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Literatur für junge Leserinnen
Feminismus als hohle Phrase

Bücher für Mädchen im Teenageralter sollten starke und selbstbestimmte Rollenvorbilder anbieten. Bei den Autorinnen Lauren Price und Sabine Schoder verkommt Feminismus jedoch zur hohlen Phrasen. Sie reproduzieren misogyne Denkmuster und sexistische Strukturen.

Von Miriam Zeh |
    Buchcover links: Lauren Price: "Bad Boy Stole My Bra", Buchcover rechts: Sabine Schoder: "Liebe ist so scheißkompliziert"
    Von wegen stark und selbstbestimmt: In den neuen Romanen von Sabine Schoder und Lauren Price sind die weiblichen Rollenvorbilder alles andere als vorbildich (Buchcover links: Heyne Verlag, Buchcover rechts: S.Fischer Verlag, Hintergrund: Gerda Bergs)
    Wenn uns freche Mitschüler in der großen Pause an den Haaren gezogen oder mit Wasser bespritzt haben, bekamen wir jungen Mädchen oft zu hören: "Was sich neckt, das liebt sich". Lehrerinnen und Eltern wollten uns damit zur Vernunft ermahnen. Mädchen sollen artig sein und über das Fehlverhalten des anderen Geschlechts hinwegsehen. Mehr noch: "Was sich neckt, das liebt sich" heißt auch, die Herabwürdigung durch männliche Altersgenossen gefälligst als Kompliment aufzufassen. Schließlich schenken Jungs bei jedem Haareziehen und jedem Hänseln einem Mädchen ihre Aufmerksamkeit. Und männliche Aufmerksamkeit ist – nach dieser Pausenhofweisheit – ausnahmslos erstrebenswert.
    Vom Haareziehen zur Pick-up-line
    Bereits im Grundschulalter üben Mädchen damit ein frauenverachtendes Denkmuster ein, in dem sie angehalten werden männliche Beleidigungen positiv umzudeuten. Mit Beginn der Pubertät tritt diese gesellschaftlich geförderte Misogynie noch einmal aggressiver hervor. Denn an die Stelle des Haareziehens und Wasserspritzens treten dann die sogenannten Pick-up lines. Mit herablassenden Anmachsprüchen sollen Mädchen zu Sex, zu einem Date oder zur Übergabe ihrer Telefonnummer animiert werden. Der Jugendroman "Bad Boy Stole My Bra" von Lauren Price ist voll von diesen Verhöhnungen. Im US-amerikanischen High-School-Alltag, wie ihn die 19jährigen Autorin in ihrem Debütroman erzählt, besteht die Kommunikation zwischen Mädchen und Jungen hauptsächlich darin, dass die testosterongesteuerten Halbstarken ihre Mitschülerinnen herabwürdigen. Das klingt dann zum Beispiel so:
    "Weißt du, ich mag in Physik nicht die größte Leuchte sein, aber in Mathe und Bio bin ich echt gut", bemerkte Alec zufrieden, und ein selbstgefälliges Grinsen umspielt seine Lippen. "Besonders Mathe und Bio im Bett. Du weißt schon, ich addiere das Bett, du subtrahierst die Klamotten. Dann teilst du deine Beine, und ich multipliziere mich." Alec wackelt anzüglich mit den Brauen. "Na, hättest du gern Nachhilfe, Riley?"
    Der BH ist weg
    Alec ist neu in der Klasse, mit seiner alleinerziehenden Mutter und seiner jüngeren Schwester gerade erst hergezogen, in die spießige Kleinstadt im US-Bundesstaat Oregon. Ausgerechnet im Haus neben Rileys Familie wohnt Alec jetzt. Und Alecs Zimmerfenster liegt auch noch genau gegenüber von dem der gleichaltrigen Riley. Die beiden Häuser stehen so dicht beieinander, dass man von einem Sims aufs andere klettern kann. Gleich in der ersten Nacht nach seinem Umzug nutzt Alec diese Situation übermütig aus und verschafft sich – angestachelt von seinen Kumpels – Zutritt zu Rileys Zimmer. Dort stiehlt er der schlafenden Nachbarin einen Büstenhalter. Aus dem Vorfall entspinnt sich ein reichlich lahmer Konflikt, der den Leser durch den gesamten 352 Seiten starken Roman tragen soll. Das zieht sich.
    Zunächst ist Riley schon ein bisschen sauer auf Alec, aber allzu lang kann sie ihm nicht böse sein. Dafür sieht er einfach zu gut aus. Zwar sind da schon noch Alecs ständige sexistische Anmachsprüche. Die gehen Riley eigentlich ziemlich auf die Nerven. Aber je länger sie den Nachbarn kennt, desto häufiger muss sie über Alecs Herabwürdigen schmunzeln. Immerhin schenkt ihr Alec damit seine Aufmerksamkeit und "Was sich neckt, das liebt sich." Wer es auf dem Pausenhof in der Grundschule noch nicht verstanden hat, bekommt bei Lauren Price noch einmal Nachhilfestunden. Denn bereitwillig arbeitet Riley schließlich mit an ihrer verbalen Objektivierung und Entwertung durch das männliche Geschlecht.
    Ermutigung zur Misogynie
    Unterstützt wird diese Misogynie durch Rileys wichtigster Bezugsperson, ihrer Mutter, die sie dazu ermuntert, die Kränkungen und Zurückweisungen des Jungen wiederholt zu erdulden und umzudeuten.
    "Nun ja, ich bin zwar keine Expertin auf dem Gebiet, aber es klingt mir schon so, als hätte er dich auch sehr gern. Nur dass er große Schwierigkeiten hat, anderen zu vertrauen. Ich wette, dieser Junge ist extrem unsicher, deshalb möchte er nicht, dass du weißt, wie viel du ihm bedeutest, und deshalb weist er dich zurück. Das ist zwar keine Entschuldigung, aber es bleibt nun dir überlassen, ob seine Bindungsängste für dich ein Grund sind, ihn aufzugeben."
    Passiv verhält sich die junge weibliche Hauptfigur von Lauren Price aber nicht nur in der verbalen Kommunikation mit dem anderen Geschlecht. Auch erste sexuelle Erfahrungen werden beschrieben als etwas, das der wehrlosen Riley zustößt. Natürlich ist dabei Alkohol im Spiel, denn wie in jedem klischeedurchwirkten Collegefilm, findet auch in "Bad Boy Stole My Bra" eine Hausparty statt. Hier ist Riley zum ersten Mal betrunken – nicht jedoch, weil sie es so wollte, sondern weil ein Junge dem fügsamen Mädchen ständig neue Drinks besorgt hat. Am Ende des Abends kann Riley kaum mehr aufrecht stehen. Ihre beste Freundin hält es trotzdem für eine gute Idee, Riley halb bewusstlos in Alecs Bett zu verfrachten – um einer Standpauke der eigenen Mutter zu entgehen.
    "Gefangen in meiner alkoholisierten Benommenheit und den starken Armen eines attraktiven Jungen gebe ich nach und stolpere nach draußen."
    Keine selbstbestimmte weibliche Sexualität
    Sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt werden gerade öffentlichkeitswirksam wie nie diskutiert. An vielen prominenten Fällen zeigt sich dabei immer wieder, dass zur Unterscheidung von erwünschten und unerwünschten sexuellen Handlungen ein Bewusstsein für die eigene Sexualität unabdingbar ist. Nur wenn ich weiß, was mir Lust bereitet und was Ekel, kann ich meinem Gegenüber artikulieren, was ich will und was nicht. Wie aber sollen junge Frauen eine eigene, bewusste und lustvolle Sexualität entwickeln und ausleben können, wenn das Narrativ vom betrunkenen und wehrlosen Mädchen, das vom "Bad Boy" auf der Hausparty genommen wird, in Trivialliteratur und Hollywoodfilm weiterhin omnipräsent ist? Darstellungen selbstbestimmter weiblicher Sexualität, die als Alternativentwurf dringend notwendig wären, sucht man sowohl bei Lauren Price als auch bei Sabine Schoder vergeblich.
    Um die ebenfalls 17jährige Protagonistin Nele dreht sich Schoders Roman "Liebe ist so scheißkompliziert". Deren drängendstes Problem ist ihre Körpergroße, denn Nele misst einen 1,90m. Diese körperliche Unzulänglichkeit kann in Schoders erzählter Welt nur kaschiert werden, indem Nele einen Jungen trifft, der noch größer ist als sie. Alles andere wäre schließlich widernatürlich. Zum Glück kommt da der riesenhafte Jerome Tessmer an Neles Schule. Mädchen aller Klassenstufen sind dem Basketballstar verfallen. Nele wehrt sich zwar am Anfang noch ein wenig gegen den Hype, kann Jeromes Astralkörper jedoch auf Dauer auch nicht widerstehen.
    Ich seufze innerlich. Wie tief bin ich gesunken, dass ich Jungs allein ihrer Größe wegen interessant finde? Dabei gibt es so viele andere wichtige Eigenschaften. Wie zum Beispiel seinen süßen Haarzopf, der von einem Gummiband zusammengehalten wird, oder seinen Hintern, der mit jedem Schritt den lockeren Stoff der Shorts spannt…
    Männer als Helden
    Obwohl Schoders Roman in der deutschen Provinz spielt, ist er ebenfalls mit zahlreichen US-amerikanischen High-School-Klischees versetzt: Erfolgreiche Sportler genießen an der Schule eine Sonderbehandlung und es kommt ebenfalls zu einer obligatorischen Partyszene: Hier wird Nele von ein paar Jungs zum Schnaps trinken animiert und versehentlich isst sie ein paar halluzinogene Pilze. Alles nicht, weil sie es will, sondern weil sie unsicher, unerfahren und naiv ist, was Partys angeht. Mitten in Neles Drogenrausch taucht natürlich ausgerechnet Jerome auf. Er rettet das völlig neben sich stehende Mädchen heldenhaft in ein leer stehendes Schlafzimmer und verschließt die Tür von innen. Was danach zwischen den beiden passiert, daran kann Nele sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern.
    Fühle ich mich anders? Fühle ich mich so, als hätte mich jemand angefasst? Meine Lunge brennt wie Feuer, mein Hals schmeckt nach Schornstein, und in meinen Schläfen hämmernder Kopfschmerz. Testhalber reibe ich meine Innenschenkel aneinander, aber ich spüre nichts Ungewöhnliches zwischen meinen Beinen. Würde ich etwas merken, wenn ich vor ein paar Stunden mit jemand geschlafen hätte?
    Konfliktpotenzial bleibt ungenutzt
    Für ihren Kontrollverlust muss Nele bereits am nächsten Schultag bezahlen. Im Internet ist ein Nacktvideo von ihr aufgetaucht, hochgeladen von Jeromes Handy. Doch wo sich eine interessante Debatte über Cybermobbing hätte anschließen können, handelt Schoder das Thema erschreckend unterkomplex ab. Weder Eltern noch Lehrer oder Polizei werden eingeschaltet und als sich herausstellt, dass alles nur ein großes Missverständnis war, ist das Nacktvideo schnell vergeben und vergessen. Sexistische Strukturen, in denen Nele nach besagter Nacht als Schlampe beschimpft wird und Jerome als Frauenheld gefeiert, hinterfragt niemand.
    Dabei bezeichnet Nele sich selbst als Feministin. Der Begriff bleibt jedoch eine hohle Phrase. Während Jerome als sehr attraktiv beschrieben wird und immerhin noch sehr gut Basketball spielen kann, wird Nele anhand ihrer Schwächen und körperlichen Mängel charakterisiert. Sie kann scheinbar nichts besonders gut und interessiert sich hauptsächlich für Jungs. Über wenig andere Themen jedenfalls lässt die Autorin sie zu Wort kommen.
    Frauen sind Feinde
    Frappierend ist auch das Verhältnis verschiedener Frauenfiguren des Romans untereinander. Mädchen sind in diesem Roman ausnahmslos Konkurrentinnen, die gegeneinander um die Aufmerksamkeit von Männern buhlen. Solidarität unter Frauen, ein unter dem Hashtag #metoo gerade viel diskutiertes Thema, existiert bei Schoder nicht. Jede weibliche Figur in diesem Roman wird sowohl von Frauen als auch von Männern nach ihrem Aussehen beurteilt. Dabei verkommen weibliche Nebenfiguren schnell zu Plattitüden. Denn natürlich gibt es eine sexy Französischlehrerin in durchsichtiger Bluse und Stöckelschuhen.
    Der einzige Ausweg aus der Objektivierung des weiblichen Körpers ist Mutterschaft. Die beschreiben aber weder Schoder noch Price als besonders erstrebenswert. In beiden Romanen pflegen Mütter zwar ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Töchtern. Auftritte der Mutterfiguren beschränken sich jedoch auffällig häufig darauf, entweder Crêpes oder Cupcakes zu backen.
    "Mum schwingt den Topflappen und antwortet ein bisschen zu fröhlich: 'Komm rein, ich habe frische Cupcakes gebacken!‘ Der Duft von warmem Schokoladenteig schlägt mir im Flur entgegen. Ich trete mir die Schuhe von den Füßen und schwebe ihm hinterher bis zur Küche, wo ein voll beladenes Kuchentablett auf mich wartet. Auf den kleinen Kuchen türmen sich Hauben aus Buttercreme, die mit echten Gänseblümchen dekoriert sind, die Mum im Garten gepflückt haben muss. ‚Hmmpf, find ich köstlich!‘ Ich lecke mir die Mundwinkel. Mama glüht vor Zufriedenheit."
    Mehr coole Mädchen, bitte!
    Während sowohl bei Price als auch bei Schoder Väterfiguren vor allem durch Abwesenheit in Haushalt und Erziehung glänzen, kümmern sich Mütter allein um die Versorgung der Kinder. Zwar werden in beiden Romanen Schwierigkeiten dabei angedeutet, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, die Belastung tragen dabei jedoch ausschließlich Frauen. Anstatt gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Lösungen zu suchen, muss Neles Mutter spontan ihren Job kündigen, als ein Kind krank wird. Kann man sich eine gerechtere Welt vorstellen, wenn genderbedingte Ungleichheit so unkritisch vorgelebt wird?
    Jugendbücher müssen sicher keine strahlenden Utopien entwerfen. Aber warum sich ausgerechnet junge Autorinnen dafür entscheiden, misogynen Strukturen widerspruchslos zu reproduzieren, ist unbegreiflich. Ihre Romane prägen Denk- und Wahrnehmungsmuster ihrer noch jüngeren Leserinnen, sie arbeiten mit oder gegen gesellschaftliche Narrative.
    Wo also bleiben die Mädchen, die sich zusammenschließen, die sich helfen, die richtig gut Basketball spielen können oder sich brennend interessieren für transatlantische Politik? Es liegt auch in der pädagogischen Verantwortung von Jugendbuchautorinnen, Rollenentwürfe außerhalb der sexistischen Norm anzubieten. Denn Geschichten von Mädchen, die schweigend erröten oder halb nackt aufwachen, während Jungs lässigen Auftritte hinlegen und immer einen herabwürdigenden Spruch parat haben – braucht kein Mensch mehr.
    Lauren Price: "Bad Boy Stole My Bra", aus dem Englischen von Bettina Spangler, Heyne fliegt, München. 352 Seiten, 12 Euro.

    Sabine Schoder: "Liebe ist so scheißkompliziert", S. Fischer Kinder- und Jugendtaschenbuch, Frankfurt am Main. 400 Seiten, 14 Euro.