Topolina, die Erzählerin, wirkt von der ersten Zeile an rätselhaft, unterkühlt, abseitig. Die ehemalige Bildhauerin und Malerin lebt in einer selbstgeschaffenen Parallelwelt: Jedoch keine Welt voller Ekstasen oder Abenteuer, sondern eine rudimentäre Welt, die nur ein Ziel zu haben scheint: so ungestört wie möglich weiterzuleben. Astrid Waliszeks erster Roman "Der Fisch ist ein einsamer Kämpfer" gründet auf einer psychologischen Fragestellung:
"Ich habe mich daran gemacht, mir eine Frau vorzustellen, die niemanden liebt. Oft sagt man sich: ja, natürlich sei man fähig zu lieben. Aber weiß man wirklich, was das bedeutet: zu lieben? Topolina ist im Alter von 65 Jahren dahin gelangt, sich zu sagen: Ich liebe niemanden. Und das hat mich gereizt: Zu wissen, wer diesen Satz sagen könnte und warum."
Nur sich selbst liebt Topolina noch - wenn auch nicht immer mit der gleichen Intensität. Um der Langeweile zu entgehen, arbeitet sie: Morgens putzt sie das verlassene Appartement der Familie Léger, abends schmiert sie in einem Bistrot Sandwiches hinter der Durchreiche. Das erlaubt Topolina, fremde Welten zu erkunden, ohne dabei selbst gesehen zu werden. Sie ist gleichsam eine Voyeurin des Unspektakulären. So schafft sie sich jeden Tag ihr ganz persönliches Universum neu: ein Universum voller kleiner Alltagsobsessionen, die ihr Vergnügen bereiten: sei es das akkurate Ordnen der Wäsche oder die Bestimmung der unterschiedlichen Menschentypen, die in Bistrots verkehren.
"Das musste so geschrieben werden, wie sie dachte: mit ihren Umkehrungen der Wortstellung, ihren Zögerlichkeiten - und manchmal auch im Takt ihrer Schritte. Denn so ist das Dasein im Ausnahmezustand. Das ist eine Frau, die ganz bewusst an der Oberfläche des Tages dahinlebt. Auch der Stil sollte deshalb an der Oberfläche der Wörter bleiben, labil und losgelöst. Vor allen Dingen sollte er nicht kompliziert sein. Ich wollte, dass Topolinas existenzielle Befragungen an der Oberfläche bleiben, ohne in die Tiefe zu gehen.
Lebensgeheimnis einer Frau
Denn Topolina hat ein Lebensgeheimnis, dem sie systematisch ausweicht. Oder anders gesagt: Sie verwaltet es so schmerzfrei wie möglich. Bis ein banaler Vorfall ihr Alltagsgerüst ins Wanken bringt. Der kleine Sohn von Madame Léger bittet Topolina auf einem Zettel, doch bitte das Wasser seines Fisches auszutauschen. So kommt es zu einem regelmäßigen Hin und Her kleiner, versteckter Botschaften, die sie völlig aus ihrem Rhythmus reißen. Plötzlich hat Topolina wieder Interesse an einem anderen Menschen. Auf diesem Wege erfahren wir, dass sie vor langer Zeit selbst ein Kind hatte - und ahnen ein Drama, das sie nicht bewältigt hat. In jedem Fall: Die Begegnung mit dem unbekannten Jungen sprengt Topolinas Selbstgenüsslichkeit. Sogar ihr Bedürfnis, künstlerisch kreativ zu sein, kehrt langsam zurück. Astrid Waliszek:
"Bis dahin weigerte sie sich, zu ihrer schöpferischen Arbeit zurückzukehren. Denn diese war eng mit ihrem Drama verbunden. Vielleicht hätte Topolina dieses Drama sogar verhindern können, wenn sie nicht dermaßen von ihrer eigenen Schöpfung besessen gewesen wäre. Die Kraft der Schöpfung hat zwei Seiten: eine konstruktive und eine destruktive. Schöpfung kann auch zerstörerisch wirken, weil sie einen auffrisst. Aber sie hat eben auch diese aufbauende Kraft, die es einem erlaubt zu regenerieren und wieder man selbst zu werden – nach diesem Drama und der damit verbundenen Schuld. Denn all das ist auch ein Drama der Schuld."
Demonstration in komplexem Psychologisieren
"Der Fisch ist ein einsamer Kämpfer" - Astrid Waliszeks Debütroman ist eine Demonstration in komplexem Psychologisieren. Denn er endet keineswegs mit Eindeutigkeiten. Im Gegenteil: Astrid Waliszek operiert bis zuletzt mit psychologischen Widersprüchen und Verwirrungspotenzialen. Denn Topolinas wieder gewecktes Bedürfnis zu lieben entpuppt sich als extrem besitzergreifend. Sie spielt sogar mit dem Gedanken, den Jungen zu entführen, um ihn allein für sich zu haben. So konfrontiert uns dieser schmale Roman immer wieder mit menschlichen Abgründen und Verstörungen. Doch nicht nur das: Er erzählt auch von der Macht des Zufalls, die Menschen jahrelang in eine Sackgasse hinein, dann aber auch wieder hinaus führen kann. So wird zum Beispiel in sehr einfühlsamem Ton die Wiederbegegnung der 65-jährigen Topolina mit der körperlichen Liebe beschrieben.
Und: Ganz nebenbei outet sich Topolina auch als Elsässerin – womit wir wieder bei Astrid Waliszek wären, die in ihrem nächsten Roman auf Motive ihrer turbulenten Familiengeschichte zurückkommen wird.
"Ohne das Elsass existiere ich nicht. Ohne Deutschland existiere ich nicht. Das ist grundlegend bei mir. Deutschland ist mein Heimatland. Ich bin da zu Hause, auch wenn ich seit jeher in Frankreich lebe. Das hängt auch mit der Sprache zusammen. Deutsch war meine Muttersprache, meine erste Sprache. Und ich glaube, dass uns die Sprache strukturiert."
Astrid Waliszek: "Der Fisch ist ein einsamer Kämpfer", Aus dem Französischen von Claudia Steinitz, Hoffmann und Campe 2013, 19,99 Euro.