Ende September 1988 kam der Roman "Die Satanischen Verse" des indisch-britischen Schriftstellers Salman Rushdie in die Buchläden. Er handelt von indischen Einwanderern in England, der Autor lässt dabei Episoden aus dem Leben des Propheten Muhammad einfließen.
"Das Wasser (...) kommt aus unterirdischen (...) Quellen; eine davon ist (...) neben dem Haus des Schwarzen Steins. (...) In dieser Stadt begründet der zum Propheten gewordene Geschäftsmann Mahound eine der großen Religionen der Welt; und an diesem Tag, seinem Geburtstag, beginnt die Krise seines Lebens. Eine Stimme flüstert ihm ins Ohr: Was für eine Art Idee bist du? Mann oder Maus?"
Kritik am Roman "Satanischen Verse"
Die Anspielungen auf den Islam sind im Buch nur wenig verschlüsselt. Der Erzengel Gabriel, der von den Muslimen als Überbringer des Korans verehrt wird, jubelt dem Propheten hier ebenjene "satanischen" Verse unter, die schon im Mittelalter theologische Dispute ausgelöst hatten. Zwölf Huren tragen die Namen von Muhammads Frauen. Das war zu viel für viele Muslime in aller Welt. Die Welle der Entrüstung gegen die "Satanischen Verse" nahm ihren Anfang in Indien. Der amerikanische Verlag "Viking Press" erhielt Zehntausende Briefe, auch Salman Rushdie wurde bereits bedroht. Dann sprangen radikale Islam-Organisationen in England auf den Zug auf. Eine öffentliche Bücherverbrennung in der nordenglischen Stadt Bradford Mitte Januar 1989 fand ein breites Medienecho und entfachte eine weltweite Debatte. Shar Azam, der Vorsitzende des Rats der Moscheen in Bradford, rechtfertigte die Aktion.
"Dieses Buch ist für Moslems schlimmer als Pornografie. Und pornografische Werke werden in England vom Gericht beschlagnahmt und verbrannt. Wir haben nur demonstriert, was man mit den 'Satanischen Versen' von Anfang an hätte machen müssen."
Fatwa gegen Salman Rushdie
In Nordindien und Pakistan schlugen die Demonstrationen gegen die "Satanischen Verse" in Gewalt um, es gab die ersten Toten. Schließlich meldete sich der iranische Revolutionsführer Khomeini zu Wort. Das Todesurteil des greisen Ayatollah gegen Salman Rushdie in Form einer Fatwa, eines islamischen Rechtsgutachtens, wegen angeblicher Blasphemie wurde am 14. Februar 1989 im iranischen Rundfunk verlesen.
"Ich informiere hiermit die stolzen Moslems der Welt, dass der Autor des Buches 'Satanische Verse', das gegen den Islam, den Propheten und den Koran gerichtet ist, sowie alle, die an seiner Publikation teilhaben, zum Tode verurteilt sind. Ich fordere alle Moslems auf, sie hinzurichten."
Salman Rushdie tauchte unter
Eine iranische Stiftung setzte gar ein Kopfgeld von einer Million Dollar aus. Die westliche Welt, aber auch die allermeisten Muslime waren erschüttert. Der in England lebende Salman Rushdie musste untertauchen, er bekam von der britischen Regierung Personenschutz rund um die Uhr. In den folgenden Monaten wechselte er mehr als 50 Mal seinen Wohnort. Erst nach über einem Jahr gab Salman Rushdie im April 1990 der BBC per Telefon wieder ein Interview.
"Na ja, mein Leben verbringe ich mit Lesen und Schreiben. Es ist ein einfaches Leben, aber es ist ok. Ich stehe morgens auf und tue eben das, was man tun kann, wenn man auf seine vier Wände beschränkt ist."
Aufgehetzte Muslime verübten weltweit Anschläge auf Verlage und Buchläden. Der italienische Übersetzer und der norwegische Verleger der "Satanischen Verse" wurden bei Attentaten schwer verletzt, der japanische Übersetzer getötet. Und Khomeinis Todesfatwa fand Nachahmungen unter arabischen Islamisten: Auch der ägyptische Literatur-Nobelpreisträger Nagib Mahfuz wurde von einem radikalen Scheich zum Tode verurteilt. Er hatte wiederholt die Islamisten kritisiert. In der gesamten islamischen Welt veränderte sich das Klima für Intellektuelle, meinte einmal der syrische Journalist Ahmad Hissou.
"Früher hatte der Schriftsteller Angst vor der Regierung, Angst davor, dass sein Buch verboten würde, Angst, dass er im Gefängnis landen könnte, aber heute hat er Angst vor der Straße, vor den islamischen Kräften, die gegen ihn hetzen."
Todesurteil gegen Rushdie wurde bislang nicht aufgehoben
Inzwischen scheint es, im Iran kein großes Interesse mehr an der Kontroverse um die "Satanischen Verse" zu geben. Dort hat man heute ganz andere Probleme. Salman Rushdie tritt mittlerweile wieder in Talkshows auf, geht zu Empfängen und schreibt weiterhin erfolgreich Bücher. Doch formell wurde das Todesurteil nie aufgehoben. Mit einer latenten Gefahr wird Rushdie wohl immer leben müssen.