"Aber wieso?", fragte ich. "Ist es so schwer, die Orangen zu verkaufen?" - "Man kann sie nicht verkaufen", sagte der kleine Sizilianer. "Niemand will sie. (…) Im Ausland will man sie nicht", fuhr er fort. "Wie wenn sie giftig wären. Unsere Orangen. Und der Padrone bezahlt uns damit. Er gibt uns Orangen… Und wir können damit nichts anfangen. Niemand will sie (….) Wir fahren hin und her, bezahlen die Fahrt für uns und die Orangen, wir essen kein Brot. Niemand will sie… Verfluchte Orangen."
In seinem 1937 entstandenen Prosawerk "Conversazione in Sicilia", Gespräch in Sizilien, erzählt Elio Vittorini die Geschichte des 30-jährigen Silvestro: Mitten im Propagandalärm der sich für den Weltkrieg rüstenden Faschisten reist der in Mailand arbeitende Drucker nach Sizilien, um seine Mutter zu besuchen. Dort, in seinem Heimatdorf, trifft er auf eine in Armut erstarrte Gesellschaft. Vittorini führt seinen Lesern ein stark stilisiertes Sizilien vor, in einer melancholischen Grundstimmung verwebt er Mythen und Reales in seiner eigenwilligen poetischen Kunstsprache. Zentrales Motiv ist der Furor, "astratti furori", wie es im Buch heißt, gemeint ist die stumme Wut des ohnmächtigen Volkes.
Viele autobiografische Elemente
"In jenem Winter war ich von einer gestaltlosen Wut gepackt. Irgendwie galt sie der verlorenen Menschheit und der gekränkten Welt."
Viele autobiografische Elemente des am 23. Juli 1908 in Syrakus als Sohn eines Eisenbahners geborenen Schriftstellers finden sich in diesem Roman. Auch Elio Vittorini zog es nach Norditalien, weg vom Elend der Insel. Als Halbwüchsiger schlug er sich als Steineklopfer und Bauarbeiter durch - und begann zu schreiben: Rezensionen, Artikel und erste Übersetzungen aus dem Englischen, die in verschiedenen, auch faschistischen Zeitschriften erschienen. 1931 wurde in Florenz der erste Erzählband gedruckt: Piccola Borghesia. Seinen schriftstellerischen Ruf aber begründete er mit Gespräch in Sizilien. "Dire senza dichiarare", die "Kunst zu sprechen ohne zu belehren" verfeinerte Vittorini hier zur Meisterschaft:
"In jedem Menschen ist die Erwartung, dass vielleicht das Wort, ein Wort, die Substanz einer Sache verändern könne. Und es gehört zum Schriftsteller, dies mit Beständigkeit und Festigkeit zu glauben ..."
Gespräch in Sizilien markierte auch Vittorinis Bruch mit dem Faschismus. Eine Zeit lang sympathisierte er mit der neuen Ideologie, doch als Italien sich mit Nazi-Deutschland und General Franco verbündete, schloss er sich der kommunistischen Resistenza an. Seine Erlebnisse verarbeitete er in dem 1945 erschienenen Roman Uomini e no, Dennoch Menschen. Das Buch wurde Pflichtlektüre für Generationen von Schülern und zum Vorbild der Partisanenliteratur.
In seinen letzten Lebensjahren verstummte der Dichter immer mehr
Den kulturellen Neubeginn wollte er mitgestalten: Anfang 1946 gründete er die Zeitschrift Il Politecnico, die beim legendären Verlag Einaudi in Turin erschien. Deren freigeistige Position führte jedoch bald zum Bruch mit der Kommunistischen Partei. "Hat ein Dichter die Pfeife der Revolution zu spielen?", fragte Vittorini in einer Polemik gegen den moskautreuen Vorsitzenden Piero Togliatti. 1951 verließ Vittorini die Partei, arbeitete fortan als Herausgeber und Übersetzer neuer englischer Literatur und wurde zu einem der angesehensten Schriftsteller Italiens; als Jury-Mitglied eines renommierten Literaturpreises äußerte er sich 1961 erfreut über die Preisverleihung an den Argentinier Jorge Luis Borges, er verglich ihn mit Faulkner und Hemingway.
In seinen letzten Lebensjahren verstummte der Dichter mehr und mehr. Hatte er seine schriftstellerische Karriere mit der festen Überzeugung von der Macht des dichterischen Wortes begonnen, so beendete er sie mit der resignierten Haltung eines Intellektuellen, der nicht mehr an die Wirkung der Kunst in der modernen Gesellschaft glaubte. Erst 58 Jahre alt, starb Elio Vittorini am 12. Februar 1966 in Mailand.