmittag im Bastei Lübbe Haus in Köln Mülheim: Es ist laut wenn mehr als hundert Blogger in einem Raum sind. Der Andrang für die Veranstaltung war groß. Die Karten innerhalb einer Stunde ausverkauft. Viele, die im Internet über Literatur schreiben, möchten die Gelegenheit nutzen, um hinter die Kulissen der Verlage zu blicken und sich gegenseitig kennenzulernen. Die Blogger-Szene ist eng vernetzt, und für die meisten ist ihr Blog vor allem eins: Ein virtuelles Gespräch über Literatur:
"Mir ist ganz wichtig darüber zu reden, zu kommunizieren, also hin und her zu schreiben. Ich finde immer ganz toll, wenn über die Literatur dann auch eine Diskussion auf den Blogs zustande kommt. Das braucht total viel Zeit, und ist schon sehr aufwendig. Aber das macht eigentlich den Reiz auch aus: Mit anderen, die bunt verstreut über die Bundesrepublik leben, dann über irgendein Buch auseinanderzusetzen."
Claudia Pütz ist Anfang fünfzig. Deutschlehrerin. Seit drei Jahren betreibt sie das Blog Das graue Sofa. Dort bespricht sie vor allem literarische Titel: Juli Zehs neuen Roman "Unterleuten". Ulrichs Peltzers Kapitalismuskritik "Das bessere Leben". Im ersten Jahr hat sie außerdem für den Deutschen Buchpreis gebloggt. Von den Verlagen wurden Blogger lange Zeit ein wenig stiefmütterlich behandelt. Doch in den vergangen Jahren ist das Verhältnis immer offener geworden:
"Diese Liebe zur Literatur vereint die Szene"
"Ich könnte da überall anfragen und würde Rezensionsexemplare bekommen. Das habe ich bisher noch gar nicht so genutzt. Weil mein Hobby ist eben auch in den Buchladen zu gehen und mich da auch inspirieren zu lassen von den Büchern, die da liegen. Ich lese halt gerne, und ich suche mir meine Sachen zusammen und schreibe darüber. Wenn die Verlage das gut finden, dann finde ich das okay, dann finde ich das toll. Aber ich bin nicht darauf angewiesen."
Ähnlich ist auch das Selbstverständnis von Blogger Uwe Kalkowski. Eines seiner Lieblingsbücher auf seinem Blog Kaffeehaussitzer: "Die Straße" von Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy.
"Ich glaube, was man so über fast alle sagen kann, diese Begeisterung und dieses Herzblut, mit dem Menschen über Bücher schreiben in ihren Blogs, ich glaube, das trifft auf alle zu. Das vereint die ganze Szene: Diese Liebe zur Literatur. Oder die Liebe zu Büchern. Das zeichnet die Blogger-Szene aus, und das macht sie für Leser auch glaube ich authentisch, weil man eben über das schreibt, was einem am Herzen liegt, und das ist dann eben auch eine ganz persönliche Empfehlung.
Höherer Grad der Interaktivität
Durch diesen persönlichen Zugang zu Literatur und ihrem engen Kontakt mit den Lesern sind Literatur-Blogger zu einem wichtigen neuen Akteur in der Literaturszene geworden. Das gilt vor allem für Genre-Literatur wie Science-Fiction oder Young Adult, aber zunehmend auch für die literarischen Verlagsprogramme. Helge Malchow ist der verlegerische Geschäftsführer von Kiepenheuer & Witsch:
"Sie erweitern das Feld in dem wir unsere Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um Aufmerksamkeit für unsere Bücher zu schaffen, und mit den Lesern intensiver als zuvor ins Gespräch zu kommen. Denn der Unterschied zwischen der Blogger-Szene und der klassischen Presse- und Marketingarbeit ist vor allem der des höheren Grades der Interaktivität: Man bekommt einfach schneller Rückmeldungen auf neue Buchveröffentlichungen, auf Aufritte der Autoren in der Öffentlichkeit."
In den meisten Verlagen haben Blogger mittlerweile einen ähnlichen Stellenwert wie klassische Journalisten. Die allerdings sehen sich durch die Literaturblogs oftmals ihrer Kritikerhoheit beraubt. Eine Befürchtung die auf der Veranstaltung entschieden zurückgewiesen wird. Sowohl Blogger als auch Verlage sehen den Literaturaustausch im Internet vor allem als Ergänzung und nicht als Konkurrenz:
Blogger versus Literaturkritik
"Es gibt ja diese Diskussion Blogger versus Literaturkritik. Die finde ich ehrlich gesagt ziemlich daneben, weil es einfach zwei völlig unterschiedliche Metiers sind. Ich würde mich niemals als Literaturkritiker sehen. Dafür fehlt mir das Handwerkszeug. Dafür fehlt mir die Expertise. Ich lese die Bücher auf die ich Lust habe, und über die schreibe ich dann eben."
"Umgekehrt beobachte ich, wie das klassische Feuilleton sich sehr verändert hat in den letzten Jahren. Also weg vom reinen Rezensionswesen, vom Besserwissertum gewissermaßen, hin zu Portraits, Autorengeschichten, auch eher themenorientierten, reportageorientierten Genres und Formaten. Ich glaube, das ist schon eine indirekte Reaktion auf das Aufkommen dieser Konkurrenz in Anführungsstrichen."
Junge Autoren wie Jan Brandt, dessen Debütroman "Gegen die Welt" auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, oder die österreichische Bestsellerautorin Vea Kaiser gehen sogar noch einen Schritt weiter: Für sie sind Blogs eine Zukunft der Literaturvermittlung:
"Die klassischen Medien, die Tageszeitung, wird irgendwann verschwinden. Es wird natürlich sich ins Netz verlagern. Da können diese Blogs jetzt schon eine Bereicherung dafür sein, wie man ein Publikum erreicht, und wie auch Rezeptionsweisen sich verändern. Ist nicht der Leseeindruck den man persönlich hat doch der entscheidende: Gefällt einem das Buch oder nicht? Natürlich ist auch die Einordnung wichtig und der Vergleich mit anderen Büchern. Aber ich glaube, das können Blogger auch leisten."
Blogger sprechen Käufer- und Leserschaft an
"Ich habe das auch miterlebt, beim zweiten Buch fast noch mehr als beim ersten, wie es durch Blogs ging, und von Bloggern empfohlen wurde, und dann auch von anderen Bloggern gekauft wurde. Weil ich meine, sind wir uns ehrlich, wenn jetzt irgendeine große Rezension in einem Medium steht, lesen wir es dann wirklich, oder nehmen wir das wahr als Information? Ich habe schon das Gefühl, dass Blogger, die wirklich eine Reichweite haben, damit auch eine Käuferschaft oder eine Leserschaft ansprechen können."
Die einzige Schwierigkeit der Literatur-Blogger: die fehlende Bezahlung. Auch wenn das Blog für die meisten nur ein aufwendiges Hobby ist, spürt man doch hie und da den Wunsch nach einer Blogger-Karriere. Aber die Literaturszene ist eben nicht die Modeindustrie. Schließlich können selbst etablierte Autoren nur selten von ihren Büchern leben. Die Social-Media-Beraterin Wibke Ladwig sieht im Bereich der Literatur-Blogs trotzdem noch viel Potential:
"Ich habe schon das Gefühl, dass es immer noch Luft gibt. Für einen guten Podcast. Für ein gutes YouTube-Format. Für ein tolles Blog gerade was das Thema Lesen angeht. Vielleicht kommt mal jemand, der so eine Strahlkraft mitbringt, und zack, wir haben einen ersten Popstar der Blogger-Szene in der Buchbranche."