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"Literatur muss auch Geständnis sein"

Das Buch "Parlando mit le phung" handelt von einem verlassenen Mann, der seinen Liebeskummer einem Fisch erzählt. Die Liebesgeschichte sei sehr persönlich und ihm sehr nahe gegangen, verrät der deutsch-iranische Schriftsteller.

SAID im Gespräch mit Sandra Hoffmann |
    Sandra Hoffmann: SAID, erzählen Sie uns, wer dieser "le phung" ist, der den Titel Ihres neuen Buches doch ein wenig rätselhaft macht?

    SAID: Le phung ist der Fisch, mit dem ich das Gespräch führe, stellvertretend für ein größeres Publikum. Ich denke, wenn ich ein Gegenüber habe, sei es auch ein Fisch, fällt es mir leichter, von mir zu erzählen. Daher habe ich diesen Kunstgriff erzeugt.

    Hoffmann: Der Fisch war ja einer, der die Liebesgeschichte miterlebt hat.

    SAID: Ja, er war also ein Teil der Liebe.

    Hoffmann: Am Ende der Liebe verschwindet ja nicht nur die Dame, sondern auch der Fisch wieder aus dem Leben.

    SAID: Der Fisch wird verzehrt, ja. In der Antike hat man die Überbringer der schlechten Nachrichten hingerichtet, hier wird er, weil er Zeuge ist, weil er ein Ohrzeuge ist, einfach weggegessen. Im Sinne von weg vom Tisch. Auch das ist ein Kunstgriff natürlich, aber wenn ich eine Liebesgeschichte in der Weise erzähle, dann ist es mehr oder weniger gerechtfertigt, dass er Zuhörer, in dem Fall le phung, verschwindet.

    Hoffmann: Der Zuhörer, also le phung, ist das einzige Wesen, das einen Namen trägt, den Erzählernamen erfahren wir nicht, denn durch ihn hindurch schauen wir auf seine ehemalige Gefährtin, die wir wiederum nur durch erinnerte Zitate erfahren. Haben Namen nicht eine große Bedeutung in der Liebe?

    SAID: Namen, Plural, ja. Aber nicht ein Name. Jede Liebesgeschichte erzeugt viele Nomen, die man aus Zärtlichkeit heraus für sich findet, ein oder zwei kommen auch hier vor. Aber ich wollte, gerade weil die Geschichte sehr persönlich ist, doch eine gewisse Distanz finden. A, wenn ich jetzt den Namen nennen würde, würde sich an der Qualität des Buches nichts ändern. B, es käme vielleicht der Person zu nahe, und wenn ich hier von meiner Gefährtin spreche, dann ist es natürlich selbstverständlich, dass ich keinen Namen nenne, das ist autobiografisch bedingt: Wer jahrelang und immer noch in der Opposition zu einem Regime steht, hat dieses Problem intus genommen, er kann dieses Problem kaum ablegen, es ist fast eine Art zweite Natur geworden.

    Hoffmann: Was bedeuten Tiere für Ihr Schreiben, Sie haben immerhin ein Bestiarium geschrieben, 1999, "dieses Tier, das es nicht gibt", nun der Fisch im Teich vor dem Fenster des Erzählers; das stumme Du ist ja nicht die große Leserschaft oder der Zuhörer, sondern es ist ein Tier. Was bedeuten Tiere - für Sie?

    SAID: Tiere bedeuten für mich mehr als die Menschen. Ich nenne ein ganz banales Beispiel: Tiere foltern nicht, Tiere haben keine Gefängnisse, Tiere haben keinen Spitzel. Eine gewisse Freiheit genießen sie, solange der Mensch es überhaupt zulässt. Darüber hinaus, ich bin ja vor 65, 66 Jahren geboren, da war es ganz normal, dass man mit Tieren aufgewachsen ist. Nicht im Sinne: Schau, das ist ein Hund, sondern er war da. Der Esel war da. Und das macht die Affinität aus. Vielleicht auch deswegen, weil die Tiere, da sie vermeintlich keine Sprache haben, auch nicht lügen können. Das macht einen Zuhörer geradezu sympathisch und - es kommt auch eine Passage vor, es gibt diese Legende, dass Fische arbeiten könnten, haben sich aber so hingestellt, dass der Mensch, im Glauben, sie können nicht arbeiten, sie in Ruhe gelassen hat. Damit sage ich, dass das Tier eine Klugheit hat, die wir nicht mehr haben, weil wir den Kontakt zur Erde und zur Natur im großen Sinne des Wortes verloren haben.

    Hoffmann: Durch das Tier hindurch, oder weil das Tier da ist, erzählt der Erzähler seine Geschichte, und auch am Ende des Romans, das Tier wird gegessen, der Fisch, die Trennung von der Geliebten liegt ja nun drei Jahre zurück, wartet der Erzähler noch immer auf die Rückkehr der ehemaligen Gefährtin, er sitzt draußen vor dem Haus auf einer Treppe, und man fragt sich, durchläuft der Erzähler dennoch so etwas wie eine Katharsis?

    SAID: Katharsis wäre vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen. Diese Liebesgeschichte ist mir sehr nahe gegangen, und naturgemäß hatte ich den Wunsch irgendwann etwas darüber zu schreiben, und irgendwann ist mir dieser Griff eingefallen, und ich habe angefangen darüber zu schreiben, und nun kommen wir zu der Frage: Der Mensch besteht ja normalerweise aus dem Hirn und aus dem Herzen. Mein Hirn sagt mir natürlich, dass eine Rückkehr nicht denkbar und nicht möglich ist, womöglich auf beiden Seiten nicht, aber das Herz denkt anders und handelt anders und wünscht etwas anderes. Ich gestatte mir, zu diesem Widerspruch zu stehen, mit den beiden Seiten zu spielen und zu korrespondieren, um mich nicht ganz zu verlieren.

    Hoffmann: Sie sind ein Schriftsteller iranischer Herkunft, deutscher Dichter, sie schreiben jetzt eine sehr persönliche Liebesgeschichte nach dem Ende einer Liebe, also im Liebesunglück, und ich habe mich gefragt, in welcher Tradition sehen oder fühlen Sie sich beim Erzählen oder im speziellen Fall, wenn Sie heute, jetzt, diese Liebesgeschichte erzählen?

    SAID: In keiner Tradition, weder iranisch noch deutsch. Es ist mir bewusst und klar, dass die Mehrzahl der deutschen Autoren eine Geschichte so nicht erzählen, dass sie es vielleicht kaschieren, vielleicht abschleifen, vielleicht ein wenig weiter von sich verlegen, Distanz hinlegen. Ich bin der Meinung, Literatur muss auch, Betonung auf auch, Geständnis sein.

    Hoffmann: Das ist auch das Schöne beim Lesen dieser Erzählung, dieses kleinen Romans, dass man das Gefühl hat, da steht eine Geschichte ganz für sich, und sie sucht sich keinen festen, sicheren Raum, sondern sie traut sich ins Ungewisse. Das hat mir persönlich sehr gut gefallen.

    SAID: Ich danke dafür. Sie wissen, dass Autoren natürlich imstande sind, eine Umgebung zu erfinden, oder zu finden, oder einen Rahmen zu finden, aber das wäre eher eine Schutzmaßnahme. Ich persönlich bin der Meinung, erzählen kann man erst dann, wenn man nackt ist, auf der Metaebene des Wortes, wenn man angreifbar ist. Dann kann man erzählen, dann kann das Erzählte auch die Menschen erfassen, erreichen.

    Hoffmann: Nackt bedeutet ja auch ganz frei, ganz offen, ganz für sich alleine aber auch da stehen, und Sie haben das ja schon einmal erlebt, Sie sind ja hier in Deutschland eigentlich im Exil, Sie sind hierher gekommen zum Studium 1965, sind noch einmal zurückgekehrt in den Iran, 1979, aber auch gleich wieder zurückgekehrt nach München, seither leben Sie hier in dieser Stadt, Sie haben eigentlich Ihre Heimat verloren, Sie kennen den Verlust, und dieses Buch ist ja auch ein Text über den Verlust, über den Verlust einer Behausung, oder?

    SAID: Es ist so, dass wenn man eine Heimat verloren hat, und Heimat hat ja nichts zu tun mit einer Fahne oder einer politischen Meinung, das ist die Summe von Sinnesäußerungen, die man wahrgenommen hat im Laufe der Jahre: Bis heute ist für mich der Begriff Sehnsucht, der Begriff Heimweh verbunden mit einem bestimmten Geruch, mit bestimmten Geräuschen auf der Straße, mit einer gewissen Farbe, also alles, was die Sinne anbetrifft. Aber wenn man es verloren hat, sogar zwei Mal in diesem Falle, dann weiß man, der Kopf weiß, dass diese Heimat nicht wieder gewonnen werden kann. Das Herz wünscht sich das, denn die Heimat, wie es in meinem Kopf steht, die gibt es ja nicht mehr. Das Land hat sich ja entwickelt, rasend, durch die Revolution, jede Revolution beschleunigt das Tempo. Damit sind wir bei dem alten Thema, der Widerspruch: Der Kopf weiß, dass es nicht geht, das Herz begehrt es dennoch.

    Hoffmann: Ganz zum Schluss, was bedeutet für Sie Glück?

    SAID: Eine gute, eine schwierige Frage, ob ich darauf eine gute Antwort habe, weiß ich nicht. Aber vielleicht ist das Glück der Moment, der sehr lang sein kann, in dem man sich nackt zeigt, ohne Angst zu haben, angegriffen zu werden, ich glaube, das ist auch das, was ich in dieser Liebesgeschichte erfahren und erlebt habe, ich habe es ja versucht, wiederzugeben. Eine andere Definition für das Glück kenne ich nicht: Man kann die Kleider ablegen, ohne dass man angegriffen wird.

    Hoffmann: Said, ganz herzlichen Dank!

    SAID: Ich danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.